– Gut, das ist abgemacht, sagte Thomas R. Carlisle; doch wann werden Sie, Herr Tornbrock, das eigentliche Testament eroffnen?

– Vierzehn Tage nach dem Begrabni?.

– Erst in vierzehn Tagen?…

– Erst dann… wie es eine hier folgende Anmerkung vorschreibt… also am funfzehnten April.

– Und warum diese Verzogerung?

– Weil mein Client, ehe er seinen letzten Willen offentlich bekannt werden lie?e, wunschte, die zweifellose Gewi?heit erlangt zu sehen, da? er unwiderruflich aus dieser Welt geschieden sei.

– Ein praktischer Mann, unser Freund Hypperbone! meinte Georges B. Higginbotham.

– Man konnte es unter so ernsten Umstanden gar nicht noch mehr sein, setzte Thomas R. Carlisle hinzu, und wenn man sich nicht gerade verbrennen lie?e…

– Da liefe man, beeilte sich der Notar einzuwenden, auch noch Gefahr, lebendig verbrannt zu werden…

– Gewi?, stimmte der Clubvorsitzende ihm zu, doch wenn das einmal geschehen ist, wei? einer wenigstens, da? er sicherlich todt ist!«

Von einer Einascherung der Leiche William I. Hypperbone’s war inde? keine Rede – diese lag schlecht und recht in einem Prunksarge unter dem Behange des Wagens.

Selbstverstandlich hatte sich die Nachricht von dem Heimgange William I. Hypperbone’s in der Stadt schnell verbreitet und eine wahrhaft wunderbare Wirkung hervorgebracht.

Von der ersten Stunde an wu?te man daruber folgendes:

Am Nachmittage des 30. Marz hatte das ehrenwerthe Mitglied des Excentric Club mit zwei seiner Collegen vor der Tafel des edlen Gansespiels gesessen. Eben hatte er den ersten Wurf gethan und dabei neun (6+3) erzielt – ein sehr glucklicher Anfang, der ihn gleich nach dem sechsundfunfzigsten Felde brachte.

Da steigt ihm das Blut zu Gesicht, seine Glieder strecken sich aus. Er will sich erheben, taumelt bei dem Versuche, streckt die Hande vor und ware unfehlbar auf dem Parquet zusammengebrochen, wenn John T. Dickinson und Harry B. Andrews ihn nicht in den Armen aufgefangen und auf ein Sopha niedergelegt hatten.

Jetzt galt es, schleunigst einen Arzt herbeizuschaffen. Es kamen ihrer gleich zwei. Ihre Aussage ging dahin, da? William I. Hypperbone einer Gehirncongestion erlegen, da? es mit ihm vorbei sei, und, das wei? der Himmel, der Doctor H. Burnham aus der Cleveland Avenue und der Doctor S. Buchanan aus der Franklin Street verstanden sich auf Todesfalle.

Eine Stunde spater war der Verblichene schon nach dem Wohnzimmer in seinem gro?en Hause geschafft und der sofort benachrichtigte Notar Tornbrock, ohne einen Augenblick zu verlieren, dahin geeilt.

Die erste Sorge des Notars bestand darin, den Umschlag zu erbrechen, der bezuglich der Bestattung die Anordnungen des Entschlafenen enthielt. Durch diese wurde er beauftragt, ohne Zogern die sechs Personen auslosen zu lassen, die sich dem Gefolge beim Begrabni? anschlie?en sollten und deren Namen mit mehreren hunderttausend andern in einer gro?en, in der Mitte der Hausflur stehenden Urne enthalten waren.

Als diese wunderliche Vorschrift bekannt wurde, uberfiel den Notar Tornbrock, wie man sich leicht denken kann, eine ganze Wolke von Journalisten, die Berichterstatter der »Chicago Tribune«, des »Chicago Inter-Ocean« und des »Chicago Evening Journal« (das sind lauter republikanische, also conservative Blatter), ebenso wie die des »Chicago Globe«, »Chicago Herald«, der »Chicago Times«, »Chicago Mail« und »Chicago Evening Post« (lauter demokratische, also liberale Blatter), ihnen schlossen sich aber auch die der »Chicago Daily News«, des »Daily News Record«, der »Freien Presse« und der »Staatszeitung« (politisch unabhangige Blatter) an. Das vornehme Haus in der La Salle Street wurde den ganzen halben Tag gar nicht leer. Die Ausstoberer von Neuigkeiten, die Lieferanten fur die Rubrik »Verschiedenes« und die Redacteure fur Aufsehen erregende Stadtchronik stromten aber nicht etwa hierher, um einer vor dem anderen Einzelheiten uber den Tod William I. Hypperbone’s einzuheimsen, uber die Ursachen, die bei dem beruhmten Wurfelfall von 6+3 ihn so unerwartet hinweggerafft hatten… nein, alle waren auf die sechs Namen, die aus der Urne hervorgehen sollten, gespannt.

Von der Menge arg bedrangt, wu?te sich Meister Tornbrock als hervorragend praktischer Mann – was ubrigens seine allermeisten Landsleute in hohem Grade sind – aus der Verlegenheit zu helfen. Er erklarte, die Namen zur Versteigerung bringen zu wollen, sie nur dem Journale zu liefern, das den hochsten Preis dafur zahlen wurde, unter dem Vorbehalt, da? die erreichte Summe zwischen zweien der einundzwanzig Krankenhauser der Stadt vertheilt wurde.

Den Sieg uber ihre Mitbewerber trug die »Tribune« davon – mit zehntausend Dollars, ja, bis so weit trieb sie in hartem Kampfe mit dem »Chicago Inter-Ocean« den Preis hinaus.

An diesem Tage rieben sie sich schmunzelnd die Hande, die Verwalter der Charitable Eye and Ear Infirmary, 237, W. Adams Street, und die des Chicago Hospital for Women and Children, W. Adams Street, Corner Paulina!

Welcher Erfolg aber am nachsten Tage auch fur das einflu?reiche Blatt, und welch hubsche Einnahme erzielte es aus einer besonderen zweiten Ausgabe von zwei Millionen funfmalhunderttausend Exemplaren! Hunderttausendweise mu?ten diese nach den damals bestehenden einundfunfzig Staaten der Union versendet werden.

»Die Namen, riefen seine Austrager, die Namen jener sechs Glucklichen von uns, die die Verlosung aus der Einwohnerschaft Chicagos bestimmt hatte!«

Es waren die sechs »Chanoards« (Gluckskinder), wie man sie unter Entlehnung dieses Ausdruckes aus dem Worterbuche nannte, das die franzosische Akademie unlangst mit diesem neuen Worte bereichert hatte – oder auch abgekurzt die »Sechs« zu nennen beliebte.

Solche Larm machende Wagnisse lagen ubrigens in der Gepflogenheit der »Tribune«; doch was konnte sich auch das wohlunterrichtete Blatt aus der Dearborn und Madison Street nicht leisten, das mit dem Budget von einer Million Dollars rechnet und fur dessen, mit tausend Dollars aufgelegte Actien heute funfundzwanzigtausend bezahlt werden?

Abgesehen von der regelrechten Nummer des 1. April veroffentlichte die »Tribune« die sechs Namen auch mittelst besonderer Liste, die ihre Vertreter bis in die entferntesten Ortschaften der Republik der Vereinigten Staaten massenhaft verbreiteten.

Wir geben hier in der durch das Los bestimmten Reihenfolge diese Namen wieder, die lange Monate hindurch wegen ganz au?ergewohnlicher Umstande, welche auch der findigste europaische Romandichter nicht hatte ersinnen konnen, in der halben Welt widerhallen sollten:

Max Real.

Tom Crabbe.

Hermann Titbury.

Harris T. Kymbale.

Lissy Wag.

Hodge Urrican.

Wie man sieht, gehoren von diesen sechs Auserwahlten funf dem starkeren und nur eine Person dem schwacheren Geschlechte an – wenn diese Bezeichnung noch passend ist, wo es sich um amerikanische Frauen handelt.

Die offentliche Neugierde sollte in der ersten Stunde jedoch nicht vollkommen befriedigt werden – man fragte sich nun, wer die Trager dieser sechs Namen seien, wo sie wohnten, welcher Gesellschaftsclasse sie angehorten u. dgl. Daruber konnte die »Tribune« ihren unzahligen Lesern freilich vorlaufig nichts mittheilen.

Ja, lebten sie denn zur Zeit auch noch, die Auserwahlten der posthumen Verlosung? Diese Frage erschien doch nicht unwichtig.

Die Einlegung der Namen in die Urne war schon vor einiger Zeit, vor mehreren Monaten erfolgt, und angenommen, da? inzwischen keiner von denen, die das Los bestimmt hatte, gestorben war, so konnte doch der oder jener Amerika verlassen haben.

Waren sie aber in der Lage, den Bestattungszug zu begleiten, so nahmen sie, wenn auch darum vorher nicht befragt, ohne Zweifel ihre Platze um den Wagen ein. Es erschien ja ausgeschlossen, da? sie abschlaglich antworteten, da? sie der absonderlichen, doch ernsthaft gemeinten Aufforderung William I. Hypperbone’s – der sich wenigstens nach seinem Hintritt als excentrisch erwies – nicht nachkommen und damit auf die Vortheile verzichten sollten, die das im Bureau des Notar Tornbrock niedergelegte Testament ihnen ohne Zweifel zuwandte.

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