wie der Klang eines Sturms von den Bergen zuruckgeworfen wurde. Dann schlug er die Trommel ein zweites, ein drittes und noch ein viertes Mal.

Aurelius erhob sich in der Kaserne von seinem Lager. »Was war das?« fragte er. Livia ergriff seine Hand und zog ihn an sich. »Das ist nur der Donner, schlaf weiter.«

Doch wurde der Ton zunehmend lauter, bis er, dunkel metallisch und durch das Echo vervielfacht, von den Talhangen und Weiden und sogar von den Gipfeln der Berge widerhallte. Nun horte Aurelius genauer hin. »Nein«, sagte er. »Das ist nicht der Donner, das klingt eher wie ein Warnsignal ... doch fur wen?«

Vom Turm erklang die Stimme von Vatrenus. »Kommt und seht, aber schnell!« Sie ergriffen ihre Waffen und stiegen zu den Wallen empor. In der Ferne stand der Steinkreis in Flammen. Ein riesiges Feuer war zwischen den gro?en Steinsaulen im Inneren entfacht und scho? seine wirbelnden Funken in den schwarzen Nachthimmel empor. Und wie ein Gespenst bewegte sich im Schein der Flammen ein Schatten, der deutlich zu erkennen war.

»Das ist Ambrosinus, der seinen Zaubereien nachgeht«, sagte Aurelius. »Und wir dachten, er hielte Wache. Ich geh wieder schlafen. Bleib du hier, Vatrenus, bis er zuruckkommt.«

Doch die Hirten und Bauern in ihren Gehoften, die uber die Landschaft verstreut lagen, die Schmiede und Handwerker erblickten das Feuer. Ja, sie zundeten sogar noch weitere an, verwundert beaugt von ihren Frauen und Kindern, bis die Flammen uberall hell aufloderten: auf den Hugeln und Bergen von der Ozeankuste bis zu dem Gro?en Wall.

Schlie?lich erreichte das Drohnen der Trommel auch Kustennins Ohr, der aus dem Bett sprang und lauschte. Als er ans Fenster trat und die Feuer erblickte, verstand er, warum an diesem Morgen niemand zum Hafen gekommen war. Zufrieden schaute er auf die leeren Betten von Egeria und Ygraine und dachte an das Schiff, das zu dieser Stunde uber das ruhige Wasser fuhr und sie an einen sicheren Ort brachte. Dann offnete er eine Truhe und holte daraus den Drachen aus Silber und Purpur hervor, weckte seinen Diener und befahl ihm, seine Rustung und das Pferd vorzubereiten.

»Wohin reitest du, mein Herr, zu dieser fruhen Stunde?« fragte dieser ihn verwundert.

»Freunde treffen.«

»Und warum nimmst du dein Schwert mit?«

In diesem Moment trug der Wind wieder das ferne Drohnen herbei, das laut durch die Nacht drang.

Kustennin seufzte. »Es gibt Augenblicke«, sagte er, »da mu? man sich zwischen dem Schwert und der Pflugschar entscheiden.« Dann hangte er das Schwert an seinen Gurtel und ging die Treppe zum Pferdestall hinab.

Bei Tagesanbruch standen Aurelius, Vatrenus und ihre Gefahrten bis an die Zahne bewaffnet auf den Wallen und starrten schweigend auf den Horizont. Mit einem Topf dampfender Suppe eilte Romulus von einem zum anderen, bis er zuletzt Aurelius einen Napf voll gab.

»Wie schmeckt sie?« fragte er.

Aurelius nahm einen Loffel. »Gut. Die beste, die mir je in einem Heerlager serviert wurde.«

Romulus lachelte. »Vielleicht haben wir uns die ganze Muhe umsonst gemacht. Vielleicht kommen sie nicht.«

»Vielleicht ...«

»Wei?t du, was ich denke? Da? es schon ware, hier unsere kleine Gemeinschaft zu grunden. Vielleicht entsteht ja aus diesem Lager einmal ein Dorf, und ich konnte mir ein Madchen suchen. Eins habe ich schon unten in der Stadt getroffen. Sie hat rote Haare, wei?t du?«

Aurelius lachelte. »Das ist schon. Ich meine, da? du anfangst, an Madchen zu denken. Das bedeutet, da? du erwachsen wirst. Es bedeutet aber auch, da? deine Verletzungen langsam heilen und die Erinnerung an deine Eltern nicht mehr ausschlie?lich vom Schmerz gepragt wird, sondern da? das Angenehme uberwiegt. Der Gedanke an ihre Liebe wird dich dein ganzes Leben begleiten.«

Romulus seufzte. »Ja, vielleicht hast du recht, doch bin ich noch nicht einmal vierzehn Jahre alt. Und ein Junge in meinem Alter braucht einen Vater.« Er schopfte ein wenig Suppe in seinen Napf und begann zu essen, als gelange es ihm damit leichter, die Haltung wiederzugewinnen. Von Zeit zu Zeit sah er verstohlen zu Aurelius heruber, um festzustellen, ob auch er zu ihm heruberschaute. »Du hast recht«, sagte er. »Die Suppe ist nicht schlecht. Livia hat sie gekocht.«

»Das dachte ich mir schon«, antwortete Aurelius. »Aber sag, wenn dein Vater da ware, was wurdest du gern von ihm wissen?«

»Nichts Besonderes. Ich mochte nur mit ihm zusammen sein und etwas mit ihm zusammen machen. Ebenso wie wir beide jetzt miteinander essen. Ganz einfache, unbedeutende Dinge, einfach beisammen sein und wissen, da? man nicht allein ist. Verstehst du?«

»Gewi?«, antwortete Aurelius. »Auch mir fehlen meine Eltern sehr, obwohl ich viel alter bin als du.«

Eine Weile blickten sie nur auf den Horizont, ohne ein Wort zu sagen. Dann brach Aurelius das Schweigen. »Wei?t du was? Ich habe noch keine Kinder und wei? auch nicht, ob ich je welche haben werde. Ich meine ... ich wei? nicht, was uns erwartet, und ...«

»Ich verstehe«, antwortete Romulus.

»Ich habe mich gefragt, ob ...«

»Was?«

Aurelius zog seinen bronzenen Ring mit der kleinen Kamee vom Finger, in die ein Monogramm eingraviert war. »Jetzt wei? ich, da? dieser Ring mir wirklich gehort. Er ist mein Familienring, und ich frage mich ... ich frage mich, ob du ihn wohl annehmen wurdest.«

Romulus sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Willst du damit sagen, da? ...«

»Ja. Wenn du einverstanden bist, ware ich glucklich, dich als meinen Sohn anzunehmen.«

»Hier? Jetzt?«

»Hie et nunc«, antwortete Aurelius. »Wenn es dir recht ist.«

Romulus warf ihm die Arme um den Hals. »Von ganzem Herzen«, sagte er. »Auch wenn ... ich kaum glaube, da? es mir jemals gelingt, dich Vater zu nennen. Ich habe immer Aurelius zu dir gesagt.«

»Das geht in Ordnung, wie du willst.«

Nun streckte Romulus die rechte Hand aus, und Aurelius steckte ihm den Ring auf den Daumen, nachdem er alle anderen Finger ausprobiert hatte und sie alle zu dunn waren. »Also nehme ich dich, Romulus Augustus Casar Aurelianus Arabrosius Ventidius ... Bri-tannicus, als meinen Sohn an! Und so sei es, solange du lebst.«

Und wieder umarmte ihn Romulus. »Danke«, sagte er. »Ich werde dich immer ehren, so wie du es verdienst.«

»Aber ich warne dich«, erwiderte Aurelius. »Ab jetzt mu?t du meine Ratschlage befolgen, auch wenn das noch nicht bedeutet, da? du meinen Befehlen gehorchen mu?t.«

Romulus wollte gerade antworten, als Demetrios' Stimme vom hochsten Turm erklang. »Sie kommen!«

Aurelius rief: »Alle auf ihre Posten! Romulus, du gehst mit Ambrosinus. Er wei?, was zu tun ist. Nun mach schon, schnell!«

Da erklangen die langgezogenen Tone der Horner, die gleichen, die er in Dertona am Tag von Mledos Angriff gehort hatte, und auf der Hugellinie im Osten erschien eine lange Reihe gepanzerter Reiter, die im Schrittempo vorruckten. An einem bestimmten Punkt teilten sie sich, um einen hunenhaften Krieger vorreiten zu lassen, dessen Gesicht von einer goldenen Maske bedeckt war. In seinen Handen hielt er ein glanzendes Schwert.

Aurelius gab ein Zeichen. Vatrenus und Demetrios luden die Katapulte und Wurfmaschinen.

»Seht!« schrie Demetrios. »Da kommt jemand.«

»Vielleicht wollen sie verhandeln!« sagte Vatrenus und ging zum Gelander.

Ein Mann zu Pferde, flankiert von zwei bewaffneten Kriegern, ritt naher und hielt als Zeichen des Waffenstillstands ein wei?es Tuch in die Hohe, das an einer Querstange befestigt war. Sie verharrten direkt unter der Palisade.

»Was willst du?« fragte Vatrenus.

»Mein Herr Wortigern macht euch folgendes Angebot. Ihr kommt mit dem Leben davon, wenn ihr ihm den jungen Usurpator ausliefert, der von sich behauptet, Romulus Augustus zu sein. Au?erdem will er den Deserteur, der ihn beschutzt und unter dem Namen Aurelius bekannt ist.«

»Warte einen Moment«, antwortete Vatrenus, »wir mussen uns beraten.« Dann trat er zu Batiatus und

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