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Des Konsuls Garn

Seit dem Begrabnis meines armen Jungen war eine Woche vergangen. Eines Abends, als ich in meinem Zimmer auf und ab ging und nachdachte, lautete es plotzlich an der Eingangspforte. Ich ging die Treppe hinunter, um selbst zu offnen. Und herein kamen meine alten Freunde Sir Henry Curtis und Captain John Good, R. N.[2] Sie traten in das Vestibul und nahmen vor dem gro?en Kamin Platz, in dem gerade, wie mir wieder einfallt, ein besonders gutes Feuer brannte.

»Es ist sehr freundlich von euch, einmal vorbeizuschauen«, sagte ich, »es mu? ziemlich anstrengend gewesen sein, durch den tiefen Schnee zu stapfen.«

Sie schwiegen; Sir Henry stopfte mit gemessenen Bewegungen seine Pfeife und zundete sie mit einem gluhenden Span an. Als er sich zu diesem Zwecke nach vorn beugte, hatten die Flammen im Kamin gerade ein gasiges Stuck Fichtenholz erwischt und loderten hell auf. Dadurch trat die ganze Szene plastisch hervor, und ich mu?te unwillkurlich denken, wie prachtig dieser Mann doch aussieht! Ein ruhiges, stark ausgepragtes Gesicht, markante Zuge, gro?e graue Augen, blonder Bart und ebensolche Haare -kurz, ein prachtiges Exemplar von einem Menschen. Seine Statur entsprach ganz seinem Gesicht. Nie zuvor habe ich breitere Schultern oder eine machtigere Brust gesehen. Sir Henrys Statur ist in der Tat so gewaltig, da? er trotz seiner Gro?e von fast sechseinhalb Fu? nicht lang wirkt. Wie ich ihn so betrachtete, konnte ich nicht umhin, mir vorzustellen, was fur einen kuriosen Kontrast mein kleiner, vertrockneter Korper im Gegensatz zu diesem formidablen Mannsbild abgeben mu?te. Stellt Euch einen kleinen, runzligen Mann vor, mit gelblicher Gesichtshaut, dreiundsechzig Jahre alt, mit durren Handen, gro?en braunen Augen, grauem, kurzgeschnittenen Haar, das vom Kopf absteht wie die Borsten einer alten, abgenutzten Scheuerburste - das Ganze von einem Gesamtgewicht (in Kleidern) von knapp uber einem Zentner -und Ihr werdet Euch ein recht gutes Bild machen konnen von Allan Quatermain, genannt der Jager, oder, in der Sprache der Eingeborenen, >Macumazahn<-Anglice, d.h. der, der in der Nacht uber einen klaren Blick verfugt, oder, auf gut Englisch, ein gerissener Bursche, den man nicht so leicht hereinlegen kann.

Good, der andere Besucher, hat weder mit Curtis noch mit mir Ahnlichkeit; er ist klein, dunkelhaarig und beleibt - sehr beleibt, um ehrlich zu sein. Er hat lebhaft funkelnde, schwarze Augen. In eines davon hat er sein unvermeidliches Monokel geklemmt. Wenn ich >beleibt< sage, dann ist das eine wohlwollende Untertreibung: ich bedauere es au?erordentlich, unumwunden feststellen zu mussen, da? Good in den letzten Jahren geradezu absto?end fett geworden ist. Sir Henry behauptet immer, das sei eine Folge des Mu?iggangs und allzu uppiger Ernahrung. Good ist davon verstandlicherweise uberhaupt nicht erbaut, kann diesen Vorwurf jedoch auch nicht entkraften.

Nachdem wir eine Weile schweigend beieinandergesessen hatten, nahm ich ein Streichholz und zundete die Lampe an, die auf dem Tisch stand, da das Zwielicht allmahlich eine dustere Stimmung zu verbreiten begann, wie sie einem besonders dann aufs Gemut schlagt, wenn man nicht einmal eine Woche zuvor die ganze Hoffnung seiner alten Tage zu Grabe getragen hat. Als nachstes nahm ich aus einem Schrank, der hinter der Wandtafelung verborgen war, eine Flasche Whisky und einige Glaser und Wasser. Diese Dinge mache ich am liebsten, wenn ich allein bin; es irritiert mich, bestandig jemand an meiner Seite zu haben, so als ware ich ein achtzehn Monate altes Baby. Curtis und Good hatten die ganze Zeit uber geschwiegen; vermutlich fuhlten sie instinktiv, da? sie in diesem Moment nichts hatten sagen konnen, was mir uber meine Trauer hinweghelfen konnte. So begnugten sie sich damit, mich durch ihre blo?e Anwesenheit und ihr unausgesprochenes Mitgefuhl ein wenig aufzumuntern. Seit dem Begrabnis war es erst ihr zweiter Besuch. Ich glaube, da? uns ganz einfach die Tatsache, da? jemand bei uns ist, in den dunkelsten Stunden unseres Grams Trost spendet; nicht seine Worte sind es, die uns aufrichten; oft haben sie nur den zweifelhaften Erfolg, uns zu reizen. Wenn ein schlimmer Sturm droht, sucht das Wild immer den Schutz der Herde; gleichzeitig aber verstummt es.

Sie sa?en still da, rauchten und tranken Whisky mit Wasser, und ich stand, ebenfalls rauchend, am Feuer und schaute sie an.

Schlie?lich brach ich das Schweigen. »Meine lieben Freunde«, hob ich an, »wie lange ist es her, seit wir von Kukuanaland zuruckgekehrt sind?«

»Drei Jahre«, antwortete Good. »Warum fragst du?«

»Ich frage deshalb, weil ich glaube, da? ich lange genug die Zivilisation genossen habe. Ich werde wieder zuruck in die Wildnis gehen.«

Sir Henry lehnte seinen Kopf zuruck in die Sessellehne und lie? dann sein lautes, schallendes Lachen ertonen. »Es ist wirklich zu lustig«, sagte er, noch immer lachend. »Findest du nicht auch, Good?«

Good strahlte mich mit geheimnisvollem Blick durch sein Monokel an und murmelte: »Ja, lustig -sehr lustig in der Tat.«

»Ich verstehe nicht ganz«, sagte ich und schaute die beiden abwechselnd an. Ich bin namlich kein gro?er Freund von Geheimnissen.

»Wirklich nicht, alter Knabe?« fragte Sir Henry. »Dann will ich es mal erklaren. Als Good und ich den Weg hier heraufkamen, hatten wir ein Gesprach.«

»Was einem ja nicht sonderlich schwerfallt, wenn Good dabei ist«, warf ich spottisch ein; Good plaudert namlich uberaus gern. »Und woruber habt ihr euch unterhalten?«

»Nun, was meinst du wohl?« lie? mich Sir Henry raten.

Ich schuttelte den Kopf. Es war unwahrscheinlich, da? ich das Richtige treffen wurde; Good redet uber so vieles.

»Nun, dann will ich es verraten: wir sprachen uber einen kleinen Plan, den ich mir ausgeheckt habe; namlich, falls du auch dazu bereit bist, unsere Siebensachen zusammenzupacken und wieder nach Afrika auf eine Expedition zu gehen.«

Bei diesen Worten machte ich buchstablich einen Luftsprung. »Das kann doch nicht wahr sein!« rief ich.

»Doch es ist aber wahr, und Good ist derselben Meinung; nicht wahr, Good?«

»So ist es«, sagte der andere Gentleman.

»Hor zu, alter Knabe«, fuhr Sir Henry mit betrachtlicher Begeisterung in seiner Stimme und seinen Gesten fort. »Ich habe es ebenfalls satt, vollig satt, hier tatenlos herumzusitzen mit der einzigen Beschaftigung, den Landedelmann zu spielen, und das in einem Land, das noch einmal an seinen Landedelmannern ersticken wird. Schon seit mehr als einem Jahr hat mich eine Ruhelosigkeit gepackt wie bei einem alten Elefanten, der Gefahr wittert. Ich traume standig von Kukuanaland und Gagool und den Minen des Konigs Salomon. Ich versichere dir, ich leide an einer immer unertraglicher werdenden Sucht. Ich bin es leid, Fasanen und Rebhuhner zu schie?en. Ich will endlich wieder einmal auf Gro?wildjagd gehen. Du kennst ja sicher selber das Gefuhl - wer einmal Branntwein und Wasser gekostet hat, dessen Gaumen kann keine Milch mehr schmecken. Das Jahr, das wir zusammen unten in Kukuanaland verbracht haben, bedeutet mir mehr als all die ubrigen Jahre meines Lebens zusammengerechnet. Vielleicht mag man mich einen Dummkopf schelten, da? ich so darunter leide, hier zu sein, aber ich kann nichts dagegen machen; ich will unbedingt wieder dorthin gehen, und, was noch viel mehr ist, ich werde es in die Tat umsetzen.« Er schwieg einen Augenblick lang, um dann weiterzusprechen: »Und warum, so frage ich mich, sollte ich eigentlich nicht gehen? Ich habe weder Frau noch Eltern, noch sonst jemand, dessentwegen ich hierbleiben mu?te. Sollte mir etwas zusto?en, dann geht die Baronetswurde an meinen Bruder George und seinen Jungen uber, wie es schlie?lich und endlich ohnehin der Fall sein wurde. Ich bin fur niemanden hier von allzu gro?er Wichtigkeit.«

»Gro?artig«, jubelte ich, »ich habe mir immer gedacht, da? du fruher oder spater wieder Heimweh kriegen wurdest. Und wie ist es bei dir, Good? Welche Grunde haben dich dazu bewogen, da? du den Wunsch hast, wieder auf Wanderschaft zu gehen? Gibt es einen?«

»Es gibt einen!« sagte Good mit feierlicher Betonung in der Stimme. »Ich tu nie etwas ohne Grund; und es ist keine Frau im Spiel - zumindest, wenn das der Grund sein sollte, dann mu?ten es wohl schon mehrere sein.«

Ich schaute ihn noch einmal an. Good ist wirklich von einer manchmal uberwaltigenden Frivolitat. »Nun, was ist es dann?« fragte ich.

»Nun, wenn du es wirklich wissen willst, dann werde ich es dir sagen, obwohl ich ja nicht gern von solch delikaten und im hochsten Ma?e personlichen Dingen rede: der Grund ist, ich werde langsam zu fett.«

»Sei still, Good!« rief Sir Henry. »Und nun, Qua-termain, sag uns, was schlagst du vor? Wohin sollen wir

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