und wie ein normales menschliches Wesen leben.

Und am nachsten Abend stand er doch wieder auf der Buhne, trug seine Imitationen vor, erzahlte seine Witze und versuchte, die Leute fur sich zu gewinnen, ehe sie sich gegen ihn wandten und ihn angriffen.

Er lachelte sie unschuldig an und sagte: »Es gab einmal einen Mann, der so verliebt in seine Ente war, dass er sie sogar mit ins Kino nahm. Als der Kassierer ihn nicht hineinlassen wollte, stopfte er sich die Ente vorn in seine Hose und ging hinein. Neben ihm sa? eine Frau. Die wandte sich an ihren Mann und sagte: »Ralph, der Mann neben mir hat seinen Penis drau?en.« Ralph wollte wissen, ob er sie belastigte. »Nein«, sagte sie. »Dann vergiss es und guck dir den Film an. « Kurz darauf stie? die Frau ihren Mann erneut an und flusterte: »Ralph – sein Penis -«.

»Ich habe dir doch gesagt«, antwortete ihr Mann, »beachte ihn einfach nicht. « »Wie sollte ich nicht? Er frisst meinen Puffmais!«

Er trat jeweils nur einen Abend im Three Six Five in San Francisco, in Rudy's Rail in New York und in Kin Wa Low's in Toledo auf. Er agierte bei Klempnerversammlungen und auf Festbanketts.

Und er lernte.

Er trat taglich bis zu funfmal auf kleinen Buhnen auf, die sich Odeon, Empire oder Star nannten.

Und er lernte.

Und schlie?lich gehorte zu jenen Dingen, die Toby Temple lernte, dass er ohne weiteres den Rest seines Lebens auf der »Klo-Tour« verbringen konnte, unbekannt und unentdeckt. Da aber ereignete sich etwas, das

dieses Problem zunachst in den Hintergrund drangte.

An einem kalten Sonntagnachmittag Anfang Dezember 1941 trat Toby im Dewey Theatre an der Fourteenth Street in New York auf, wo jede Nummer funfmal pro Tag gegeben wurde. Es standen acht Nummern auf dem Programm, und zu Tobys Aufgaben gehorte es, sie anzusagen. Die erste Show ging gut. Wahrend der zweiten Show, als Toby die Fliegenden Kanazawas vorstellte, eine japanische Akrobatenfamilie, wurden sie vom Publikum ausgezischt. Sie zogen sich sofort hinter die Buhne zuruck. »Was zum Donnerwetter ist denn mit denen da drau?en los?« fragte er.

»Mein Gott, haben Sie's nicht gehort? Die Japsen haben vor ein paar Stunden Pearl Harbor angegriffen«, informierte ihn der Buhnenmeister.

»Na und?« fragte Toby. »Sehen Sie sich diese Jungs an – die sind gro?artig.«

In der nachsten Show, als die japanische Truppe an der Reihe war, ging Toby auf die Buhne und sagte: »Ladies und Gentlemen, es ist mir eine gro?e Ehre, Ihnen – frisch von ihrem Triumph in Manila zuruckgekehrt – die Fliegenden Filipinos vorzustellen!« Sowie das Publikum die japanische Truppe sah, begann es zu zischen. Im Laufe des Tages machte Toby aus ihnen die Glucklichen Hawaiianer, die verruckten Mongolen und schlie?lich die Eskimo-Flieger. Aber er konnte sie nicht retten. Sich selbst auch nicht, wie sich herausstellen sollte. Als er an jenem Abend seinen Vater anrief, erfuhr Toby, dass zu Hause ein Brief auf ihn wartete. Er war vom Prasidenten unterzeichnet. Sechs Wochen spater trat Toby in die U. S. Armee ein. Am Tag seiner Einberufung hammerte sein Kopf so stark, dass er kaum imstande war, den Eid zu leisten.

Die Kopfschmerzen kehrten immer wieder, und wenn sie auftraten, hatte die kleine Josephine das Gefuhl, als wurden zwei Riesenhande ihre Schlafen eindrucken. Sie versuchte, nicht zu weinen, weil es ihre Mutter aufregte. Mrs. Czinski hatte die Religion entdeckt. Sie hatte immer das unterschwellige Gefuhl gehabt, sie und ihr Kind waren in irgendeiner Weise fur den Tod ihres Mannes verantwortlich. Eines Nachmittags war sie in eine Erweckungsversammlung gegangen, und der Prediger hatte gewettert: »Ihr seid alle durchtrankt von Sunde und Verruchtheit. Der Gott, der euch uber den Hollenschlund halt wie ein verHasstes Insekt uber ein Feuer, verabscheut euch. Ihr hangt an einem dunnen Faden, jeder einzelne Verdammte von euch, und die Flammen seines Zornes werden euch verzehren, wenn ihr nicht bereut.« Mrs. Czinski fuhlte sich sofort besser, denn sie wusste, dass sie das Wort Gottes vernahm.

»Es ist eine Strafe Gottes, weil wir deinen Vater getotet haben«, pflegte Josephines Mutter zu dem Kind zu sagen, und da Josephine zu jung war, um die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, wusste sie nur, dass sie etwas Schlechtes getan hatte, und sie wunschte, sie wusste, was es war, damit sie ihrer Mutter sagen konnte, es tate ihr leid.

5.

Am Anfang war Toby Temples Krieg ein Alptraum.

In der Armee war er ein Niemand, eine Nummer in einer Uniform wie Millionen andere, gesichtslos, namenlos, anonym.

Er wurde in ein Grundausbildungslager in Georgia geschickt und dann nach England verschifft, wo seine Einheit einem Lager in Sussex zugeteilt wurde. Toby sagte dem Feldwebel, dass er den kommandierenden General sprechen wolle. Er kam bis zu einem Hauptmann. Sein Name war Sam Winters. Er war ein intelligenter, gebildeter Mann Anfang Drei?ig. »Was haben Sie auf dem Herzen, Soldat?«

»Es ist folgendes, Hauptmann«, begann Toby. »Ich bin Unterhaltungskunstler. Ich bin im Showgeschaft tatig. Das hei?t, das habe ich im Zivilleben gemacht.«

Hauptmann Winters lachelte uber seinen Eifer. »Was genau machen Sie?« fragte er.

»Ein bisschen von allem«, erwiderte Toby. »Ich bringe Imitationen und Parodien und…« Er sah den Ausdruck in den Augen des Hauptmanns und endete stockend: »… solche Sachen.«

»Wo haben Sie gearbeitet?«

Toby begann zu sprechen und hielt dann inne. Es war hoffnungslos. Der Hauptmann wurde nur von Stadten wie New York und Hollywood beeindruckt sein. »Kein Ort, von dem Sie je gehort hatten«, erwiderte Toby. Er wusste jetzt, dass er seine Zeit vergeudete.

Hauptmann Winters sagte: »Es hangt nicht von mir ab, aber ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Klar«, sagte Toby. »Vielen Dank, Hauptmann.« Er salutierte und ging. Hauptmann Winters sa? an seinem Schreibtisch und dachte noch lange, nachdem Toby gegangen war, uber den Jungen nach. Sam Winters war Soldat geworden, weil er der Meinung war, dass dies ein Krieg sei, der durchgekampft und gewonnen werden musste. Gleichzeitig hasste er ihn aufgrund dessen, was er jungen Burschen wie Toby Temple antat. Aber wenn Temple wirklich begabt war, wurde er sich fruher oder spater durchsetzen, denn Begabung war wie eine zarte Blume, die sich unter festem Boden entwickelt. Schlie?lich konnte nichts sie hindern, zu sprossen und zu bluhen. Sam Winters hatte einen guten Job als Filmproduzent in Hollywood aufgegeben, um in die Armee einzutreten. Er hatte verschiedene erfolgreiche Filme fur die Pan-Pacific-Studios produziert und hatte Dutzende von Hoffnungsvollen wie Toby Temple kommen und gehen sehen. Sie verdienten zumindest eine Chance. Im Laufe des Nachmittags sprach er mit Oberst Beech uber Toby. »Ich glaube, wir sollten ihn von der Wehrbetreuung prufen lassen«, sagte Hauptmann Winters. »Ich habe den Eindruck, dass er Talent hat, und wei? Gott, die Jungs werden alle nur erdenkliche Unterhaltung brauchen.«

Oberst Beech starrte Hauptmann Winters an und sagte kuhl: »Gut, Hauptmann, schicken Sie mir eine Aktennotiz daruber.« Er blickte Hauptmann Winters nach, als er hinausging. Oberst Beech war Berufsoffizier, West-Point-Mann und Sohn eines West-Point-Mannes. Der Oberst verachtete alle Zivilisten, und fur ihn war Hauptmann Winters ein Zivilist. Eine Uniform und die Spangen eines Hauptmanns machten noch keinen Soldaten. Als Oberst Beech die Aktennotiz uber Toby Temple von Hauptmann Winters bekam, warf er einen Blick darauf und kritzelte dann wutend quer daruber »Antrag abgelehnt« und unterschrieb.

Danach fuhlte er sich besser.

Am meisten vermisste Toby das Publikum. Er musste sein Gefuhl fur Timing, seine Kenntnisse und Fahigkeiten weiterentwickeln. Er erzahlte Witze, trug Imitationen vor und gab sein Repertoire bei jeder Gelegenheit zum besten. Es spielte keine Rolle, ob sein Publikum zwei GIs waren, die mit ihm auf einsamem Gelande Wache schoben, ein Omnibus mit Soldaten auf dem Weg zur Stadt oder ein Tellerwascher, der Kuchendienst hatte. Toby musste sie zum Lachen bringen, musste ihren Beifall gewinnen.

Hauptmann Sam Winters sah eines Tages zu, als Toby eine seiner Nummern im Aufenthaltsraum vorfuhrte. Danach ging er auf Toby zu und sagte: »Tut mir leid, dass Ihre Versetzung nicht geklappt hat, Temple. Ich halte Sie fur begabt. Wenn der Krieg vorbei ist und wenn Sie nach Hollywood kommen, besuchen Sie mich.« Er grinste und fugte hinzu: »Vorausgesetzt, ich habe da immer noch einen Job.« In der folgenden Woche kam Tobys

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