– Es berechtigt Sie, Herr Urrican, bemerkte einer der sich unter diesem Sturme beugenden Berichterstatter, es berechtigt Sie doch nichts, zu glauben. da? Sie einer Mystification entgegengingen, da? Sie zu bedauern hatten, einer der vom Schicksal Auserwahlten gewesen zu sein. Und wenn Ihnen von der Erbschaft auch nur ein Sechstel zufallt…

– Ein Sechstel!… Ein Sechstel! erwiderte der Hitzkopf mit Donnerstimme. Ja, wer steht denn dafur ein, da? ich auch nur dieses Sechstel ungeschmalert erhalte?

– Beruhigen Sie sich doch… ich bitte Sie…

– Nein, ich beruhige mich nicht… das liegt einmal nicht in meiner Natur!… Ich bin an Sturme gewohnt und habe mich stets noch sturmischer als diese gezeigt.

– Jetzt ist aber von keinen Sturmen die Rede, bemerkte der Reporter, der Himmel ist ganz klar…

– Das werden wir ja noch sehen, schnitt ihm der wuthende Amerikaner das Wort ab, und wenn es Ihnen einfallt, der Oeffentlichkeit Mittheilungen uber meine Person, meine Handlungen oder mein Auftreten zu machen, so uberlegen Sie sich wohl, was Sie sagen… sonst… sonst haben Sie’s mit dem Commodore Urrican zu thun!«

Hodge Urrican war in der That ein seit sechs Jahren verabschiedeter Commodore, ein ehemaliger Officier der Kriegsflotte der Vereinigten Staaten – uber seine Verabschiedung hatte er sich ubrigens auch heute noch nicht getrostet – ein muthiger und tuchtiger Seemann, der vor dem Feuer des Feindes wie vor dem des Himmels stets seine Schuldigkeit gethan hatte. Trotz seiner zweiundfunfzig Jahre war seine naturliche Reizbarkeit aber die gleiche geblieben. Stelle man sich unter ihm einen kraftig gebauten, hochgewachsenen Mann vor mit machtigem Kopfe und unter buschigen Brauen rollenden gro?en Augen, etwas niedriger Stirn, kurz geschnittenem Haar, mit viereckigem Kinn, das ein starrer Bart umrahmte, durch den er immer mit fieberhafter Handbewegung strich, ferner mit musculosen Armen und mit nach vorn gebogenen Beinen, die dem Korper der Theerjacken die bekannte schaukelnde Bewegung verleihen. Bei seinem erregbaren, immer bissigen Charakter, seiner Unfahigkeit, sich zu beherrschen, war er im privaten wie im offentlichen Leben kein angenehmer Gesellschafter, und es gab wohl niemand, der ihn seinen Freund genannt hatte. Es ware zu verwundern gewesen, wenn ein solcher Mann sich verheiratet hatte. Das war auch nicht der Fall, und »Welches Gluck fur seine Frau!« pflegten Spa?vogel sich deshalb zu au?ern.

Er gehorte zu der Sorte von Brausekopfen, die der Zorn infolge einer Art Herzkrampfes erbleichen macht, deren Korper sich dabei wie zum Angriff vorbeugt, deren gluhende Pupillen immer eng zusammengezogen sind und deren Stimme noch hart und rauh ist, wenn sie verhaltni?ma?ig ruhig, und die brullend wird, wenn sie das nicht sind.

Als die Berichterstatter des »Chicago Globe« an die Thur des Ateliers in der South Halsted Street Nr. 3997 klopften – man sieht, diese Stra?e mu? leidlich lang sein – fanden sie niemand vor au?er einem jungen, siebzehnjahrigen Neger im Dienste bei Max Real. Der Schwarze offnete die Thur.

»Wo ist Dein Herr? fragte man ihn.

– Wei? nicht.

– Wann ist er ausgegangen?

– Wei? nicht.

– Wann wird er denn zuruckkommen?

– Wei? nicht.«

Tommy wu?te thatsachlich nichts, da Max Real sehr fruhzeitig ausgegangen war und Tommy nichts davon gesagt hatte. Der Neger schlief gewohnlich wie ein Kind, und sein Herr hatte ihn so zeitig nicht wecken wollen.

Konnte Tommy auf die Fragen der Eindringlinge auch keine Antwort geben, so darf man deshalb nicht glauben, da? es dem »Chicago Globe« an Auskunft bezuglich Max Real’s gefehlt habe. O nein! Die »Sechs« waren durch zahlreiche Interviews bereits in den ganzen Vereinigten Staaten bekannt geworden.

Real war ein junger begabter Maler, ein Landschafter, dessen Bilder in Amerika recht ansehnliche Preise erlangten und dem die Zukunft eine schone Stellung im Gebiete der Kunst versprach. Er war trotz seines franzosischen Namens ein Eingeborner von Chicago, der Abkommling einer canadischen Familie in Quebec. Dort wohnte auch noch die seit mehreren Jahren verwitwete Frau Real, die sich aber jetzt zur Uebersiedlung zu ihrem Sohn in der Hauptstadt von Illinois anschickte.

Max Real verehrte seine Mutter ebenso wie diese ihn – sie war ebenso eine vortreffliche Mutter wie er ein vortrefflicher Sohn. Er hatte sich auch beeilt, sie nicht einen Tag uber das Vorkommni? der letzten Tage ununterrichtet zu lassen, und hatte ihr geschrieben, da? er bestimmt worden sei, bei dem Begrabni? William I. Hypperbone’s mit funf Anderen einen hervorragenden Platz einzunehmen. Dazu erklarte er ubrigens, da? er sich um die etwaigen Folgen des Testaments des Entschlafenen keine Kopfschmerzen mache. Die ganze Sache komme ihm nur »drollig« vor.

Max Real hatte eben das funfundzwanzigste Jahr erreicht. Von seiner Geburt an war ihm die Anmuth, die Vornehmheit und die Eleganz des franzosischen Typus eigen geblieben. Von etwas uber mittlerer Gestalt, hatte er braunes Kopf-und Barthaar, tiefblaue Augen und zeigte einen erhobenen Kopf ohne Stolz oder Rauhigkeit, einen lachelnden Mund und zwanglosen Gang – lauter Zeichen innerlicher Befriedigung, die ja die Mutter des freudigen und felsenfesten Selbstvertrauens ist. Dabei spruhte er sozusagen von gesunder Lebenskraft, die sich gern in Beweisen von Muth und Hochherzigkeit kundgiebt.

Die Reporter traten in das Speisezimmer ein.(S. 55.)

Nachdem er sich als talentvoller Maler erwiesen hatte, entschlo? er sich, Canada mit den Vereinigten Staaten, Quebec mit Chicago zu vertauschen. Sein Vater, ein fruherer Officier, hatte nur wenig hinterlassen, und wenn er sein Gluck zu machen strebte. geschah das mehr um seiner Mutter als um seiner selbst willen.

Kurz, nachdem sich herausgestellt hatte, da? Max Real sich nicht in Nr. 3997 der Halsted Street befand, verlohnte es sich nicht besonders, Tommy um ihn auszufragen. Der »Chicago Globe« wu?te genug, die Neugierde seiner Leser, soweit es sich um den jungen Kunstler handelte, zu befriedigen. War Max Real heute nicht in Chicago, so war er doch gestern hier gewesen und wurde sicherlich am 15. April wieder erscheinen, ware es auch nur, um der Testamentseroffnung beizuwohnen und die Gruppe der »Sechs« im Saale des Auditoriums vollmachen zu helfen.

Ganz anders gestalteten sich die Dinge, als die Abgesandten des »Daily News Record« die Wohnung Harris T. Kymbale’s aufsuchten. Nach dessen Hause, Milwaukee Avenue 213, hatte man sich gar nicht zu bemuhen brauchen, er ware schon allein gekommen, um seine Collegen uber alles Wissenswerthe aufzuklaren.

Harris T. Kymbale war selbst Journalist, der erste Stadtberichterstatter der so verbreiteten »Tribune«. Siebenunddrei?ig Jahre alt, mittelgro?, von kraftiger, aber angenehmer Erscheinung, mit einer echten Spurnase ausgestattet, mit kleinen, scharf blickenden Augen, mit seinen Ohren, die geschaffen schienen, alles zu horen, und einem Munde, der es gar nicht erwarten zu konnen schien, alles zu wiederholen, so zeigte sich der Mann – beweglich wie Quecksilber, thatig, alles durchschauend, anregend, plauderlustig, ausdauernd, unermudlich, energisch und als ein Freund von »Bluffs« (lustiger Streiche), den Gasconnaden der Amerikaner. Im Gefuhl seiner Kraft und immer zur Thatigkeit bereit, sowie mit einer Willenskraft ausgerustet, die stets sich in Handlungen zu ubersetzen bereit war, hatte er Hagestolz bleiben wollen, wie sich das ja einem Manne geziemt, der taglich die das Privatleben schirmenden Mauern zu ubersteigen versuchen mu?. Im ganzen ein braver, zuverlassiger und von seinen Collegen geschatzter Mann, dem niemand das Gluck mi?gonnte, zu den beruhmten »Sechsen« zu gehoren, im Fall, da? diese sich wirklich in die irdischen Schatze William I. Hypperbone’s zu theilen hatten.

Nein, es war unnothig, Harris T. Kymbale uberhaupt um etwas zu befragen, denn er rief seinen Berufsgenossen schon bei deren Eintreten zu:

»Ja, ja, liebe Freunde, ich bin es, ich in leibhaftiger Person, der zu dem Rathe der Sechs gehort! Sie haben mich doch gestern an dem Ehrenplatze neben dem Leichenwagen marschieren sehen? – Haben Sie auch meine wurdige und streng angepa?te Haltung beobachtet und wie ich mich bemuhte, meine freudige Stimmung zu unterdrucken, obwohl mir ein so lustiges Begrabni? in meinem Leben noch nicht vorgekommen ist?… Wissen Sie, was ich mir dabei sagte?… Wenn der ehrbare Mann nun gar nicht todt ware… wenn seine Stimme aus dem Sarge herausgedrungen… und er erzlebendig erschienen ware! Und wenn das geschah, wenn sich William I. Hypperbone in ganzer Lange aufrichtete, wie ein neuer Lazarus sein Grab sprengte, ich hatte nicht den bosen Gedanken

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