Dann fragte Paschka mit gedampfter Stimme:

»Toschka, was ist dort gewesen – hinter dem Einbahnzeichen?«

»Eine eingefallene Brucke«, antwortete Anton. »Und das Skelett eines Deutschen, mit Ketten an ein MG geschmiedet.« Er uberlegte kurz und fugte dann hinzu: »Das MG ist schon halb in der Erde versunken …«

»Hmm, ja …«, sagte Paschka. »Das kommt vor. Und ich, ich hab dort hinten einem sein Auto reparieren geholfen.«

1

Als Rumata am Grab des heiligen Micky – dem siebten und letzten auf dieser Strecke – vorbeikam, war es schon ganz dunkel. Der vielgepriesene Chamacharische Hengst, den er Don Tameo beim Kartenspiel abgewonnen hatte, war in Wirklichkeit ein elender Klepper. Der Schwei? rann dem Tier in Stromen herab, es stolperte in einem fort, und sein unregelma?iger Trab glich eher den Bewegungen eines schwankenden Schiffs. Rumata druckte ihm die Knie in die Flanken und schlug es mit den Handschuhen zwischen die Ohren. Aber das Pferd nickte nur mude mit dem Kopf, sein Gang wurde nicht schneller. Am Weg standen Busche, die in der spaten Dammerung wie erstarrte Rauchwolken wirkten. In lastigen Schwarmen schwirrten die Mucken um den Kopf des Reiters. Am dusteren Himmel zitterten einzelne mattgelbe Sterne. In leichten, ungleichma?igen Sto?en blies ein abwechselnd warmer und kalter Wind, wie er an diesem Kustenstreifen mit seinen schwulen, staubigen Tagen und frostigkalten Nachten im Herbst immer anzutreffen ist.

Rumata hullte sich dichter in seinen Mantel und lie? die Zugel los. Es hatte keinen Sinn, sich zu beeilen. Bis Mitternacht war noch eine ganze Stunde, und der Schluckaufwald trat schon am Horizont als schwarzgezahnter Saum hervor. Links und rechts vom Weg zogen sich unordentlich gepflugte Felder dahin, im fahlen Sternenlicht schimmerten Sumpfe, die nach Verwesung stanken, und hie und da tauchten die schaurigen Silhouetten von Hugeln mit halb vermoderten Pfahlzaunen aus der Zeit der Gro?en Invasion auf. Ganz in der Ferne zungelte der murrisch flackernde Schein eines Feuers auf und nieder: Wahrscheinlich brannte dort ein Dorf, eines von den unzahligen gleichformigen Elendsnestern, die bis vor kurzem Namen getragen hatten wie »Todesweiler«, »Galgenbuhl« oder »Rauberschlupf«, auf kaiserlichen Befehl aber umbenannt wurden in »Blumenhain«, »Friedensgrund« und »Engelsdorf«. Uber Hunderte von Meilen erstreckte sich dieses Land, von den Ufern der gro?en Bucht bis zum nichtgeheueren Schluckaufwald. Ein Land, uberzogen von lastigen Muckenschwarmen, durchfurcht von Schluchten, halberstickt von Sumpfen, erschuttert von Fieberschauern und standig bedroht von Seuchen und einer ubelriechenden Art von Schnupfen.

An einer Wegkrummung trat eine dunkle Figur aus den Buschen. Der Hengst fuhr zusammen und ri? den Kopf hoch. Rumata ergriff rasch die Zugel, zupfte sich mit einer Handbewegung nach alter Gewohnheit die Spitzen seines rechten Armels zurecht und fa?te auch schon nach seinem Schwert. Dann sah er genauer hin. Der Mann am Weg nahm seinen Hut ab.

»Guten Abend, edler Don«, sagte er leise. »Ich bitte um Verzeihung.«

»Was ist?« erkundigte sich Rumata. Er horchte angespannt ins Gestrupp.

Es gibt eigentlich keinen lautlosen Hinterhalt. Die Rauber verrat das Singen ihrer Bogensehnen, die Manner der grauen Miliz rulpsen unaufhaltsam vom schlechten Bier, die Rotten der Barone grunzen vor Gier und rasseln mit den Sabeln, und die Monche – auf ihrer Jagd nach Sklaven – kratzen sich in einem fort ganz laut. Im Gebusch aber war es ruhig. Nein, dieser Mensch ist kein Heckenschutze, dachte Rumata. Er sah einem Heckenschutzen auch ganz und gar nicht ahnlich: Es war ein kleiner, untersetzter Stadter in einem nicht gerade teuren Uberwurf.

»Erlaubt Ihr mir, neben Euch herzulaufen?« fragte er den Reiter und verbeugte sich dabei.

»Komm«, sagte Rumata und spielte mit den Zugeln. »Kannst dich am Steigbugel festhalten.«

Der Mann ging neben ihm her. Seinen Hut hielt er in der Hand, und auf seinem Kopf prangte eine ausgewachsene Glatze. Ein Gutsverwalter, dachte Rumata. Besucht Barone und Viehhandler, kauft Flachs und Hanf auf. Jedenfalls ein mutiger Verwalter … Vielleicht aber auch gar kein Verwalter. Vielleicht ein »Bucherwurm«. Ein Fluchtling. Eine gestrandete Existenz. Zur Zeit gibt es viele von dieser Sorte auf den nachtlichen Wegen, mehr als Gutsverwalter … Vielleicht ist er aber ein Spion. »Wer bist du und woher kommst du?« fragte Rumata. »Man nennt mich Kiun«, antwortete mit wehmutiger Stimme der Mann. »Und ich komme aus Arkanar.«

»Du fluchtest aus Arkanar«, sagte Rumata und neigte sich ein wenig zu ihm hinunter. »Ja«, antwortete der Mann traurig.

Irgendein Spinner, ein Sonderling, dachte Rumata. Oder doch ein Spion? Ich werde ihn im Auge behalten … Aber warum ihn eigentlich im Auge behalten? Wem ist schon damit gedient? Wer bin ich denn, da? ich ihn prufen will? Ich will ihn gar nicht beobachten! Warum soll ich ihm nicht einfach glauben? Kommt ein Mann daher, ganz offensichtlich ein Intellektueller, auf der Flucht, es geht um sein Leben … Er

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