Sein Redeflu? wurde von dem Alarmgeschmetter, das von den Wachturmen herunterdrohnte, und von den Rufen der Wachtposten unterbrochen: »Sie greifen an!«

Vatrenus reagierte wie auf einen Peitschenhieb. Er rief den Standartentrager: »Stellt die Insignien aus! Alle Mann auf die Gefechtsstande! Wurfmaschinen in Schu?position! Bogenschutzen auf die Palisade! Legionare der Nova Invicta, dieses Feld ist ein Zipfel Roms, heiliges Land der Vorfahren. Verteidigen wir es um jeden Preis! Zeigt diesen wilden Tieren, da? die romische Ehre noch lebendig ist!«

Er ergriff einen Wurfspie? und bezog seinen Posten auf den Erdwallen. Im selben Augenblick brach von den Hugeln herunter das Geschrei der heranflutenden Barbaren los, und Tausende und Abertausende von Reitern lie?en mit ihrer wutenden Attacke die Erde erbeben. Sie zogen Karren und Lafetten hinter sich her; diese waren beladen mit zugespitzten Pfahlen, die gegen die Befestigungsanlagen des romischen Lagers geschleudert werden sollten. Die Verteidiger drangten sich zur Palisade, spannten die Sehnen der Bogen und druckten krampfhaft die Spie?e in der Faust. Sie waren bla? vor Anspannung, und ihre Stirn war feucht vom Nebel und von ihrem kalten Schwei?.

II

Orestes nahm die Gaste am Eingang seiner auf dem Hugel gelegenen Villa personlich in Empfang: Es handelte sich um prominente Personlichkeiten der Stadt, Senatoren und hohe Offiziere des Heeres mit ihren Familien im Gefolge. Die Lampen brannten, und gleich sollte das Abendessen serviert werden: Alles war bereit zur Feier des dreizehnten Geburtstages seines Sohnes und der Vollendung des dritten Monats seit seiner Thronbesteigung. Man hatte lange uberlegt, ob das Bankett verschoben werden sollte, angesichts der dramatischen Situation, die durch den Aufstand Odoakers und seiner herulischen und skirischen Hilfstruppen entstanden war, aber am Ende hatte man beschlossen, das Programm nicht zu andern, um keine Panik zu verbreiten. Seine am besten ausgebildete Truppe, die Nova Invicta, die nach Art der alten Legionen ausgerustet war, ruckte in Gewaltmarschen heran; sein Bruder Paulus naherte sich an der Spitze weiterer ausgewahlter Soldaten von Ravenna her, und so wurde die Rebellion bald eingedammt sein.

Doch seine Gemahlin, Flavia Serena, machte einen besorgten und ubellaunigen Eindruck. Orestes hatte bis zu diesem Moment versucht, ihr die Katastrophe des Falls von Pavia zu verheimlichen, aber ihn beschlich die Angst, da? sie womoglich viel mehr wu?te, als sie zu erkennen gab.

Finster und niedergeschlagen dreinblickend, hielt sie sich abseits, in der Nahe der Tur des getafelten gro?en Saales, und ihr Verhalten wirkte auf Orestes wie ein schwerer Vorwurf: Flavia hatte sich immer dagegen ausgesprochen, da? Romulus den Thron bestieg, und das Fest hatte sie uber die Ma?en erbost. Orestes trat an sie heran und versuchte dabei, seine innere Beunruhigung und seinen Mi?mut zu verhehlen. »Warum haltst du dich so abseits? Du bist die Herrin des Hauses und die Mutter des Kaisers. Du solltest im Zentrum der Aufmerksamkeit und der Feierlichkeiten stehen!«

Flavia Serena sah ihren Mann an, als habe er unsinniges Zeug geredet, und antwortete ihm schroff: »Du wolltest deinen Ehrgeiz dadurch befriedigen, da? du ein unschuldiges Kind einer todlichen Gefahr aussetzt.«

»Er ist kein Kind mehr. Er ist fast ein Jungling und bestens darauf vorbereitet, ein gro?er Herrscher zu werden. Daruber haben wir schon oft diskutiert, und ich habe gehofft, da? du mich wenigstens heute mit deiner ublen Laune verschonen wurdest. Schau doch, wie glucklich unser Sohn ist. Auch sein Erzieher, Ambrosinus, ist zufrieden: Er ist ein weiser Mann, dem auch du immer dein Vertrauen geschenkt hast.«

»Du bist ein Traumer, Orestes. Was du aufgebaut hast, ist doch bereits am Zerfallen. Odoakers barbarische Truppen, die deine Macht eigentlich stutzen sollten, haben rebelliert und bringen uberallhin nur Tod und Zerstorung.«

»Ich werde Odoaker zwingen, zu verhandeln und einen neuen Vertrag zu unterzeichnen. Es ist nicht das erste Mal, da? solche Dinge passieren. Und es steht ihnen auch nicht zu, den Zusammenbruch jenes Reiches auszulosen, dessen Landereien und Sold sie in Empfang nehmen.«

Flavia Serena seufzte und senkte fur ein paar Sekunden den Blick, dann sah sie ihren Mann an: »Trifft es zu, was Odoaker behauptet? Stimmt es, da? du ihm als Lohn ein Drittel Italiens versprochen und dann dein Wort nicht gehalten hast?«

»Das ist falsch. Er ... er hat eine meiner Aussagen falsch interpretiert.«

»Das andert nicht viel an der Lage: Wenn er sich behaupten wird, wie wirst du dann wohl unseren Sohn schutzen konnen?«

Orestes nahm ihre Hande in seine. Der Larm des Festes schien nachgelassen zu haben, als ware alles weit weg, gedampft von der Angst, die zwischen ihnen aufstieg wie ein nachtlicher Alptraum. In der Ferne bellte ein Hund, und Orestes bemerkte, wie ein Zittern durch die Hande seiner Gattin lief. »Sei unbesorgt«, sagte er zu ihr. »Wir haben nichts zu befurchten, und weil du wei?t, da? du mir vertrauen kannst, sage ich dir etwas, was ich dir nie zuvor gesagt habe: In diesen Jahren habe ich in gro?er Heimlichkeit eine Spezialtruppe aufgestellt, eine treuergebene und starke Kampfeinheit, die nur aus Italern und Bewohnern der romischen Provinzen besteht und ausgerustet ist wie die Legionen in fruheren Zeiten. Ich habe sie unter den Befehl von Manilius Claudianus gestellt, einem Offizier aus der alten Aristokratie, einem Mann, der lieber sterben wurde als sein Wort zu brechen. Diese Soldaten haben ihre unglaubliche Tapferkeit schon an mehreren Abschnitten unserer Grenze unter Beweis gestellt, und jetzt rucken sie, auf meinen Befehl, in Gewaltmarschen an. Sie konnten innerhalb von zwei oder drei Tagen hier sein. Und auch mein Bruder Paulus fuhrt ein weiteres Kontingent an, das sich von Ravenna aus auf dem Marsch hierher befindet. Und jetzt bitte ich dich, komm und la? uns zu unseren Gasten gehen.«

Flavia Serena schien sich einen Augenblick lang einzureden, da? diese Worte der Wahrheit entsprachen, weil sie im Grunde ihres Herzens nichts anderes wollte, als sie zu glauben. Aber wahrend sie versuchte, ihr Lacheln wiederzufinden, um an dem Empfang teilzunehmen, ertonte das Gebell des Hundes noch lauter, und ihm antwortete fast umgehend ein ganzer Chor von Klaffern. Die Anwesenden blickten sich an, und just in diesem Augenblick der Stille drang ein Alarmschrei vom Hof herauf, und dann rief der langer anhaltende Klang der Horner die Wache zum Appell. Gleich darauf sturzte ein Offizier in den Saal und lief auf Orestes zu. »Wir werden angegriffen, mein Herr! Es sind Hunderte, angefuhrt von Wulfila, Odoakers Stellvertreter!«

Orestes zog ein Sehwert aus einer Rustung, die an der Wand hing, und rief: »Schnell, alle Mann zu den Waffen! Wir werden angegriffen! Ambrosinus, nimm den Jungen und seine Mutter und versteckt euch im Holzschuppen. Ruhrt euch unter gar keinen Umstanden von der Stelle, bis ich komme und euch hole. Schnell, schnell!«

Und schon horte man donnerndes Klopfen am Tor, den Larm eines Rammbocks, der den ganzen inneren Bereich der Villa erbeben lie?. Die Verteidiger liefen auf die Estrade, um den Angriff zuruckzuschlagen, aber in diesem Augenblick wurden schon Dutzende von Leitern gegen die Brustung gelehnt, und Hunderte von Kriegern schwarmten, wilde Schreie aussto?end, von allen Seiten herein. Unter dem Gehammer des Rammbocks gab das Portal plotzlich nach, und ein riesiger Reiter sturmte mit einem akrobatischen Satz seines Pferdes ins Innere des Hauses. Orestes erkannte ihn, warf sich ihm mit gezucktem Schwert entgegen und rief: »Wulfila, du verfluchter Hund!«

Unterdessen hatte Ambrosinus, den entnervten und verangstigten Knaben hinter sich herziehend, das Versteck erreicht, aber in dem ganzen Durcheinander und der Eile gar nicht bemerkt, da? Flavia Serena ihnen nicht gefolgt war. Durch einen Spalt in der Tur wurde Romulus nun Zeuge des Dramas: Er sah die Gaste, der Reihe nach niedergestreckt, im eigenen Blut zu Boden sinken, sah, wie sein Vater sich mit dem Mut des Verzweifelten jenem struppigen Riesen entgegenstellte, sah, wie er verwundet auf die Knie fiel, sich wieder erhob, noch einmal das Schwert schwang, sich bis zum letzten Funkchen Kraft wacker schlug und dann durchbohrt zusammenbrach. Das krampfhafte Zucken seiner Augenlider zerlegte jede Bewegung dieser Tragodie in winzige Teile, zerbrach sie in tausend spitze Splitter, die sich ihm ins Gedachtnis bohrten. Er horte seine Mutter rufen: »Ihr Verfluchten! Verflucht sollt ihr sein!« und sah, wie Ambrosinus ins Freie sturzte, um sie in Sicherheit zu bringen, wahrend sie noch, von Angst gepackt, schrie und sich, neben ihrem sterbenden Mann kniend, die Haare raufte und das Gesicht zerkratzte. Da sturzte auch er ins Freie, entschlossen, lieber mit seinen Eltern zu sterben, als in dieser grausamen Welt allein zuruckzubleiben. Er sah, wie der hunenhafte Krieger seine Hand in das Blut seines Vaters tauchte, sich einen zinnoberroten Streifen auf die Stirn malte und dann auf die Stelle zueilte, auf die Orestes' Schwert gefallen war, um es tollkuhn gegen den Feind zu schwingen, aber Ambrosinus ging ihm im Hagel der Wurfspie?e mit leichten, fast unmerklichen Schritten entgegen, zwischen den Kampfenden hindurch, die sich einen wilden Nahkampf lieferten, und blieb zwischen ihm und dem Schwert eines Barbaren stehen, der in diesem Augenblick angriff. Die Klinge hatte beide getotet, wenn Wulfila den Hieb nicht abgefangen hatte. »Du Idiot!« knurrte er dem Kampfer zu, »siehst du denn nicht, wer das ist?«

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