Stock. Was bedeutete, dass ihn nur wenige Meter von etwa einer Million aggressiver Bienen trennten. Er spurte, wie aufgrund ihrer Nahe seine Haut unwillkurlich zu jucken begann. Es war fast so, als wurden Tausende dieser Tiere uber Schultern und Ruckgrat hinabkrabbeln. Ob Maupertuis’ gro?er Verschworungsplan nun uberall in Gro?britannien funktionieren wurde oder nicht, die Konzentration von all diesen Bienen an einer Stelle war definitiv eine todliche Bedrohung fur jeden, der sich hier aufhielt.

»Bitte sag mir, dass wir die nicht alle die Treppen raufschleppen und uber die Kante schmei?en«, flusterte Matthew.

»Wir schleppen die nicht alle die Treppen rauf und schmei?en sie uber die Kante«, bestatigte Sherlock.

»Und was tun wir dann?«

»Ich bin nicht sicher.«

»Was meinst du damit, du bist nicht sicher?«

»Ich meine, ich habe das Ganze noch nicht ganz bis zu Ende durchgedacht. Ist ja auch alles ein bisschen schnell gegangen.«

Matthew schnaubte. »Auf dem Fischkutter hast du jede Menge Zeit gehabt.«

»Da hab ich an was anderes gedacht.«

»Ja, is klar«, sagte Matty. »Das hab ich gemerkt.« Er schwieg eine Weile. »Wir konnten sie abfackeln«, schlug er vor.

Sherlock schuttelte den Kopf. »Sieh dir die Abstande an. Wir konnten vielleicht einen oder zwei in Brand stecken, aber die Flammen wurden nicht auf die anderen Stocke ubergreifen, und die Bienen wurden uns wahrscheinlich erwischen.«

Matty sah sich um. »Was fressen sie?«, fragte er.

»Was meinst du damit?«

»Wir sind auf dem Englischen Kanal. Hier drau?en gibt’s keine Blumen, und ich glaube nicht, dass sie auf Seegras abfahren. Also, was fressen Bienen?«

Sherlock dachte einen Augenblick lang nach. »Das ist eine gute Frage. Ich wei? es nicht.« Er blickte sich um. »Schauen wir uns doch mal um, fur den Fall, dass sich hier was Interessantes finden lasst. Wir trennen uns und treffen uns auf der anderen Seite wieder. Lass dich nicht schnappen.«

Matty wandte sich nach links, wahrend Sherlock nach rechts ging. Nach wenigen Metern drehte er sich noch einmal nach seinem Freund um, doch die Dunkelheit hatte Matty bereits verschluckt.

Sherlock setzte seinen Weg fort. Die dichten Reihen von Bienenstocken, an denen er vorbeikam, bildeten ein eintoniges Muster, das fast schon hypnotisch wirkte. Es waren keine Bienen zu sehen. Vielleicht sorgte die Dunkelheit dafur, dass sie in ihren Stocken blieben. Aber er bildete sich ein, sie horen zu konnen: ein tiefes, einschlaferndes Summen, das fast an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit war. Gleich darauf wurde er auf einige Holzgestelle aufmerksam, die an verschiedenen Stellen des riesigen hohlenartigen Raumes aufgestellt worden waren und aussahen wie eine Kunstlerstaffelei. Auf einigen hatte man Holztabletts abgestellt, wahrend andere leer waren. Sherlock fragte sich, wo er solche Tabletts schon einmal gesehen hatte. Irgendetwas daran kam ihm bekannt vor.

Dann tauchte eine groteske Gestalt aus der Dunkelheit auf. Der Mann steckte in einem Overall aus Leinen und trug eine Maske aus Musselinstoff auf dem Kopf, die mit Hilfe von Bambusholzstreben vom Gesicht abgehalten wurde. Er stand uber eine gro?e Kiste gebeugt. Eine von vielen, die – wie Sherlock nun sehen konnte – nebeneinander an dieser Stelle der gekrummten Au?enmauer abgestellt worden waren. Er richtete sich wieder auf und hielt ein Tablett in den Handen, das genauso aussah wie diejenigen, die man auf den uberall verstreuten staffeleiartigen Holzgestellen abgestellt hatte. Wahrend Sherlock ihn beobachtete, wie er auf die Bienenstocke zuging, meinte er, feinen Pulverstaub von dem Tablett aufsteigen zu sehen.

Als der Mann im Bienenanzug das Tablett unten in das Gestell eines Bienenstocks schob, fiel es Sherlock wie Schuppen von den Augen. Er hatte beobachtet, wie unweit von Farnham Imker in den gleichen Anzugen auf dem Anwesen des Barons ahnliche Tabletts unter den Bienenstocken herausgezogen hatten. Und dann ergab alles plotzlich einen Sinn: die Tabletts, der pulvrige Staub, der von ihnen aufstieg, das Eis, das dieser Schlager Denny aus dem Zug in Farnham ausgeladen hatte, und schlie?lich Mattys Frage, was Bienen fra?en, wenn es keine Blumen gab.

Es war alles so perfekt logisch! Bienen sammelten Pollen von Bluten, den sie dann an den feinen Harchen an ihren Beinen aufbewahrten, bis sie wieder zuruck in ihren Stock kamen und den Pollen als Nahrung nutzten. Man platziere ein Tablett unter einen Bienenstock und konstruiere so etwas wie ein »Tor«, durch das die Bienen mussen, um in den Stock zu kommen, und das so beschaffen ist, dass dabei immer ein wenig Pollen abgestreift wird, der dann in das Tablett darunter fallt. Dann lagere man die Tabletts auf Eis, so dass man den Pollen so lange aufbewahren kann, bis er gebraucht wird. Zum Beispiel, wenn man die Bienen irgendwohin bringt, wo es keine Blumen in der Umgebung gibt. Schlie?lich verteile man die Tabletts gleichma?ig um die Bienenstocke herum, damit die Tiere sich daraus mit Pollen versorgen konnen, wobei sie naturlich nicht einmal merken, dass sie den Pollen bereits zum zweiten Mal einsammeln.

Die Gedanken an Farnham und den Bahnhof weckten eine weitere Erinnerung: Es hatte mit irgendetwas zu tun, das Matty ihm mal erzahlt hatte. Etwas uber Pulver. Uber Backereien. Er wuhlte verzweifelt in seinem Gedachtnis, um auf den richtigen Begriff zu kommen.

Ja, das war’s. PULVER! MEHL! Matty hatte ein Feuer erwahnt, das in einer Backerei ausgebrochen war, in der er mal gearbeitet hatte. Er hatte gesagt, dass ein Pulver, wie zum Beispiel Mehl, hoch explosiv war, wenn viele Teilchen davon in der Luft herumschwebten. Fing ein Mehlkornchen Feuer, wurde sich dieses von Mehlkornchen zu Mehlkornchen schneller ausbreiten, als ein Mensch davor wegrennen konnte. Und wenn das bei Mehl funktionierte, konnte es auch mit Pollen klappen.

»Ein Penny fur deine Gedanken«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Schon bevor Sherlock sich umdrehte, war ihm klar, wen er sehen wurde.

Vor ihm stand, noch halb verborgen im Schatten, MrSurd, der treue Diener von Baron Maupertuis. Der Lederriemen seiner Peitsche baumelte locker von seiner Hand herab, und das Ende hatte sich um seine Fu?e geringelt.

»Schon gut«, sagte Surd und kam auf Sherlock zu. »Wenn der Baron wissen will, was in deinem Kopf ist, werd ich ihm den einfach geben, damit er selbst darin herumwuhlen und es rausfinden kann.«

17

Sherlock wich zur Seite, und MrSurd folgte der Bewegung. Die Metallspitze der Peitsche schrammte uber den Boden, als er sich auf Sherlock zubewegte.

Surds Gesicht war eine Maske hoflicher Gleichgultigkeit, aber die Narben, die sich kreuz und quer uber seine Kopfhaut zogen, gluhten rot vor Wut.

»Hat der Baron Ihnen die Holle hei? gemacht?«, spottete Sherlock. »Dass Sie uns einfach so haben entkommen lassen, wird Ihrem Ruf nicht gerade gut bekommen sein. Ich wette mal, dass der Baron nutzlose Diener ausrangiert, wie andere ein abgebranntes Streichholz wegwerfen.«

Surds Gesicht blieb ausdruckslos. Stattdessen vollfuhrte seine Hand eine kurze ruckartige Bewegung und die Peitschenzunge kam auf Sherlock zugeschnellt. Nur einen Sekundenbruchteil, bevor die Metallspitze ihm das Ohr abgetrennt hatte, warf er den Kopf zur Seite.

»Das ist ein wirklich netter Zirkustrick. Aber naturlich gibt’s in der Hinsicht jede Menge bessere«, fuhr Sherlock fort und gab sein Bestes, damit seine Stimme nicht zitterte und seine Angst verriet.

»Vielleicht konnte Maupertuis das nachste Mal ja einen Messerwerfer anheuern.«

Wieder schnellte die Peitsche auf ihn zu. Mit einem Knall, der ihn fur kurze Zeit taub machte, sauste die Spitze an seinem linken Ohr vorbei. Zunachst dachte er, sie hatte wieder ihr Ziel verfehlt. Aber die warmen Blutspritzer, die er plotzlich auf seinem Hals verspurte, und der zunehmende bei?ende Schmerz an der Kopfseite lie?en darauf schlie?en, dass die Metallspitze ihn getroffen hatte.

Obwohl der Schmerz nicht ganz so schlimm war – jedenfalls noch nicht –, bewegte er sich taumelnd zur Seite und hielt sich die Hand ans Ohr. Sherlock wollte, dass sie ihre Positionen wechselten, und er war noch nicht ganz da, wo er hinwollte.

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