gehen?«

Bevor ich antwortete, zundete ich meine Pfeife an, die ausgegangen war. »Habt ihr schon einmal vom Mount Kenia gehort?« fragte ich.

»Kenne ich nicht«, sagte Good.

»Habt ihr jemals von der Insel Lamu gehort?«

fragte ich weiter.

»Nein. Doch halt, warte einmal - liegt sie nicht ungefahr 300 Meilen nordlich von Sansibar?«

»Ja. Nun hort einmal gut zu. Ich habe folgenden Plan: Wir gehen zuerst nach Lamu und von dort aus etwa 250 Meilen landeinwarts bis zum Mount Kenia. Von dort aus orientieren wir uns weiter landeinwarts bis zum Mount Lekakisera. Das sind noch einmal 200 Meilen, oder etwa annahernd. Weiter ist meines Wissens noch nie ein Wei?er ins Landesinnere vorgedrungen. Und dann, falls wir so weit kommen, gehen wir von dort aus geradewegs ins unbekannte Landesinnere. Was haltet ihr von diesem Vorhaben, Freunde?«

»Ziemlich abenteuerlicher Plan«, sagte Sir Henry nachdenklich.

»Du hast recht«, gab ich zur Antwort, »es ist wirklich ein ziemliches Abenteuer, aber ich gehe davon aus, da? wir alle drei ja auf der Suche nach gro?en Abenteuern sind. Wir wollen einen Tapetenwechsel; und den werden wir bekommen - und was fur einen! Mein ganzes Leben lang war ich von dem Wunsch beseelt, jenes Gebiet kennenzulernen, und jetzt bin ich fest dazu entschlossen, diesem Wunsch nachzugeben, bevor ich sterbe. Der Tod meines armen Sohnes hat die letzten Bande zwischen mir und der Zivilisation zerrissen. Ich will wieder zu meinen Eingeborenen zuruck. Und jetzt werde ich euch noch etwas erzahlen: Seit vielen Jahren habe ich immer wieder Geruchte davon gehort, es gebe eine gro?e wei?e Rasse, die angeblich irgendwo in jener Gegend beheimatet sein soll. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, nachzuforschen, ob in diesen Geruchten etwas Wahres steckt. Wenn ihr Burschen Lust habt mitzukommen, das ware eine tolle Sache; wenn nicht, dann werde ich alleine aufbrechen.«

»Du kannst auf mich rechnen, obwohl ich nicht an deine wei?e Rasse glaube«, sagte Sir Henry Curtis, wobei er sich erhob und mir seinen Arm auf die Schulter legte.

»Dito«, sagte Good trocken; »ich werde mich sofort darauf einrichten und ein bi?chen was fur meinen Korper tun. Was auch immer passiert; la?t uns zum Mount Kenia aufbrechen und zu der anderen Stelle mit dem unaussprechlichen Namen und nach einer wei?en Rasse forschen, die es nicht gibt. Mir ist es recht; ich bin dabei.«

»Was meinst du, wann wir aufbrechen konnen?« fragte Sir Henry.

»Auf den Tag genau in einem Monat«, antwortete ich. »Mit dem Dampfer der British India; und seid nicht so sicher, da? Dinge nur deshalb nicht zu existieren brauchen, weil ihr zufallig noch nichts von ihnen gehort habt. Erinnert euch nur an die Minen des Konigs Salomon!«

Etwa vierzehn Wochen waren seit diesem Gesprach vergangen, und der Schauplatz dieser Geschichte ist inzwischen ein vollig anderer.

Nach zahlreichen Uberlegungen und Nachforschungen kamen wir zu dem Entschlu?, als Ausgangspunkt unserer Reise zum Mount Kenia einen Ort in der Nahe der Tanamundung zu wahlen, und nicht Mombasa, das uber hundert Meilen naher zu Sansibar lag. Zu diesem Entschlu? veranla?ten uns gewisse Informationen, die uns ein deutscher Handelsmann gab, den wir auf dem Dampfer in Aden kennengelernt hatten. Ich glaube, er war der schmutzigste Deutsche, den ich je kennengelernt habe; aber sonst war der Kerl in Ordnung, und er konnte uns eine Menge wertvoller Informationen geben. »Lamu«, sagte er mit einem schrecklichen deutschen Akzents. »Sie fahren nach Lamu - oh, es ist wunderschon dort!« Dabei strahlte sein feistes Gesicht vor Entzukken. »Anderthalb Jahre lebe ich schon dort und habe noch nie mein Hemd gewechselt - noch nie!«

Und so kam es, da? wir, auf der Insel angekommen, das Schiff mit unserem ganzen Hab und Gut verlie?en, und, da wir nicht wu?ten, wohin wir gehen sollten, frech direkt zum Hause des Konsuls Ihrer Majestat marschierten, wo man uns einen sehr gastfreundlichen Empfang bereitete.

Lamu ist ein sehr eigentumlicher Ort, aber was mir als erstes ins Gedachtnis kommt, wenn ich an diesen Ort zuruckdenke, ist sein unuberbietbarer Gestank und der allgegenwartige Schmutz. Letzterer ist geradezu unertraglich. Direkt unterhalb des Konsulatsgebaudes liegt der Strand, oder besser ausgedruckt, eine Schlammgrube, die diesen Namen tragt. Bei Ebbe liegt dieser »Strand« frei und dient als Deponie fur den gesamten Mull und Abfall, den die Stadt hervorbringt. Dies ist auch der Ort, an dem die Frauen Kokosnusse in den Schlamm eingraben. Sie lassen sie dort liegen, bis die au?ere Schale verfault ist. Nach einiger Zeit graben sie sie wieder aus; die dadurch gewonnenen Fasern benutzen sie dann zur Herstellung von Matten und ahnlichen Dingen. Da dieses Verfahren schon seit Generationen angewandt wird, kann man den Zustand der Kuste kaum noch mit Worten beschreiben; es bedarf schon einiger Phantasie dazu. Ich habe wahrend meines Lebens schon viele abscheuliche Geruche ertragen mussen, aber der entsetzliche Gestank, der von dem Strand in Lamu heruberwehte, als wir beim Schein des Mondes nicht unter, sondern auf dem gastfreundlichen Dach unseres Freundes, des Konsuls, sa?en, ubertraf bei weitem alles bisher Dagewesene. Als er mir in die Nase stieg, verbla?te die Erinnerung an alle ublen Geruche zuvor zu einem Nichts. Kein Wunder, da? die Menschen in Lamu an Fieber erkranken. Und dennoch entbehrte der Ort nicht eines gewissen Liebreizes; er zeichnete sich durch eine eigentumliche, anheimelnde Schlichtheit aus, obwohl er moglicherweise - wahrscheinlich sogar - sehr schnell seinen Reiz auf den Betrachter verlieren wurde und langweilig werden wurde.

»Nun, was ist euer Ziel, Gentlemen?« fragte unser Freund, der gastfreundliche Konsul, als wir nach dem Dinner unsere Pfeifen angezundet hatten.

»Wir haben vor, zum Mount Kenia vorzusto?en, und von da aus weiter zum Mount Lekakisera«, antwortete Sir Henry. »Quatermain ist da etwas zu Ohren gekommen; in dem weiter landeinwarts liegenden unerforschten Gebiet soll angeblich eine wei?e Rasse existieren.«

Der Konsul machte plotzlich einen interessierten Eindruck und sagte, er selbst habe auch schon davon gehort.

»Was habt Ihr davon gehort?« fragte ich.

»Ach, nicht viel. Alles, was ich davon wei?, habe ich einem Brief entnommen, den ich vor ungefahr einem Jahr von Mackenzie, dem schottischen Missionar, erhielt. Seine Missionsstation, die >Highlands<, befindet sich an der au?ersten schiffbaren Stelle des Tana. In dem Brief stand etwas daruber.«

»Habt Ihr den Brief hier?«

»Nein. Ich habe ihn vernichtet; aber ich erinnere mich, da? der Missionar darin von einem Mann berichtete, der in seiner Station eingetroffen war und erzahlte, er habe in einer Entfernung von zwei Monatsreisen jenseits des Mount Lekakisera, in einer Gegend, die noch nie eines Europaers Fu? betreten hat -soweit ich zumindest orientiert bin -, einen See namens Laga entdeckt. Von da aussei er weiter innordostlicher Richtung vorgedrungen, und nach einem Monat unsaglicher Strapazen, die er auf einem Marsch durch Wusten, tiefes Dornengestrupp und riesige Berge erlitten hatte, sei er schlie?lich in ein Land gelangt, in dem Wei?e wohnen, die dort in Gebauden aus Stein hausen. Dort habe man ihn eine ganze Weile sehr gastfreundlich aufgenommen und bewirtet, bis schlie?lich die Priester dieses Landes das Gerucht in Umlauf gesetzt hatten, er sei ein Teufel. Daraufhin hatten die Leute ihn fortgejagt. Acht Monate brauchte er, um sich bis zu Mackenzies Station durchzuschlagen. Wie ich horte, war er todkrank, als er dort eintraf, und starb kurz darauf. Das ist alles, was ich daruber wei?. Wenn Ihr mich fragt; ich glaube, die Geschichte ist von Anfang bis Ende erlogen. Wenn Ihr jedoch mehr daruber erfahren wollt, dann rate ich Euch, den Tana hinaufzufahren und Euch bei Mak-kenzie nach weiteren Einzelheiten zu erkundigen.«

Sir Henry und ich schauten uns an. Hier war zumindest ein Ansatzpunkt.

»Ich glaube, wir werden zu Mr. Mackenzie fahren«, sagte ich.

»Das ist naturlich das beste, was Ihr machen konnt«, gab der Konsul zur Antwort. »Aber ich warne Euch: Euer Marsch dorthin wird sicherlich mit einigen Gefahren verbunden sein; wie ich horte, sind die Masai in der Gegend, ziemlich unangenehme Zeitgenossen, wie Ihr wahrscheinlich wi?t. Das beste wird sein, Ihr sucht Euch einige gute Manner als personliche Diener und als Jager aus und mietet Euch von Dorf zu Dorf jeweils neue Trager. Das wird wahrscheinlich eine Menge Unannehmlichkeiten mit sich bringen, aber vielleicht ist es insgesamt gesehen billiger und vorteilhafter, als eine Karawane aufzustellen. Au?erdem wird die Gefahr des Desertierens geringer sein.«

Ein glucklicher Zufall wollte es, da? sich in Lamu gerade eine Gruppe von Wakwafi Askari (Kriegern) aufhielt.

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