Zahne gekommenem Munde, zur Ehre der Meisterschaft im volksthumlichen Boxen, hervorgehen.

Tom Crabbe war ein Berufsboxer, zur Zeit der Champion der Neuen Welt, seitdem es ihm gelungen war, den beruhmten Fitzsimons, der 1897 den nicht weniger beruhmten Corbett besiegt hatte, zweifellos zu uberwinden.

Die Berichterstatter drangen ohne Schwierigkeiten in das Haus John Milner’s ein und wurden hier im Erdgescho? von diesem Faustkampflehrer empfangen. Das war ein Mann von mittlerer Gro?e, aber von unglaublicher Magerkeit, dessen Haut unmittelbar uber die Knochen gespannt zu sein schien – dagegen war alles an ihm Muskel, alles Nerv; dazu hatte er durchdringende Augen, spitze Zahne, ein glatt rasiertes Gesicht und zeigte die Beweglichkeit der Gemse und die Gewandtheit des Affen.

»Tom Crabbe?… fragte man ihn.

– Der vollendet eben sein erstes Fruhstuck, antwortete eine scharfe Stimme.

– Konnen wir ihn sehen?

– Um was handelt es sich?

– Um das Testament William I. Hypperbone’s; auch wollten wir von ihm in unserer Zeitung sprechen.

– Ah, wenn von Tom Crabbe offentlich die Rede sein soll, ist er immer zu sprechen.«

Die Reporter traten in das Speisezimmer ein und sahen sich hier dem Gesuchten gegenuber. Er verschlang eben die sechste Schnitte rohen Schinkens, die sechste Scheibe Butterbrot, die sechste Pinte Halb und Halb in Erwartung des Thees, der in einem gro?en Kessel angesetzt war, und die sechs Glaschen Wisky, die gewohnlich sein erstes Fruhstuck abschlossen, welches er fruh halb acht Uhr verzehrte und dem im Laufe des Tages noch funf andere regelma?ige Mahlzeiten folgten. Man erkennt hieraus schon die hervorragende Rolle, die die Zahl sechs im Leben des beruhmten Boxers spielte, und vielleicht war es deren geheimer Einflu? gewesen, dem er seine Zugehorigkeit zur Gruppe der Erben William I. Hypperbone’s verdankte.

Tom Crabbe war ein Kolo?, zehn Zoll uber sechs englische Fu? hoch und drei Fu? von einer Schulter zur andern breit. Er hatte einen gro?en Kopf mit straffem schwarzen Haar, das auf dem Schadel fast ganz glatt weggeschoren war, unter dichten Brauen runde, glotzende Augen, eine niedrige, stark abfallende Stirn, abstehende Ohren, machtige Kiefer, einen starken, an der Verbindungsstelle der Lippen abgeschnittenen Schnurrbart, noch alle seine Zahne, denn auch die heftigsten Faustschlage hatten keinen davon in ihrer Grube lockern konnen, einen Brustkasten wie eine Biertonne, Arme wie Blauelstangen und Beine wie Granitpfeiler, die auch nothwendig waren, dieses gewaltige menschliche Bauwerk sicher zu tragen.

Menschliche?… Ist das richtig?… Nein, thierische, denn aus der ganzen riesigen Erscheinung sprach etwas Thierisches. Seine Organe fungierten wie eine Maschine die man in Gang gesetzt hatte – eine Maschine, deren Mechaniker John Milner war. Beruhmt in Nord-und in Sudamerika, kummerte er sich doch kaum um seine Beruhmtheit. Essen, trinken, boxen, schlafen, darum drehte sich, ohne jede geistige Thatigkeit, sein ganzes Dasein. Begriff er wohl, was der Zufall fur ihn gethan hatte, als er ihn der Gruppe der »Sechs« angliederte? Wu?te er, zu welchem Zwecke er gestern unter dem Zujauchzen der Volksmenge mit drohnend schwerem Schritte neben dem Leichenwagen her getrottet war?… Vielleicht ein wenig; sein Traineur wu?te es dafur aber um so besser, und wurde auch spater wissen, alles zum eignen Vortheil mit auszunutzen, was jener diesem Glucksfall etwa verdankte.

Es folgt hieraus, da? es John Milner war, der die Fragen der Reporter bezuglich Tom Crabbe’s beantwortete. Er gab diesen Aufschlu? uber alle Einzelheiten, die fur die Leser der »Freien Presse« von Interesse sein konnten: uber das Gewicht des Mannes – funfhundertdreiunddrei?ig (amerikanische) Pfund vor dem Essen und funfhundertvierzig nachher – uber seinen Taillenumfang von genau sechs Fu? zehn Zoll, uber seine Korperkraft, die am Dynamometer gemessen funfundsiebzig Meterkilogramm, das hei?t eine Pferdekraft, erreichte, uber die Kraft, mit der er die Kiefer zusammenpressen konnte, gleich zweihundertvierunddrei?ig Pfund, uber sein Alter: drei?ig Jahre sechs Monate und siebzehn Tage, uber seine Eltern, den Vater, der Packer oder Schlachter im Hause Armour, und uber die Mutter, die offentliche Ringkampferin im Cirkus von Swansea gewesen war. Was brauchte es mehr, um einen Artikel von hundert Zeilen uber Tom Crabbe zu schreiben?

»Er spricht ja kaum ein Wort, bemerkte einer der Journalisten.

– Ja, so wenig wie moglich, antwortete John Milner. Wozu sollte es auch dienen, sich die Zunge abzunutzen?

Lissy wollte von einem Interview einmal nichts wissen.(S. 59.)

– Vielleicht… denkt er auch nicht viel mehr?…

– Was konnte ihm das Denken nutzen?…

– Freilich… freilich… wohl nichts, Herr Milner.

– Tom Crabbe ist weiter nichts als eine Faust, setzte der Traineur hinzu, eine geschlossene Faust und gleich bereit zum Angriff wie zur Abwehr!«

Die Reporter der »Freien Presse« zogen sich hierauf zuruck.

»Das reine Thier!… meinte der eine, als sie auf der Stra?e waren.

– Und was fur ein Thier!« antwortete der zweite.

Naturlich meinten sie damit John Milner nicht.

Begiebt man sich nach dem Nordwesten der Stadt, so kommt man nach Ueberschreitung des Boulevard Humboldt in deren siebenundzwanzigstes Quartier. Hier ist der Verkehr weniger lebhaft, die Bevolkerung weniger geschaftig. Wer dahin kommt, konnte sich in die Provinz versetzt glauben, obgleich es in den Vereinigten Staaten eine solche im landesublichen Sinne gar nicht giebt. Jenseits der Wabansia Avenue trifft man auf den unteren Theil der Sheridan Street. Geht man hier bis zur Nr. 19, so sieht man sich vor einem einfachen, siebzehnstockigen und von vielen Miethsparteien bewohnten Hause. In dessen neuntem Stockwerke hatte Lissy Wag eine kleine Wohnung von zwei Zimmern, nach der sie erst heimkehrte, wenn sie als Untercassierin im Modemagazin von Marshall Field ihr Tagewerk vollendet hatte.

Lissy Wag stammte aus einer achtbaren, doch wenig bemittelten Familie, von der sie allein noch ubrig war. Gut erzogen und wohl unterrichtet, wie die meisten jungen Amerikanerinnen, hatte sie sich nach traurigen Schicksalsschlagen, nach dem vorzeitigen Ableben ihres Vaters und ihrer Mutter, die Mittel zu ihrer Existenz mussen durch Arbeit zu gewinnen suchen. Ihr Vater war durch eine ungluckliche See-Versicherungsangelegenheit um seine ganze Habe gekommen, und eine im Interesse der Tochter durchgefuhrte Liquidation hatte dieser auch nichts ubrig gelassen.

Begabt mit entschlossenem Charakter, sicherem Urtheil, klarer Intelligenz und ruhiger Selbstbeherrschung, hatte Lissy Wag moralische Kraft genug, den Muth nicht zu verlieren. Dank der Fursprache einiger Freunde ihrer Familie, war sie dem Inhaber der Firma Marshall Field empfohlen worden und nahm bei diesem seit funfzehn Monaten eine recht angenehme Stellung ein.

Es war ein sehr hubsches junges Madchen von einundzwanzig Jahren und von Mittelgro?e, mit blondem Haar, tiefblauen Augen und hubscher, von Gesundheit zeugender Hautfarbe. Dabei hatte sie einen eleganten Gang und etwas ernste Gesichtszuge, nur zuweilen belebt von sanftem Lacheln, das dann zwei Reihen schoner Zahne zwischen den Lippen aufleuchten lie?. Immer liebenswurdig, gefallig, zuvorkommend und wohlwollend, hatte sie unter ihren Bekannten nur Freunde.

Von einfachem Geschmack, sehr bescheiden, ohne Ehrgeiz und ohne sich je Traumereien hinzugeben, zu denen sich viele ja so leicht verirren, wurde Lissy Wag sicherlich am allerwenigsten von den »Sechs« erregt, als sie erfuhr, da? der Zufall sie rief, an dem Leichenbegangnisse theilzunehmen. Anfanglich wollte sie es ablehnen, eine solche Art offentlichen Auftretens widerstrebte ihr. Ihren Namen und ihre Person der offentlichen Neugierde preisgegeben zu sehen, das erfullte sie mit tiefem Widerwillen. Sie mu?te ihren, doch gewi? ganz ehrenhaften Gefuhlen Gewalt anthun, und nur mit schwerem Herzen und dusterer Stirn nahm sie ihren Platz neben dem Wagen ein.

Wir mussen hier hervorheben, da? eine ihrer vertrautesten Freundinnen alles aufgeboten hatte, den Widerstand des jungen Madchens zu besiegen. Das war die lebhafte, heitere, lachlustige, zweiundzwanzigjahrige Jovita Foley, die, wie sie recht gut wu?te, weder schon noch ha?lich war, durch ihre geistvollen, wenn auch etwas spottlustigen und seinen Gesichtszuge und ihre liebenswurdige Natur aber uberall den besten Eindruck machte und die mit Lissy Wag in engster Freundschaft verbunden war.

Die beiden jungen Madchen wohnten auch beisammen, und nachdem sie im Geschaft von Marshall Field, wo

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