hoffnungsvoll.

»Vielleicht«, meinte Inspektor Welch. »Aber wie dem auch sei, er hat es sich jedenfalls beschafft.«

Es folgte ein langeres Schweigen. Dann wandte sich Raymond an Miss Marple, die kerzengerade und nachdenklich in ihrer Ecke sa?.

»Nun liegt's an dir, Tante Jane«, meinte er. »Der Inspektor, der Wachtmeister, Joan, Lou und ich - wir stehen alle vor einem Ratsel. Aber in deinen Augen, Tante Jane, ist doch alles kristallklar. Habe ich nicht recht?«

»Das mochte ich nicht behaupten«, erwiderte Miss Marple, »nicht gerade kristallklar, und ein Mord, lieber Raymond, ist kein Zeitvertreib. Ich glaube nicht, da? die arme Miss Greenshaw gern sterben wollte, und es war ein au?erst brutaler Mord. Sehr gut geplant und durchaus kaltblutig. So etwas zieht man nicht ins Lacherliche.«

»Ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte Raymond beschamt.

»In Wirklichkeit bin ich nicht so abgebruht. Man scherzt manchmal, um das Grauen zu mildern.«

»Da ist, glaube ich, die moderne Tendenz«, sagte Miss Marple.

»Alle diese Kriege, und die Witze bei Beerdigungen. Ja, es war vielleicht gedankenlos von mir zu sagen, du seiest gefuhllos.«

»Es ist ja auch nicht so«, warf Joan ein, »als hatten wir Miss Greenshaw gut gekannt.«

»Das ist sehr richtig«, gab Miss Marple zu. »Du, liebe Joan, hast sie uberhaupt nicht gekannt. Ich ebenfalls nicht. Raymond hat aus einer kurzen Unterhaltung einen fluchtigen Eindruck von ihr gewonnen, und Lou hat sie zwei Tage lang gekannt.«

»Komm, Tante Jane, verrate uns nun endlich deine Ansichten. Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen. Inspektor?«

»Nicht das geringste«, entgegnete der Inspektor hoflich.

»Nun, lieber Raymond, es hat ja so den Anschein, als hatten wir drei Personen, die ein Motiv fur den Mord an der alten Dame hatten oder zu haben glaubten. Und drei einfache Grunde, warum niemand von ihnen es getan haben konnte. Die Haushalterin scheidet aus, weil sie in ihrem Zimmer eingeschlossen war und Miss Greenshaw deutlich erklart hatte, da? ein Mann auf sie geschossen habe. Der Gartner, weil er sich zur Zeit des Mordes im Gasthaus >Hund und Ente< aufhielt. Und der Neffe, weil er um diese Zeit mit seinem Wagen noch etwas weiter vom Tatort entfernt war.«

»Sehr klar ausgedruckt, Madame«, lobte der Inspektor.

»Und da es sehr unwahrscheinlich ist, da? ein Au?enstehender die Tat begangen hat, wo stehen wir da eigentlich?«

»Das mochte der Inspektor auch gern wissen«, bemerkte Raymond West.

»Man betrachtet eine Sache oft von der falschen Seite. Wenn sich nun am Alibi dieser Personen nichts andern la?t, konnten wir dann vielleicht die Zeit des Mordes verlegen?«

»Du meinst, da? weder die Kaminuhr noch meine Armbanduhr richtig gingen?« fragte Lou.

»Nein, liebes Kind, das habe ich ganz und gar nicht gemeint. Ich wollte damit sagen, da? der Mord nicht um die Zeit erfolgte, als du es annahmst.«

»Aber ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen«, rief Lou.

»Nun, liebes Kind, ich habe mir schon uberlegt, ob es nicht beabsichtigt war, da? du es sehen solltest. Ich habe mich gefragt, ob das nicht der eigentliche Grund war, warum du fur diese Arbeit engagiert worden bist.«

»Was soll das hei?en, Tante Jane? Ich verstehe dich nicht.«

»Nun, das Ganze erscheint etwas merkwurdig. Miss Greenshaw gab bekanntlich nicht gern Geld aus, und doch engagierte sie dich und ging bereitwillig auf deine Gehaltsforderungen ein. Es kommt mir so vor, als habe man beabsichtigt, da? du dich da oben im obersten Stock in der Bibliothek aufhalten und aus dem Fenster sehen solltest, damit du - eine Au?enstehende von untadeliger Zuverlassigkeit - bezeugen konntest, da? der Mord zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Platz verubt wurde.«

»Aber du willst doch wohl nicht behaupten«, meinte Lou unglaubig, »da? Miss Greenshaw sich ermorden lassen wollte?«

»Ich will damit nur sagen, liebes Kind, da? du Miss Greenshaw eigentlich gar nicht gekannt hast. Es besteht durchaus kein Grund, warum die Miss Greenshaw, die du gesehen hast, als du dich vorstelltest, dieselbe Miss Greenshaw sein sollte, mit der Raymond sich ein paar Tage vorher unterhalten hat, nicht wahr? Jaja, ich wei?«, fuhr sie rasch fort, um Lous Einwand zuvorzukommen, »sie trug das altmodische Kattunkleid und den seltsamen Strohhut und hatte wirres Haar. Sie entsprach genau der Beschreibung, die Raymond uns am letzten Wochenende gab. Aber diese beiden Frauen waren sich in Alter, Gro?e und Figur ziemlich ahnlich. Ich meine die Haushalterin und Miss Greenshaw.«

»Aber die Haushalterin ist dick!« protestierte Lou. »Sie hat einen gewaltigen Busen.«

Miss Marple rausperte sich.

»Aber mein liebes Kind, heutzutage kann man doch sicherlich ... Ich meine, ich habe - hm - sie schon selbst schamlos in Schaufenstern ausgestellt gesehen. Es ist fur jede Frau sehr leicht, einen - eine Buste in jeder Gro?e und Ausdehnung zu haben.«

»Worauf willst du eigentlich hinaus?« erkundigte sich Raymond.

»Nun, in den zwei oder drei Tagen, als Lou dort arbeitete, hatte meines Erachtens eine Frau gut beide Rollen spielen konnen. Du hast selbst gesagt, Lou, da? du die Haushalterin kaum gesehen hast, abgesehen von dem kurzen Augenblick, wenn sie dir vormittags das Tablett mit dem Kaffee brachte. Auf der Buhne sieht man ja auch diese geschickten Verwandlungskunstler, die nach wenigen Minuten immer wieder in einer anderen Rolle auftreten. Ich bin uberzeugt, da? der Wechsel sich sehr rasch bewerkstelligen lie?. Diese Pompadourfrisur war sicher eine Perucke, die man schnell abnehmen und aufstulpen konnte.«

»Tante Jane! Willst du etwa sagen, da? Miss Greenshaw schon tot war, bevor ich mit meiner Arbeit dort begann?«

»Nicht tot. Aber unter der Einwirkung von Betaubungsmitteln, mochte ich behaupten. Fur eine gewissenlose Frau wie die Haushalterin eine Kleinigkeit. Dann engagierte sie dich und trug dir auf, den Neffen anzulauten und ihn fur eine bestimmte Zeit zum Lunch einzuladen. Die einzige Person, die gewu?t hatte, da? diese Miss Greenshaw nicht Miss Greenshaw war, ware Alfred gewesen. Und wie du dich vielleicht noch entsinnen kannst, waren die ersten beiden Tage, an denen du dort gearbeitet hast, regnerisch, und Miss Greenshaw blieb im Hause. Wegen seiner Fehde mit der Haushalterin lie? sich Alfred nie im Hause blicken. Und am letzten Morgen war Alfred in der Einfahrt, wahrend Miss Greenshaw im Steingarten arbeitete - diesen Steingarten mochte ich mir eigentlich gern ansehen.«

»Willst du damit sagen, da? Mrs. Cresswell die Taterin war?«

»Ich glaube, die Sache verhalt sich folgenderma?en. Nachdem Mrs. Cresswell dir den Kaffee gebracht hatte, schlo? sie dich beim Verlassen des Zimmers ein und trug die bewu?tlose Miss Greenshaw nach unten in den Salon. Dann verkleidete sie sich wieder als Miss Greenshaw und ging nach drau?en, um im Steingarten zu arbeiten, wo du sie vom Fenster aus sehen konntest. Nach einer gewissen Zeit stie? sie einen Schrei aus und kam wankend auf das Haus zu, wahrend sie mit den Handen einen Pfeil umklammerte und so tat, als habe er ihre Kehle durchdrungen. Sie rief um Hilfe, wobei sie sorgsam darauf achtete zu sagen: >Er hat auf mich geschossen<, um jeden Verdacht von der Haushalterin abzulenken. Sie rief auch einige Worte zum Fenster der Haushalterin hinauf, als habe sie sie dort gesehen. Sobald sie dann im Salon war, stie? sie einen Tisch mit Porzellan um und rannte flink nach oben, wo sie ihre Pompadourperucke aufsetzte und wenige Augenblicke spater den Kopf zum Fenster hinausstreckte, um dir zu sagen, da? sie auch eingeschlossen sei.«

»Aber sie war tatsachlich eingeschlossen«, erinnerte Lou.

»Ich wei?. Aber da springt eben der Polizist ein.«

»Was fur ein Polizist?«

»Ganz richtig - was fur ein Polizist? Inspektor, durfte ich Sie vielleicht bitten, mir zu sagen, wie und wann Sie am Tatort eingetroffen sind?«

Der Inspektor blickte ein wenig verdutzt drein.

»Um zwolf Uhr neunundzwanzig erhielten wir einen telefonischen Anruf von Mrs. Cresswell, Haushalterin bei Miss Greenshaw, mit der Meldung, da? ihre Herrin erschossen worden sei. Wachtmeister Cayley und ich fuhren sofort im Wagen dorthin und kamen um zwolf Uhr funfunddrei?ig beim Hause an. Wir fanden Miss Greenshaw tot

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