Livia lehnte an einem Felsen, sie lebte, auch wenn ein Pfeil in ihrer Seite steckte und ihre Gesichtszuge vor Schmerz verzerrt waren.

Romulus brach in Tranen aus. Beim Anblick seiner verwundeten oder gefallenen Gefahrten, den Freunden, die er nie mehr wiedersehen wurde, weinte er herzzerrei?end. Mechanisch wie eine Maschine, doch mit verwundetem Blick, marschierte er immer weiter, bis er am Ufer des Sees stand. Kleine, vom Wind kaum gekrauselte Wellen benetzten seine von Wunden bedeckten Fu?e und leckten an der Spitze seines Schwerts, von dem noch immer das Blut tropfte.

Und plotzlich legte sich wie ein lauer Fruhlingswind das unendliche Verlangen nach Frieden uber ihn und er rief: »Nie wieder Krieg! Kein Blutvergie?en mehr!« Dann wusch er das Schwert im Wasser, bis es wie ein Kristall erstrahlte. Er erhob sich und lie? es um sich rotieren, in Kreisen, die immer weiter wurden, bis er es schlie?lich mit all seiner Kraft in den See schleuderte. Die Klinge flog hoch in die Luft und glanzte hell im Licht der Sonne, um dann wie ein Meteorit herabzusturzen und sich in den Felsen zu bohren, der, von Moos grun uberwachsen, in der Mitte des Sees aus dem Wasser tauchte.

In diesem Augenblick versiegte der letzte Windhauch, und auf der glatten Oberflache des Wassers spiegelte sich wie eine magische Vision die wurdevolle Gestalt seines Meisters Ambrosinus, der zuruckgekommen war und auf dessen Brust ein kleiner silberner Mistelzweig glanzte. Romulus erkannte kaum seine Stimme, als er sagte: »Es ist zu Ende, mein Sohn, mein Herr, mein Konig. Niemand wird je mehr wagen, dich anzutasten, denn du wandertest durch Eis und Feuer und Blut, genau wie dieses Schwert, das den Felsen durchdrungen hat, du Sohn des Drachen, Pendragon.«

Epilog

So wurde die Schlacht am Mons Badonicus, den wir in unserer Sprache Badon nennen, dank der Verdienste des Aurelianus Ambrosius, jenes bescheidenen Mannes und letzten Romers, geschlagen und gewonnen. Und so erfullte sich die Prophezeiung, die mir einst den Anla? gegeben hatte, eine Reise zu unternehmen, die niemand fur moglich hielt. Sie fuhrte mich aus meinem Heimatland nach Italien und dann, viele Jahre spater, aus Italien wieder nach Britannien zuruck. Mein Schuler, fur wenige Tage zum Kaiser der Romer ausgerufen und dann zu endloser Gefangenschaft bestimmt, wurde unter dem Namen Pendragon, »der Sohn des Drachen«, Konig von Britannien - so jedenfalls sahen und bejubelten ihn die Soldaten der letzten Legion am Tage ihres Sieges. Aurelianus blieb als sein Vater immer an seiner Seite, bis er erkannte, da? der Name Pendragon den ursprunglichen Namen Romulus fur immer ausgeloscht und die Liebe zu Ygraine das Herz seines Adoptivsohns vollstandig eingenommen hatte. Da begab er sich mit Livia, der einzigen Trau, die er je geliebt hatte, auf Reisen, und seit damals horte niemand mehr etwas von ihm. Gern stelle ich mir allerdings vor, da? sie in ihre Heimatstadt, das auf dem Wasser erbaute Venetia, zuruckgekehrt sind, um auch weiter wie Romer und nicht wie Barbaren zu leben und wo sie sich eine Zukunft in Frieden und Freiheit aufbauten.

Cornelius Batiatus begleitete sie auf demselben Schiff, doch folgte er ihnen vielleicht nicht bis an das Ziel, das sie fur sich erwahlt hatten, sondern segelte bis zu den Saulen des Herkules, an denen Afrika, seine eigene Heimat, begann. Nie werde ich vergessen, da? es die Warme seines Herzens war, die dem fast leblosen Knaben auf den vereisten Gipfeln der Alpen das Leben zuruckgegeben hatte. Gebe Gott der Herr, da? ihm auf seinem Weg ebenso edle und gro?herzige Menschen begegneten wie er es war.

Der einer sterbenden Welt entsprossene Keim hat in dem fernen Land an den Grenzen der Welt Wurzeln geschlagen und Fruchte getragen. Pendra-gons und Ygraines Sohn steht heute in seinem funften Jahr, wahrend ich mich dazu anschicke, mein Werk zu vollenden. Ihm wurde bei seiner Geburt der Namen Artus gegeben, nach Areturius, was soviel bedeutet wie »der unter den Sternen des Baren Geborene«. Nur wer von den warmen Meeren stammt, vermag seinem Sohn solch einen Namen zu geben, zum Beweis dafur, da? ein Mann die verborgensten Erinnerungen in sich selbst bis zum Tag seines Todes niemals vergi?t, ganz gleich, welches Schicksal ihm auch sonst beschieden sein mag.

Unsere Feinde wurden zuruckgeschlagen, so da? sich unser Reich bis zu der Stadt Caerleon im Suden erstreckte, die wir als eine der ersten Stadte bei unserer Ruckkehr nach Britannien aufgesucht hatten. Ich aber zog es vor, hier im Norden zu bleiben, um in diesem Turm nahe des Gro?en Walls zu wachen und nachzusinnen, dabei auch den Stimmen zu lauschen, die im Laufe der Zeit immer mehr verstummten. Das Wunderschwert ubrigens steckt seit jenem Tag des Blutes und der Ehre noch immer in dem Felsblock, und ich allein kenne die ganze Inschrift darauf, weil ich sie las, als ich sie zum ersten Mal sah: Cai.Iul.Caes.Ensis Caliburnus - das cha-lybische Schwert des Julius Casar.

Ein Teil der Inschrift ist in den Stein gepragt, doch sind einige Buchstaben in den langen Jahren, in denen die Unbilden des Wetters an dem Stein genagt haben, von Ablagerungen und Flechten zugedeckt worden. Die einzigen Buchstaben, die man noch lesen kann, sind:

ES CALIBUR

Mit diesem Namen bezeichnen die Menschen dieses Landes das Schwert, wenn sie an eiskalten Wintermorgen uber das feste Eis bis zu dem Felsen mitten im See wandern, um dieses au?erordentliche Objekt zu bewundern. Ein Gerucht besagt, da? nur die Hand eines Konigs das Schwert aus dem Felsen zu ziehen vermag, und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem es erneut vonnoten ist, gegen das Bose zu kampfen. Doch ist seit den fernen Tagen meiner Jugend so viel Zeit vergangen, da? sogar mein Vorname Myrdin im Mund der Menschen mit der Zeit zu Merlin verbogen wurde. Meine Seele allerdings ist unwandelbar und - wie die eines jeden nach dem Bild Gottes erschaffenen Menschen —fur das unsterbliche Licht bestimmt.

Schon schmilzt die Sonne erneut den Schnee auf den Abhangen der Hugel, und die ersten Fruhlingsblumen offnen ihre Bluten unter dem lauen Wind, der aus dem Suden weht. Gott hat mir erlaubt, meine Arbeit zu beenden, und ich danke ihm dafur. Hier endet meine Geschichte. Vielleicht wird damit eine Legende geboren ...

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