wenn ihnen der Zettel Walters zugesteckt werden sollte, und gerade jetzt schien Farnham, der in ihrer Nähe umherging, sie kaum aus dem Auge zu verlieren.

Nun lag ja genug Ursache vor, zu glauben, daß Farnham von dem Fluchtversuche wußte und daß er die Gefangenen dabei begleiten sollte. Wenn diese Annahme nun aber doch falsch war, wenn Farnham die Gebrüder Kip im Gespräch mit den Feniers überraschte, dann war voraussichtlich alles verloren. Und doch, nein, Pieter Kip täuschte sich nicht. Die drei Männer tauschten verständnisvolle Blicke aus, Blicke, worin sich Ungeduld und Unruhe stritten. Ihre Erregung gestattete ihnen nicht einmal, an derselben Stelle stehen zu bleiben.

Eben jetzt mußte Farnham auf einen Ruf des Oberaufsehers den Hof zeitweilig verlassen. Beim Weggehen hatte er seinen Landsleuten nicht einmal ein Wort zuflüstern können, was deren Besorgnisse natürlich vermehrte. In der Gemütsverfassung, worin sie sich befanden, kam ihnen alles verdächtig vor. Was konnte man denn von Farnham wollen? Wer hatte ihn rufen lassen? Vielleicht der KapitänKommandant wegen des unglückseligen Zettels? War seine Beteiligung an der Sache entdeckt worden?

Eine Beute ihrer Aufregung, die sie nicht zu unterdrücken vermochten, traten O'Brien und Macarthy einige Schritte nach der Tür des Hofes zu, wie um die Rückkehr Farnhams zu erwarten, und immer in der Furcht, dann selbst gerufen zu werden.

An der halbdunkeln und verlassenen Stelle, wo sie stehen geblieben waren, schien kaum eine Gefahr vorzuliegen, gesehen oder gehört zu werden.

Pieter Kip schritt rasch nach der Stelle zu, trat an die Irländer heran und ergriff mit schneller Bewegung O'Briens Hand, die dieser erst wieder zurück zuziehen suchte.

Im nächsten Augenblicke aber fühlte O'Brien ein Stück Papier zwischen seine Finger gleiten, während Pieter ihm zuraunte:

»Hier ist ein Zettel, der Sie angeht. Gestern hab' ich ihn auf der Straße neben einem Baume aufgehoben. Niemand weiß etwas davon außer meinem Bruder und mir. Ich konnte Ihnen das Blättchen nicht früher geben. Noch ist es jedoch Zeit, es handelt sich um morgen. Sie werden ja sehen, was Sie zu tun haben!«

O'Brien hatte ihn verstanden, war aber vor Aufregung nicht imstande, ein Wort zu erwidern.

Inzwischen war auch Karl Kip herangekommen und sich zwischen Macarthy und dessen Gefährten ein wenig niederbeugend, setzte er hinzu:

»Wir sind keine Mörder, meine Herren, und Sie sehen, wir sind auch keine Verräter!«

Zwölftes Kapitel.

Die Saint-Jamesspitze

Am Abend des nächsten Tages gegen sieben Uhr erhellten plötzlich drei sich schnell folgende Blitze die hohen Mauern der Strafanstalt von Port-Arthur und mächtig rollte der Donner davon weit über Land und Meer hinaus. Es waren das Alarmschüsse, die die ganze Halbinsel Tasman zu strenger Wachsamkeit aufriefen. Die Wachtposten unterhielten dann durch Patrouillen Verbindung miteinander und die Hunde an den Laternenpfählen quer über die Landenge Eagle-Hawk-Neck wurden an noch längere Ketten gelegt. Kein Gebüsch, kein Dickicht des Waldes sollte bei der Durchsuchung durch Polizeisoldaten und Aufseher übergangen werden.

Die drei Kanonenschüsse verkündeten nämlich, daß soeben eine Flucht von Anstaltsinsassen entdeckt worden war, und sofort wurden alle Maßregeln getroffen, das Entkommen der Flüchtlinge von der Halbinsel zu verhindern.

Das Wetter war jetzt übrigens so schlecht, daß es unmöglich schien, auf dem Wasserwege zu entweichen; kein Boot hätte am Ufer anlegen, kein Schiff sich der Küste nähern können. Da die Flüchtigen die Palissaden der Landenge unbedingt nicht durchbrechen konnten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich im Walde zu verbergen, und da würden sie gewiß bald aufgespürt und in den Bagno zurückgebracht werden.

Tatsächlich wehte jetzt ein stürmischer Südwestwind, der das Wasser in der Storm-Bai und seewärts von der Halbinsel tief aufwühlte.

An dem betreffenden Abende war nach der Rückkehr der Sträflinge in die Anstalt das Fehlen von zwei Deportierten aus der fünften Rotte bemerkt worden. Als der an der Spitze des Zuges gehende Oberaufseher die Leute zurückleitete, war ihm deren Verschwinden nicht aufgefallen; die fünfte Rotte stand unter der Aufsicht Farnhams, der sich des besten Vertrauens erfreute.

Erst beim Verlesen am Abend wurde das Fehlen von zwei Sträflingen offenbar, und der Kapitän-Kommandant erhielt sofort davon Nachricht.

Da es sich um die Irländer O'Brien und Macarthy, also um zwei politische Verbrecher handelte, lag es nahe zu vermuten, daß ihre Flucht durch Freunde von außerhalb unterstützt worden sei. Unter welchen Verhältnissen war diese aber vor sich gegangen?, Hatten die Flüchtigen die Insel bereits verlassen oder hielten sie sich noch an einem verabredeten Orte versteckt?, Das waren Fragen, die jetzt, wo die drei Kanonenschüsse das gesamte Personal der Halbinsel auf die Füße gebracht hatten, voraussichtlich bald ihre Lösung finden sollten.

Als Farnham am Abend vorher aus dem Hofe abgerufen worden war, hatte sich das nur um Dienstangelegenheiten gehandelt. Auf ihm lastete ja keinerlei Verdacht, und selbst als seine Abwesenheit zuerst bemerkt wurde, legte man darauf kein besonderes Gewicht. Skirtle und der Oberaufseher glaubten vielmehr, die Irländer könnten sich seiner irgendwie entledigt haben, bevor sie die Flucht ergriffen.

Daß O'Brien und Macarthy sich zu deren Ausführung eines Bootes bedient hätten, war bei dem Zustande des Meeres, wie gesagt, so gut wie unmöglich. Auf Anordnung Skirites begaben sich mehrere Aufseher sofort nach der Landenge, die übrigens schon seit den drei Kanonenschüssen strenger als gewöhnlich überwacht wurde. Hier überzeugte man sich nur, daß mit den

Wachthunden alles in der Ordnung war; die übrigen Hunde aber wurden an beiden Ufern des Eagle-Hawk-Neck losgelassen.

Ein Fluchtversuch ist für die Angestellten und die Insassen einer Strafanstalt allemal ein aufregendes Ereignis. Den Deportierten von Port-Arthur blieb es natürlich auch nicht unbekannt, daß zwei ihrer Genossen, und zwar die Irländer O'Brien und Macarthy, entflohen waren. Welchen Neid mußte dieser Versuch bei den übrigen Elenden erwecken! Sie, die nach gemeinem Recht verurteilt waren, hielten sich ja für nicht schlechter als die wegen politischer Vergehen Verurteilten. Jene Feniers waren einfach Gefangene, wie sie selbst, und jene hatten doch entweichen können! War es ihnen gelungen, die Halbinsel zu verlassen, die Pfahlreihe der Landenge zu durchbrechen? Oder waren sie noch im Walde verborgen und warteten da auf Hilfe von draußen?,

Was da in den Schlafsälen besprochen wurde, das bildete auch den Gegenstand des Gespräches in der Zelle der Gebrüder Kip. Die Holländer wußten aber, was den anderen unbekannt war: daß ein Schiff auf die Flüchtigen wartete, daß ein Boot sie an der Saint-Jamesspitze aufnehmen sollte. Doch ob das Boot zur bestimmten Stunde wohl auch an jener Stelle gelegen hatte?,

»Nein, das ist unmöglich, erklärte Karl Kip, auf eine bezügliche Frage seines Bruders. Über der Storm-Bai rast ein wirklicher Sturm! Kein Boot könnte jetzt anlegen; kein Schiff, und wäre es selbst ein Dampfer, würde sich der Küste soweit zu nähern wagen.

- Dann, meinte Pieter Kip, werden die Unglücklichen genötigt sein, die

Вы читаете Die Gebrüder Kip
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×