Der nur zur Beforderung von Reisenden bestimmte Wagen enthielt weder Waarenballen noch Mundvorrathe. Man denke sich einen auf vier massiven Radern ruhenden Wohnwagen, der von sechs Ochsen gezogen wurde. Am Vordertheile hatte er eine Thur, an den Seiten kleine Fenster, und im Innern war er durch eine Scheidewand in zwei gleichgro?e Raume getheilt. Der hintere Raum beherbergte zwei junge Manner von funfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahren: einen Amerikaner Namens John Cort, und einen Franzosen Namens Max Huber. Den vorderen Raum bewohnte ein portugiesischer Handler mit Namen Urdax, und ein sogenannter »Foreloper« Namens Khamis. Dieser Foreloper – d. i. der Mann, der eine Karawane gewohnlich anfuhrt – war ein Eingeborner von Kamerun und hatte viel Uebung und Erfahrung als Fuhrer durch die brennend hei?en Gebiete von Ubanghi.

Selbstverstandlich lie? die Bauart des Wagens hinsichtlich der Haltbarkeit nichts zu wunschen ubrig. Jetzt, nach einer langen und beschwerlichen Fahrt, befand sich sein Kasten im besten Zustande, seine Rader erschienen am Felgenkranze kaum abgenutzt, die Achsen waren weder gesprungen noch verbogen – kurz, man hatte gemeint, er kame nur von einer funfzehn bis zwanzig (englische) Meilen langen Spazierfahrt heim, wahrend die von ihm durchmessene Strecke doch uber zweitausend Kilometer betrug.

Vor drei Monaten hatte dieses Gefahrt Libreville, die Hauptstadt des franzosischen Congogebiets, verlassen. Die Richtung nach Osten einhaltend, war es uber die Ebenen von Ubanghi hinweg bis uber den Lauf des Bahar-el- Abiad, eines der Zuflusse des im Suden gelegenen Tchadsees, hinausgekommen.

Die Gegend verdankt ihren Namen einem der bedeutendsten Nebenflusse am rechten Ufer des Congo oder Zaire. Sie liegt im Osten von Deutsch-Kamerun, dessen Gouverneur gleichzeitig das Amt eines deutschen Generalkonsuls fur Westafrika verwaltet, ihre Grenzen sind aber auch auf den neuesten Landkarten noch nicht mit voller Bestimmtheit eingetragen. Ist das Gebiet auch nicht gerade eine Wuste –hochstens eine solche mit dem uppigsten Pflanzenwuchs. also ohne jede Aehnlichkeit mit der Sahara – so bildet es doch eine ungeheuere Landstrecke, auf der die einzelnen Dorfer stets sehr weit von einander entfernt liegen. Unter den hier siedelnden Volksstammen herrscht ein unausgesetzter Krieg, sie machen einander zu Sklaven oder todten sich gegenseitig, ja sie nahren sich sogar vielfach noch von Menschenfleisch, wie z. B. die Mubullus zwischen dem Nil und dem Congobecken. Noch abscheulicher erscheint es, da? gewohnlich Kinder zur Befriedigung ihrer kannibalischen Geluste dienen mussen. Die Missionare sind deshalb eifrig bemuht, die kleinen Wesen zu retten, indem sie diese entweder gewaltsam entfuhren oder sie von den Siegern zuruckkaufen, wonach sie die Kleinen in den langs des Sirambaflusses gelegenen Missionen im christlichen Sinne erziehen. Diese Missionen mu?ten ubrigens alle aus Mangel an Mitteln uber kurz oder lang eingehen, wenn sie von den europaischen Staaten, vorzuglich von Frankreich, nicht in hochherziger Weise unterstutzt wurden.

Hier sei auch daran erinnert, da? in Ubanghi die Kinder der Eingebornen bei vorkommenden Handelsgeschaften geradezu als Munze betrachtet werden. Man bezahlt mit kleinen Knaben und kleinen Madchen die Bedarfsgegenstande, die von reisenden Kaufleuten bis ins Herz des Landes gebracht werden.

Der reichste Eingeborne ist hier also der, dessen Familie die zahlreichste ist.

War der Portugiese Urdax nun auch nicht aus Handelsinteresse durch diese weiten Ebenen gezogen und mit den Uferbewohnern in Ubanghi nicht in naheren Verkehr getreten, da er keinen anderen Zweck verfolgte als den, sich durch die gerade hier noch sehr ergiebige Elefantenjagd eine gewisse Menge Elfenbein zu verschaffen, so konnte ihm doch nicht jede Beruhrung mit den wilden Volkerschaften des Congobeckens erspart bleiben. Wiederholt hatte er die Angriffe feindseliger Horden abweisen und zu Vertheidigungszwecken die Feuerwaffen gebrauchen mussen, die ursprunglich nur zur Jagd auf Pachydermen bestimmt waren. Im ganzen war der Jagdzug jedoch glucklich abgelaufen und hatte unter den Leuten der Karawane kein einziges Opfer gefordert.

Am Rande eines Dorfes in der Nahe der Quellen des Bahar-el-Abiad war es nun John Cort und Max Huber gelungen, ein Kind dem es erwartenden, schrecklichen Lose zu entrei?en, indem sie den Knaben um den Preis einiger Glaswaaren loskauften. Der glucklich Befreite war etwa zehn Jahre alt, von kraftigem Korperbau und von ansprechendem, freundlichem Gesicht, das kaum den Negertypus erkennen lie?. Wie es bei manchen Stammen vorkommt, hatte der Knabe eine fast ganz helle Haut, blondes Haar statt des krausen Wollkopfes der Neger, mehr eine Adler- als eine aufgeworfene Nase und seine, nicht wie gewohnlich wulstige, Lippen. Aus seinen Augen leuchtete eine angeborene Intelligenz, und er empfand fur seine Retter bald eine Art kindlicher Liebe.

Das arme, seinem Stamme, nicht seiner Familie entrissene Kind – denn es kannte weder Vater noch Mutter – fuhrte den Namen Llanga. Nachdem es kurze Zeit von Missionaren unterrichtet worden war, die ihm auch ein wenig Franzosisch und Englisch gelehrt hatten, war es durch unglucklichen Zufall feindlichen Denkas in die Hande gefallen, und welches Schicksal seiner hier wartete, kann man ja leicht errathen.

Eingenommen von seiner herzlichen Zuneigung und der ungeheuchelten Dankbarkeit, die er ihnen bezeugte, empfanden die beiden Freunde eine immer wachsende Theilnahme fur den Knaben; sie ernahrten ihn, kleideten ihn und ertheilten ihm Unterricht, der sich bei der guten Veranlagung ihres Schutzlings recht erfolgreich gestaltete. Doch wie anders war auch die Lage Llangas gegen fruher geworden! Statt eine lebende Waare zu sein, wie die unglucklichen kleinen Eingebornen, sollte er spater als Adoptivkind Max Huber’s und John Cort’s in den Factoreien von Libreville leben. Die beiden jungen Manner hatten sich seiner einmal angenommen und wurden ihn auch niemals verlassen. Trotz seiner gro?en Jugend hatte er dafur schon Verstandni?, er wu?te sich geliebt, und eine Thrane des Gluckes perlte ihm allemal aus den Augen, wenn Max Huber oder John Cort ihm die Hande auf das Haupt legten.

Als der Wagen Halt gemacht hatte, lagerten sich die von dem langen Wege in der verzehrenden Hitze erschopften Zugochsen auf der Prairie. Sofort eilte auch Llanga, der eine Strecke, bald vor, bald hinter dem Gespann einhergetrottet war, auf seine Beschutzer zu, als diese eben den Wagen verlie?en.

»Bist doch nicht zu sehr ermudet, Llanga? fragte John Cort, indem er die Hand des Knaben ergriff.

– Nein, nein!… Gute Beine… liebe es, ein Stuck zu laufen, versicherte Llanga, der John Cort und Max Huber unbefangen anlachelte.

– Jetzt ist’s aber Zeit, etwas zu essen, sagte der Franzose.

– Essen… ja… mein Freund Max!«

Schnell ku?te Llanga noch die ihm entgegengestreckten Hande und mischte sich dann unter die Trager bei den gro?en Baumen des Hugels.

Wahrend der Wagen ausschlie?lich dem Portugiesen Urdax, ferner Khamis und deren zwei Begleitern vorbehalten war, befand sich das Gepack und die Elfenbeinlast in der Obhut der Leute der Karawane – in der von etwa funfzig Mannern, meist aus Kamerun geburtigen Schwarzen. Diese hatten sich bereits der schweren Sto?zahne der Elefanten entledigt und die Kisten und Kasten abgeladen, die den taglichen Proviant enthielten, Vorrathe, die durch die Jagd in den wildreichen Gegenden von Ubanghi immer erneuert werden konnten.

Diese Schwarzen sind alle an ihre Beschaftigung gewohnte Miethlinge und werden gern ziemlich hoch entlohnt, was ja der reiche Ertrag solcher Jagdzuge leicht gestattet. Man kann sogar sagen, da? sie nie »ihre Eier ausgebrutet haben« – ein dort zu Lande gebrauchlicher Ausdruck zur Bezeichnung der se?haften Eingebornen. Von Kindheit an, an das Tragen gewohnt, werden sie Lasten schleppen, so lange ihre Beine den Dienst nicht versagen. Dieser »Beruf« ist anstrengend genug, wenn er in einem solchen Klima ausgeubt werden mu?. Die Schultern mit dem schweren Elfenbein oder gro?en Proviantbehaltern beladen, wodurch die Haut nicht selten durchgescheuert wird, und oft mit blutenden Fu?en, und der Korper von Stachelgrasern verletzt, denn sie sind fast ohne jede Bekleidung, so wandern sie zwischen dem Sonnenaufgang und der elften Vormittagsstunde dahin und nehmen, wenn die gro?te Tageshitze voruber ist, ihren Marsch bis zum Abend wieder auf. Es liegt jedoch im Interesse der Handler, diese Leute gut zu bezahlen, und sie thun das denn auch, sie gut zu ernahren, und sie ernahren sie auch gut, sie nicht uberma?ig anzustrengen, und sie vermeiden das auch stets. Die mit den Elfenbeinjagden verbundenen Gefahren sind schon nicht gering, ohne von dem immer moglichen Zusammentreffen mit Lowen und Panthern zu reden, und der Herr der Karawane mu? sich da auf sein Personal verlassen konnen. Ist die Ernte an kostbarer Beute beendigt, dann gilt es immer noch, glucklich und womoglich schnell nach den Factoreien an der Kuste zuruckzukehren. Fur die Karawane ist es allemal wichtig, weder durch Versaumni? infolge uberma?iger Anstrengung der Leute aufgehalten zu werden, noch etwa durch Krankheiten, unter denen die gefahrlichen Blattern am meisten zu furchten sind. Von diesen Grundsatzen erfullt und durch lange Erfahrung gewitzigt, hatte der Portugiese Urdax, der auf seine Leute die sorgsamste Rucksicht nahm, bisher mit seinen Fahrten bis ins Herz des Schwarzen Erdtheiles auch immer die besten Erfolge erzielt.

Dasselbe konnte auch von dem jetzt ausgefuhrten Zuge gelten, denn dieser hatte ihm eine betrachtliche Menge sehr schones Elfenbein eingebracht, das in den Gebieten jenseits des Bahar-el-Abiad, fast an der Grenze von Darfur, erbeutet worden war.

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