Der andere lie? verwirrt das Schwert sinken. »Nimm alle drei gefangen!« befahl ihm Wulfila. »Wir bringen sie fort. Nach Ravenna.«

Die Schlacht war zu Ende und die Verteidiger besiegt. Man hatte sie bis zum letzten Mann uber die Klinge springen lassen. Von den Gasten hatten sich einige durch Flucht aus den Fenstern in die Dunkelheit hinaus gerettet, andere hatten sich in den Unterkunften des Gesindes, unter den Betten oder in den Lagerhausern inmitten des Hausrats versteckt. Viele waren in der Hitze des ersten Angriffs ohne Erbarmen niedergemaht worden. Auch die Musiker, die die Festteilnehmer mit ihren Melodien erfreut hatten, waren tot und lagen mit weit aufgerissenen Augen da, in den Handen noch ihre Instrumente. Die Frauen wurden wiederholt vergewaltigt und mu?ten jede erdenkliche Schandlichkeit uber sich ergehen lassen; die Manner waren gezwungen worden, die Gewalttatigkeiten mit anzusehen, die an ihren Frauen oder Tochtern begangen wurden, bevor sie ihrerseits zu Boden geschleudert und wie Schafe geschlachtet wurden.

Im Innengarten der Villa wurden die Statuen von ihren Sockeln gerissen, die Hecken und Busche entwurzelt, in den Brunnen schwamm Blut, und die Mauern und die freskenverzierten Wande waren bald schon mit Blutspritzern ubersat. Jetzt fuhrten die Barbaren ihr Werk zu Ende, indem sie alles, was in der prachtvollen Residenz wertvoll war, plunderten: Kandelaber, Mobel, Geschirr. Andere, denen es nicht gelungen war, sich Wertgegenstande unter den Nagel zu rei?en, verstummelten und entstellten die Leichen oder entleerten ihre Blase oder ihren Darm auf die herrlichen Mosaikboden. Allenthalben horte man neben den unartikulierten Schreien dieser vom Blutbad berauschten Wilden das Prasseln des Feuers, das nun allmahlich das ungluckselige Haus verzehrte.

Die drei Gefangenen wurden fortgerissen und auf ein Fuhrwerk gesetzt, das von zwei Maultieren gezogen wurde. Wulfila rief: »Los, wir hauen ab! Weg von hier! Los, habe ich gesagt, wir haben noch einen weiten Weg vor uns!«

Seine Leute lie?en die bereits in Schutt und Asche liegende Villa nur ungern zuruck und reihten sich in eine Kolonne ein, die dem kleinen Konvoi hinterher trabte. Auf dem Karren weinte Romulus im Arm seiner Mutter lautlos im Dunkeln vor sich hin. In weniger als einer Stunde war er vom Prunk der Kaiserwurde in eine erbarmliche Lage gesturzt. Sein Vater war vor seinen Augen niedergemetzelt worden, und er war ein Gefangener dieser Bestien, war ihnen mit Haut und Haar ausgeliefert. Ambrosinus, der hinter ihnen sa?, blieb stumm und vor Schmerz wie betaubt. Er wandte sich nur von Zeit zu Zeit um und betrachtete das gro?e Landhaus, das ein Raub der Flammen geworden war, und die Rauch- und Funkenspiralen, die zum Himmel aufstiegen und uber dem Horizont einen dusteren Schein verbreiteten. Er hatte nur den Quersack gerettet, mit dem er viele Jahre zuvor nach Italien gekommen war, und ein einziges unter den Tausenden von Buchern, die die Bibliothek enthalten hatte: die gro?artig illustrierte Aeneis, ein Geschenk der Senatoren an Romulus. Hin und wieder strich er mit der Hand uber den Ledereinband des Buches, und es kam ihm fast so vor, als sei das Schicksal uberhaupt nicht grausam gewesen, da es ihm doch auf vielleicht prophetische Weise erlaubt hatte, von Vergil und seinen Versen begleitet zu werden.

Aurelius mu?te auf seinem nachtlichen Ritt mehrmals feststellen, da? die Stra?e abgeriegelt war. Odoaker hatte an Brucken und Furten Wachen postiert, und auf den Konsularstra?en patrouillierten ganze Mannschaften von barbarischen Soldaten, so da? der Reiter ofter von seinem Weg abweichen mu?te und sich mit Furten konfrontiert sah, die die herbstlichen Regenfalle in rei?ende Strome verwandelt hatten. Manchmal war er auch gezwungen, unwegsamen Pfaden durch die Berge zu folgen. Als er wieder in die Ebene hinunterritt, wurde ihm klar, da? sein Pferd es nicht schaffen wurde; das edle Tier wurde verenden, wenn er es noch weiter derart zum Galopp antrieb. Es war mit Schaum und Schwei? bedeckt und kurzatmig und hatte aufgrund der enormen Anstrengung schon glasige Augen. Da kam ihm das Schicksal zu Hilfe, indem es vor ihm in der Ferne Lichter auftauchen lie? und dann ein Gebaude, das einen vertrauten Anblick bot: eine Pferdewechselstation auf der Via Postumia, die auf wunderbare Weise intakt geblieben und offensichtlich noch in Betrieb war. Im Naherkommen horte er das Schild knarren, das an einer in die Au?enwand eingemauerten Eisenstange hing. Es war zwar halb verrostet, aber man konnte noch die Abbildung einer Sandale und eine in schonen Gro?buchstaben geschriebene Aufschrift erkennen: MANSIO AD SANDALUM HER-CULIS. Auf einem Meilenstein vor dem Haus stand: m. p. XXII. Es waren also zweiundzwanzig Meilen bis zur nachsten Station - vorausgesetzt, da? es diese uberhaupt noch gab. Aurelius sprang vom Pferd und trat keuchend ein: Drinnen doste ein Angestellter des Postdienstes auf einem Stuhl, wahrend einige Gaste, die auf ihren Manteln auf dem Fu?boden lagen, in tiefen Schlummer versunken waren. Aurelius ruttelte ihn wach. »Kaiserlicher Dienst«, sagte er, »hochste Dringlichkeitsstufe und absolute Prioritat: Es geht fur viele Leute um Leben oder Tod! Drau?en steht mein Pferd, es ist erschopft; ich brauche ein neues, und zwar sofort.«

Der Angestellte schuttelte sich, schlug die Augen auf und begriff, sobald er den Mann, der vor ihm stand, angesehen hatte, schlagartig, da? diese Worte der Wahrheit entsprechen mu?ten. Aurelius' Gesicht war von der Anstrengung entstellt, seine Zuge verzerrt vor Anspannung und Strapazen. »Komm mit!« sagte er zu ihm und nahm im Vorbeigehen ein Stuck Brot und eine Flasche Wein von einer Anrichte und reichte ihm beides, damit er einen Schluck trinken und einen Bissen essen konnte, wahrend sie durch den Gang liefen und die Treppen zum Stall hinunterstiegen: Es war klar, da? er keinen Augenblick hier verweilen wurde, um sich zu starken. Die Boxen im Stall waren zum gro?ten Teil leer, aber im Halbdammer standen, kaum erkennbar, drei oder vier Pferde. Der Leiter der Station hob die Laterne hoch, um sie zu beleuchten. »Nimm diesen hier«, sagte er und zeigte auf einen stammigen Rappen mit glattem, glanzendem Fell, »das ist ein gro?artiges Tier. Es hei?t Juba. Es hat einem hohen Offizier gehort, der nicht mehr zuruckgekommen ist, um es abzuholen.« Aurelius bi? ein letztes Mal in den Brotlaib, nahm noch einen Schluck Wein, dann sprang er auf den Rucken des Tieres und trieb es die Rampe hinauf. Dabei rief er: »Ha! Ha! Juba!«

Mit einem gro?en Satz gelangte er ins Freie, wie eine verdammte Seele, die der Unterwelt entflieht, und stob in wildem Galopp davon. Er ritt uber die Konsularstra?e und bog in einen Pfad ein, der im blassen Schein des Mondes wei? in der Landschaft schimmerte. Auch der Leiter der Station trat ins Freie und rief, in der einen Hand ein Register und einen Griffel, in der anderen die Laterne haltend: »Die Quittung!« Aber Aurelius war bereits weit entfernt, und Jubas Galopp verlor sich in der Landschaft.

Mit leiser Stimme, als wurde er mit sich selbst sprechen, wiederholte der Mann: »Du mu?t mir noch die Quittung unterschreiben.« Als ihn spater ein gedampftes Wiehern wach ruttelte, bemerkte er Aurelius' Fuchs, der vor Schwei? dampfte. Er nahm ihn am Zugel und fuhrte ihn in den Stall, »Komm, mein Schoner, sonst geschieht noch ein Unheil. Du bist ja ganz schwei?gebadet und hast bestimmt auch Hunger, hast bestimmt nichts gefressen, genausowenig wie dein Herr, darauf konnte ich wetten.«

Ein fahler Schein begann sich soeben uber den Horizont zu ergie?en, als Aurelius in Sichtweite der Villa von Flavius Orestes eintraf. Schlagartig wurde ihm klar, da? er zu spat gekommen war: Eine Saule aus dichtem schwarzem Rauch erhob sich aus dem schon halb eingesturzten Gebaude, und rundum zeigte alles die Spuren einer wilden Zerstorungswut. Er band das Pferd an einen Baum und ging vorsichtig im Schutz einer Umfriedungsmauer weiter, bis er sich in unmittelbarer Nahe des Haupteingangs befand. Die Flugel des gro?en Portals lagen am Boden; sie waren aus ihren Scharnieren gerissen worden und angesengt, und im Eingangshof hauften sich Dutzende von Leichen, die mit geronnenem Blut bedeckt waren. Viele waren Soldaten der kaiserlichen Garde, aber auch die Anzahl der in den heftigen Nahkampfen gefallenen Barbaren war betrachtlich. Der Kampf mu?te von erschreckender Grausamkeit gewesen sein:

Jeder lag dort, wo der Tod ihn ereilt hatte, und trug im Gesicht noch den Ausdruck, den das Grauen und das letzte Zucken im Todeskampf ihm eingepragt hatten.

Nichts war zu horen bis auf das Prasseln der Flammen und hin und wieder das plotzliche Gerausch eines Balkens, der auf den Boden krachte, oder von Ziegeln, die von dem verbrannten Dachstuhl herunterfielen, auf den Fu?boden prallten und zerbrachen. Inmitten dieser ganzen Verwustung blickte Aurelius verwirrt und unglaubig um sich, und je mehr sich die Tragodie in ihrer ganzen gra?lichen Realitat zeigte, desto gro?ere Bedruckung empfand er, und er wurde von einer schier unertraglichen Beklemmung gepackt. Der Gestank nach Tod und Exkrementen verpestete jene Innenraume, die das Feuer noch nicht verzehrt hatte; die Leichen der entblo?ten und geschandeten Frauen und der noch blutjungen Madchen lagen mit ansto?ig gespreizten Beinen neben denen ihrer niedergemetzelten Vater und Ehemanner. Uberall war Blut - auf den Fu?boden aus eingelegtem Marmor, auf den mit schonen Fresken verzierten Wanden, in den Atrien, in den Badern, im Triklinium, auf den Tischen und den Speiseresten, selbst die Vorhange, die Teppiche und die Tischwasche waren damit getrankt.

Aurelius fiel auf die Knie und stie? einen Schrei ohnmachtiger Wut und Verzweiflung aus. Er verharrte lange in dieser Stellung, wobei er mit der Stirn fast die Knie beruhrte, bis er plotzlich durch ein Stohnen aufgeruttelt

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