macht. Die meisten sind jetzt verlassen, weil die Invasion nie gekommen ist.«

»Woher wei?t du das?«, fragte Virginia.

Mattys Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an. »Mein Dad war in einem stationiert. Als er in der Navy war. Hat mir alles davon erzahlt.«

»Und wie kommst du darauf, dass Maupertuis eins davon benutzt?«, fragte Sherlock.

»Du hast erzahlt, wie sehr er die Briten hasst. Fur das, was mit ihm passiert ist. Macht doch irgendwie Sinn, wenn er dann eins von den Forts, die wir damals gebaut haben, um uns vor den Franzosen zu verteidigen, nun gegen uns benutzt, oder?«

Crowe nickte. »Da hat der Junge nicht ganz Unrecht. Au?erdem hat sein Schiff London ja schon eine ganze Weile verlassen, bevor Matty und ich uns ein Boot besorgen konnten. Und trotzdem haben sie Cherbourg nur kurz vor uns erreicht. Sie mussen an einem der Forts Halt gemacht haben, um die Bienenstocke abzuladen.«

»Aber es gibt jede Menge davon«, sagte Matty. »Wir haben keine Zeit, alle zu durchsuchen.«

»Er wurde nicht wollen, dass die Bienen zu weit fliegen mussen«, meinte Sherlock. »Wir suchen nach einem Fort, das ziemlich nah an der Kuste liegt. Und er wurde Wert darauf legen, dass sich die Bienen schon in relativer Nahe zu einer ziemlich gro?en Garnison befinden. Wir brauchen eine Karte von England und der englischen Kuste. Dann ziehen wir Linien zwischen jedem Fort auf See und jeder Garnison. Das, was wir suchen, ist die kurzeste Linie.« Er blickte zwischen Amyus Crowes und Virginias verwunderten Gesichtern hin und her. »Einfache Geometrie«, erklarte er.

»Und was machen wir, wenn wir das richtige Fort gefunden haben?«, fragte Matty.

»Wir konnten weiter zur britischen Kuste segeln und Mycroft Holmes eine Nachricht schicken«, knurrte Crowe. »Er konnte ein Schiff der Royal Navy zum Fort entsenden.«

»Das wurde viel zu viel Zeit kosten«, sagte Sherlock und schuttelte den Kopf. »Wir mussen selbst hin. Jetzt gleich.«

Und so geschah es. Wenige Zeit spater stach die MrsEglantine – ehemals und bald wieder die Rosie Lee – in See, wahrend Crowe und Sherlock sich sogleich daranmachten, auf diversen Karten Linien einzuzeichnen. Schlie?lich war der wahrscheinlichste Kandidat identifiziert, und als wenige Stunden spater die Sonne den Horizont beruhrte und sich die englische Kuste als schwarze Linie vor einem dammrigen Hintergrund abzeichnete, naherten sie sich ihrem Ziel.

»Sie werden den Kutter auf der Stelle entdecken«, gab Crowe zu bedenken. »Selbst wenn wir die Segel bergen, sind Mast und Takelage noch relativ weit zu sehen. Vorausgesetzt naturlich, dass sie Ausschau halten – was ich an ihrer Stelle tun wurde.«

»Als wir eben an Bord gegangen sind, habe ich gesehen, dass ein Ruderboot an der Bordseite festgezurrt ist«, sagte Sherlock. »Matty und ich konnten damit zum Fort ruberrudern. Und ihr segelt weiter nach England und schlagt Alarm.«

»Wie war’s, wenn ich zum Fort rudere und ihr beide mit Ginny nach England segelt?«

»Aber wir konnen nicht segeln«, stellte Sherlock klar, und sein Herzschlag beschleunigte sich bei dem Gedanken daran, fur welches Unternehmen er sich gerade freiwillig meldete. Aber er konnte beim besten Willen keine sinnvolle Alternative erkennen. »Und au?erdem werden die Admiralitat und das Kriegsministerium Ihnen mehr Glauben schenken als mir.«

»Klingt logisch«, raumte Crowe widerstrebend ein.

»Egal, wo Sie an Land gehen, ob Portsmouth Dockyard, Chatham Dockyard, Deal, Sheerness, Great Yarmouth oder Plymouth, uberall gibt es Semaphor-Stationen. Wenn Sie dort eine Nachricht aufgeben, wird sie per Lichtsignal uber die Semaphor-Kette bis zur Admiralitat ubertragen. Das geht vermutlich schneller, als ein Telegramm zu schicken.«

Crowe nickte und lachelte. Dann streckte er seine riesige Pranke aus und schuttelte Sherlock die Hand. »Wir sehen uns wieder«, sagte er.

»Darauf zahle ich«, erwiderte Sherlock.

Mit Hilfe von Crowe lie?en Sherlock und Matty das Ruderboot zu Wasser und glitten vorsichtig ins Boot hinab. Dann legten sie sich in die Ruder und hielten zugig auf das Fort zu. Ein kleines Ruderboot konnte sich im rasch schwindenden Licht der Abenddammerung dem Fort nahern, ohne gesehen zu werden, wohingegen ein Fischkutter, so unauffallig er auch sein mochte, auf jeden Fall entdeckt werden wurde. Wie vereinbart, hielten Crowe und Virginia weiter auf die englische Kuste zu, von wo aus sie eine Nachricht an die Regierung schicken wurden.

Virginia stand an der Bordseite der MrsEglantine, als Kutter und Ruderboot sich voneinander entfernten, und starrte Sherlock nach. Sherlock erwiderte ihren Blick und fragte sich, ob er sie jemals wiedersehen wurde.

Mit aller Kraft pullten sich Sherlock und Matty durch die grau-grune und kabbelige See voran. Doch so sehr sie auch ruderten, das Fort blieb zunachst ein dunkler Klecks am Horizont, der keinen Zentimeter naherzukommen schien. Nachdenklich fuhr sich Sherlock mit der Zunge uber die Lippen, die nach Meersalz schmeckten. Er fragte sich, wie er es nur hatte fertigbringen konnen, sich in dieses merkwurdige Abenteuer zu verstricken.

Als er nach einer Weile aufblickte, stellte er zu seiner Uberraschung fest, dass das Fort nur noch ein paar Hundert Meter entfernt war. Von Seetang und Algen uberzogen, erhob sich der massige feuchte Steinklotz aus den Wogen des Englischen Kanals. Irgendwie hatten sie sich dem Koloss genahert, ohne es richtig wahrzunehmen. Das Fort schien einsam und verlassen dazuliegen. Sherlock musterte die mit Zinnen bewehrte Mauerkrone, von der aus noch vor ein paar Jahrzehnten britische Truppen das Meer nach feindlichen franzosischen Kriegsschiffen abgesucht hatten. Doch es war niemand zu sehen. Keine Menschenseele.

Das Boot glitt die letzten paar Meter auf die schwarze Felsmasse des Forts zu und kam am Fu? einer schlupfrigen Steintreppe zum Halten, die nach oben fuhrte.

Rasch vertaute Matty das Boot an einem rostigen Eisenpfahl, der in eine Steinfuge einzementiert war. Dann kraxelten die beiden Jungen die glatten Stufen hinauf, wobei Sherlock fast ausgerutscht und ins Wasser hinabgesturzt ware, hatte Matty ihn nicht noch gerade rechtzeitig gepackt.

»Woher sollen wir wissen, dass wir nicht zu spat kommen?«, fragte Matty.

»Es ist fast Nacht. Bienen schlafen nachts. Die Leute des Barons hatten nicht viel mehr Zeit herzukommen als wir. Sie werden die Bienen morgen fruh freilassen.«

Als sie nach oben kamen, knieten sie sich zunachst hinter eine niedrige Steinmauer, die die Treppenoffnung umgab und deren Fugen mit Moos uberwachsen waren.

Sherlock suchte die sich vor ihnen ausdehnende oberste Ebene des Forts ab, wobei es sich seiner Vermutung nach technisch gesehen um das »Deck« des Forts handeln musste, auch wenn dieses ganz spezielle »Schiff« aus Stein und Fels nirgendwohin fahren wurde. Aber bis auf ein paar alte Taurollen, diverse Seegrasbuschel und zersplitterte Holzkisten, die hier und da herumlagen, war auf den Steinplatten nichts zu erkennen.

Doch plotzlich leuchtete etwas weiter weg auf der anderen Seite des Forts ein Streichholz auf, in dessen Schein kurz ein bartiges Gesicht zu erkennen war, uber das sich eine Narbe zog. Wer auch immer sich hier im Fort herumtrieb, hatte Wachen aufgestellt. Matty und er mussten vorsichtig sein.

Die Wache bewegte sich von ihnen fort und Sherlock sah, wie sie an einer Offnung im Steindeck vorbeikam, die an drei Seiten von einem Holzgelander umgeben war. Vermutlich eine Treppe, die ins Innere des Forts hinabfuhrte! Als der Mann sich weiter entfernte, zupfte Sherlock Matty am Hemd und zog ihn mit zur Offnung hinuber.

Er hatte recht gehabt. Eine Steintreppe fuhrte hinunter in die Dunkelheit. Ein Geruch nach Moder und Verwesung stieg aus der Tiefe nach oben und hie? sie willkommen.

»Na, los«, zischte Sherlock. »Komm schon.«

Und dann stiegen die beiden die Stufen in das Innere des Forts hinab. Die Dunkelheit, die sie plotzlich umgab, kam Sherlock zunachst so vor, als waren sie in die schwarzesten Abgrunde der Holle geraten. Aber nach einiger Zeit hatten sich seine Augen daran gewohnt, und er konnte matt scheinende Ollaternen ausmachen, die in regelma?igen Abstanden an der Wand angebracht waren. Sie befanden sich in einem kurzen Gang und bewegten sich auf einen anscheinend gro?eren Raum zu, der vom truben orangefarbenen Licht der Lampen sparlich erleuchtet wurde.

Sherlock und Matty schlichen sich weiter bis zu der Stelle, wo die Wande des Ganges sich plotzlich weiteten. Der kreisformige Raum vor ihnen nahm vermutlich einen Gro?teil der Ebene ein, auf der sie sich gerade befanden. Etliche, in wenigen Metern Abstand zueinander stehende Steinsaulen gaben der Decke uber ihnen Halt. Aber was Sherlocks Herz schneller schlagen lie?, waren die unzahligen Bienenstocke, die in einem gleichma?igen Muster auf den Steinplatten aufgestellt worden waren. Es mussten Hunderte sein. Mit Zehntausenden von Bienen in jedem

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