tief geworden. »Bis jetzt haben wir alle Gefahren gemeinsam durchgestanden, ohne euch hat mein Leben keinen Sinn. Ihr seid die einzigen Menschen, die mir geblieben sind, und meine liebsten Freunde. Um nichts auf der Welt wurde ich mich von euch trennen. Selbst wenn ihr mich mit Gewalt verjagen wurdet, kame ich doch immer wieder zu euch zuruck. Ihr mu?t mich schon anbinden, sonst sturze ich mich von dem Schiff ins Meer und schwimme hierher zuruck, ich ...«

Nun hob Ambrosinus die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Ich liebe diesen Jungen wie meinen eigenen Sohn und gabe jederzeit mein Blut fur ihn hin. Doch ist er nun zum Mann geworden. Schmerz und Angst lie?en ihn wie Leid und Entbehrungen erwachsen werden. Damit gebuhrt ihm das Privileg, auch seine eigenen Entscheidungen zu treffen, die wir respektieren mussen. Ich zuallererst. Unser Schicksal wird sich auf die eine oder andere Weise erfullen, und zwar schon sehr bald. Und ich habe mir vorgenommen, es mit euch zu teilen. Uns halt etwas so au?erordentlich Starkes zusammen, das uns nie mehr abhanden kommen kann, nicht einmal in Zeiten der hochsten Gefahr. Selbst die Todesangst kann es nicht besiegen. Es wird uns immer vereint halten, bis zum letzten Augenblick, und ich kann noch nicht einmal meine Empfindungen zum Ausdruck bringen, die mich bei euren Worten uberkommen haben. Ich vermag euch nichts anderes zu geben als meine tiefste Zuneigung und die Ratschlage, die mir der allmachtige Gott von Zeit zu Zeit eingibt. Es tut mir leid fur unseren Freund Kustennin, der an der alten Mole vergeblich auf uns warten wird, doch gibt es Verabredungen, die man nicht verpassen darf - eben die, der wir nun entgegengehen.«

Alle schwiegen tief betroffen, doch fuhlten sie in ihrem Inneren zugleich eine gro?e Gelassenheit, die bereit war, das au?erste Opfer zu bringen - ein Opfer der Liebe und Freundschaft, entstanden aus Hingabe und Uberzeugung.

Als erster antwortete Vatrenus in seiner ublichen schroffen Art: »Also, dann los«, sagte er. »Wie ein Schaf abschlachten lasse ich mich noch lange nicht. Ich habe die Absicht, eine ganze Menge von diesen Hundesohnen mit in die Unterwelt zu nehmen.«

»Genau!« rief Batiatus aus. »Ich habe diese sommersprossigen Bastarde immer geha?t.«

Ambrosinus konnte ein Lacheln nicht verbergen. »Das ist allgemein bekannt, Batiatus«, sagte er. »Vielleicht habe ich da etwas fur euch, etwas, das ich heute nacht zufallig entdeckt habe, als ich nicht einschlafen konnte. Kommt mit.« Und er ging eilig auf das Pratori-um zu. Seine Gefahrten folgten ihm und betraten mit ihm den alten Standort des Kommandanten. Noch immer standen dort sein Tisch und sein zusammenklappbarer Feldsessel, auch waren noch einige Pergamentrollen mit Dokumenten aus der Schreibstube vorhanden, und an der Wand hing, auf eine Holztafel gemalt, das verblichene Portrat einer schonen Frau. An einer bestimmten Stelle auf dem Fu?boden hielt Ambrosinus inne und hob die geflochtene Strohmatte auf. Darunter kam eine Falltur zum Vorschein, die er offnete, bevor er seinen Gefahrten bedeutete, dort hinunterzusteigen.

Als erster stieg Aurelius hinab und konnte kaum fassen, welcher Anblick sich seinen Augen bot: Vor ihm lag das gesamte Waffenarsenal der Legion! Ordentlich aufgereiht und noch immer glanzend von Fett, standen da etwa zwanzig komplette Rustungen, die nach alter Manier angefertigt waren - mit Brustpanzern, aus Metallbandern zusammengefugt, Helmen, Schilden und ganzen Bundeln von wuchtigen Speeren mit dreieckiger Spitze, genau in der Art, wie sie einst Trajans und Hadrians Heere verwendeten. Au?erdem zerlegte, aber noch voll einsatzfahige Wurfmaschinen und Katapulte mit Wurfspie?en aus massivem Eisen, ebenso eine gro?e Anzahl von lilia, jene todlichen eisernen Apparaturen mit drei Spitzen, die, im Erdreich versteckt, als Absperrung gegen die feindliche Kavallerie und Infanterie dienten.

»Mir scheint, das ist der beste Beitrag, den du bisher fur unsere Sache geleistet hast«, rief Vatrenus aus und schlug dabei Ambrosinus kraftig auf die Schulter. »Bei allem Respekt gegenuber deinen philosophischen Ausfuhrungen. Nur Mut, Leute, machen wir uns an die Arbeit. Demetrios, du hilfst mir, die Katapulte und Wurfmaschinen zusammenzubauen.«

»Die bringt ihr hauptsachlich auf der Ostseite in Stellung«, befahl Aurelius, »von dort konnten wir leicht angegriffen werden, dort sind wir am verwundbarsten.«

»Orosius und Batiatus«, fuhr Vatrenus fort, »holt euch Spitzhacken und Schaufeln und grabt die lilia an den Stellen ein, die Aurelius euch zeigt. Er ist der leitende Stratege. Livia, du bringst die Geschutzpfeile auf die Galerie, au?erdem die Pfeile fur die Handbogen, dazu die Wurfspie?e ... und Steine, so viele Steine, wie du nur finden kannst. Und jeder versorgt sich mit einer kompletten Rustung, das hei?t Helm, Brustpanzer und so weiter. Eben alles. Sie sind in allen Gro?en vorhanden. Au?er naturlich fur Batiatus.«

Batiatus sah sich verblufft um. »He, schaut mal, da ist ein Brustpanzer, wie man ihn fur die Pferde benutzt. Mit ein paar Hammerschlagen kann ich ihn fur mich zurechtklopfen. Der pa?t mir sicher prima.«

Alle lachten, als sie mit ansahen, wie dieser Riese den schweren Harnisch eines Schlachtrosses mit einer einzigen Hand aufhob und die Treppe im Laufschritt nach oben sturmte.

»Und ich?« fragte Romulus. »Was soll ich machen?«

»Nichts«, antwortete Vatrenus. »Du bist der Kaiser.«

»Dann helfe ich Livia«, sagte er und ging ihr dabei zur Hand, die Speere zu bundeln, wobei er sehr genau beobachtete, was sie tat.

Aurelius stieg als letzter die Treppen hinauf. Vor dem Tisch blieb er stehen und begann, in den Schriftstucken herumzustobern, die dort lagen und von einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Eines dieser Dokumente, in schonster Schrift aufgesetzt, zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Da standen die Verse: Exaudi nie regina mundi, inter sidereos Roma recepta polos ... - Hor mich an, herrlichste Konigin der Welt, die dein eigen ist, in den gestirnten Himmel aufgenommene Roma. Das war der Anfang des De reditu suo von Rutilius Namatianus, die letzte wehmutige Hymne auf die einstige Gro?e Roms, die siebzig Jahre zuvor am Vorabend der Eroberung durch Alarich, den Konig der Westgoten, geschrieben worden war. Seufzend steckte er die kleine Pergamentrolle als Glucksbringer unter das Unterkleid, direkt uber seinem Herzen. Wahrenddessen erschien auch Ambrosinus wieder aus dem Untergescho?, und Aurelius sagte zu ihm: »Sobald du siehst, da? alles verloren ist, versteck dich mit dem Jungen in dem unterirdischen Raum. Dort wartest du, bis alles vorbei ist. Dann begib dich nach Einbruch der Dunkelheit zu Kustennin und bitte ihn, dir weiterzuhelfen. Du schaffst es sicher, auch Romulus von diesem Schritt zu uberzeugen. Vielleicht findet ihr einen versteckten Ort in Irland und konnt dort ein neues Leben beginnen.«

»Das wird nicht notig sein«, antwortete Ambrosinus ruhig. Aurelius schuttelte den Kopf und ging hinaus in den Hof, um seinen Kameraden zu helfen.

Unermudlich und mit kaum fa?barer Begeisterung arbeiteten sie den ganzen Tag, als sei ihnen endlich eine unertragliche Last vom Herzen genommen. Bei Sonnenuntergang betrachteten Aurelius und die Seinen ihr Werk, von der Anstrengung vollig erschopft, schwei?gebadet und mit Erde und Staub bedeckt: In ordentlichen Reihen waren Katapulte und Wurfmaschinen auf den Wallen aufgebaut, und neben jeder Maschine stand ein Bundel von Wurfspie?en und Speeren bereit. Au?erdem hatten sie die Brustwehr verstarkt und vor jeder Schie?scharte Bogen in gro?er Anzahl mit einer Fulle gebrauchsfertiger Pfeile aufgeschichtet. Und schlie?lich befanden sich vor der Palisade die im neuen Glanz erstrahlenden Rustungen, die nur darauf warteten, von ihnen angelegt zu werden. Darunter auch die von Batiatus, die er mit einem Hammer auf dem Ambo? zuerst abgeandert, dann bruniert und glanzend poliert hatte. Ursprunglich gefertigt, um die Brust eines Pferdes zu bedecken, schutzte sie nun den Oberkorper dieses schwarzen Herkules in der Schlacht.

Sie setzten sich rings um das Feuer zu einem gemeinsamen Mahl, dann bereiteten sie sich fur die Nacht vor.

»Schlaft diesmal alle, um morgen zum Kampf bereit zu sein«, sagte Ambrosinus. »Ich werde wachen. Ich sehe sehr gut und hore noch besser.«

Alle schliefen. Batiatus hatte neben der noch warmen Schmiede den Kopf auf seine Rustung gebettet, wahrend Livia in Aurelius' Armen in der ehemaligen Kaserne lag. Demetrios und Orosius lagen bei den Pferden im Stall, Romulus schlief, eingewickelt in seine Reisedecke, unter dem Vordach und Vatrenus im Wachturm auf den Wallen.

Ambrosinus hielt Wache neben dem Tor und war tief in Gedanken versunken. Als all seine Gefahrten fest schliefen, erhob er sich plotzlich, offnete leise das Tor und ging auf den Kreis der Megalithen zu. Dort angekommen, haufte er eine gro?e Menge an Holz, Zweigen und Resten von trockenen Baumstumpfen auf, die er zu Fu?en der jahrhundertealten Eichen fand. Dann eilte er auf die machtigste Eiche zu, schlupfte in einen Spalt in dem Stamm und holte einen gro?en, runden Gegenstand und einen Holzknuppel hervor. Eine Trommel. Rasch hangte er sie an einen Ast der Eiche und schlug kraftig mit dem Knuppel darauf. Ein tiefes Drohnen ertonte, das

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