blo? nicht auf deinen Schwager Paulus! Meine Soldaten haben ihn umzingelt und vernichtend geschlagen. Jetzt aber soll es ein Ende haben mit all dem Blutvergie?en: Ich beabsichtige nicht, gegen dieses Land zu wuten. Ich will vielmehr, da? es neugeboren wird, da? die Aktivitaten wieder aufbluhen, die Arbeit auf den Feldern und in den Werkstatten. Dieses Land hat etwas Besseres verdient als Flavius Orestes und seinen Kaiser, das Kind. Es hat einen Herrscher verdient, der es so lenkt und beschutzt wie ein Mann seine Frau lenkt und beschutzt. Dieser Herrscher werde ich sein, und du wirst meine Konigin.«

Flavia, die bis zu diesem Augenblick regungslos und stumm geblieben war, antwortete schlie?lich, und ihre Stimme klang dabei scharf wie eine Klinge: »Du wei?t ja gar nicht, was du da sagst. Ich stamme von jenen ab, die jahrhundertelang gegen euch gekampft und euch zuruckgejagt haben in eure Walder, damit ihr dort leben konnt wie die wilden Tiere, denen ihr in jeder Hinsicht ahnelt. Mich widert euer Gestank an, eure Unwissenheit, eure Derbheit, mich sto?t eure Sprache ab und der Klang eurer Stimme, die eher dem Bellen der Hunde gleicht als einem menschlichen Laut; mich ekelt vor eurer Haut, die das Licht der Sonne nicht ertragt, vor eurem strohigen Haar und euren Barten, die immer schmutzig sind und von Essensresten nur so starren. Sieht so vielleicht das eheliche Band aus, das du dir wunschst? Der Austausch von Gefuhlen? Du kannst mich jetzt ohne weiteres auch umbringen. Es ist egal. Dich werde ich jedenfalls niemals heiraten!«

Odoaker pre?te die Kiefer aufeinander: Flavias Worte, die ihn wie Peitschenhiebe getroffen hatten, verletzten und demutigten ihn. Er wu?te, da? weder Gewalt noch Macht imstande waren, diese Verachtung zu bezwingen, doch im Grunde seines Herzens wu?te er, wie stark das Gefuhl war, von dem er seit seiner Jugend, seit seinem Eintritt in das kaiserliche Heer besessen war: Es war die Bewunderung fur diese uralten Stadte, fur die Foren und die Basiliken, die Saulen und die Monumente, die Stra?en, die Hafen und die Aquadukte, die Feldzeichen und die Triumphbogen, die feierlichen Inschriften aus Bronze, die Bader und die Thermen, die Hauser und die Villen, die so schon waren, da? sie eher den Wohnstatten der Gotter glichen als denen von Menschen. Das Reich war die einzige Welt, in der es sich fur ein menschliches Wesen zu leben lohnte. Er betrachtete die Frau und fand sie begehrenswerter denn je - so schon, wie er sie zum erstenmal gesehen hatte, als sie, kaum zwanzigjahrig, Flavius Orestes heiratete. Damals war sie ihm so fern erschienen, so strahlend und unerreichbar wie der Stern, den er als Kind vom Nomadenfuhrwerk seiner Eltern aus betrachtet hatte, wenn sie unter dem nachtlichen Himmel durch die unerme?lich weite Ebene zogen. Und jetzt war sie ihm ausgeliefert, und er hatte sie in jedem Augenblick haben konnen, auch jetzt, auf der Stelle. Doch das war es nicht, was er wollte. Noch nicht. Er sagte: »Wenn du deinen Sohn retten und nicht zusehen willst, da? er vor deinen Augen stirbt, dann wirst du schon das tun, was ich sage! Und jetzt geh!«

Die Wachen traten ein und fuhrten sie fort, in den Westflugel des Palastes. Ambrosinus blickte gerade durch das Schlusselloch, als er die Wachen, die sie eskortierten, tuscheln horte, und rief Romulus zu sich. »Schau«, sagte er, »deine Mutter.« Und gleichzeitig bedeutete er ihm, den Zeigefinger an den Lippen, da? er den Atem anhalten solle, wahrend er selbst einen Schritt zur Seite tat, damit nun Romulus seinerseits hinausspahen konnte.

Der kleine Zug verschwand rasch aus diesem begrenzten Blickfeld, aber Ambrosinus legte das Ohr an die Tur und zahlte die Schritte, bis er horte, wie ein Schlo? aufschnappte und eine Tur geschlossen wurde. »Vierundzwanzig. Das Zimmer deiner Mutter ist vierundzwanzig Schritte von unserem entfernt und mu? auf der anderen Seite des Korridors liegen. Wahrscheinlich befinden wir uns in den kaiserlichen Frauengemachern. Ich bin vor ein paar Jahren einmal hiergewesen, und auch deine Mutter kennt sie recht gut. Das konnte von Vorteil sein.«

Romulus nickte zustimmend, denn er war gewohnt, den Ausfuhrungen seines Lehrers auch dann zu folgen, wenn er deren Sinn und Zweck nicht ganz verstand; aber er zeigte kein besonderes Interesse an dieser Feststellung. Die Tur ihres Zimmers war jedoch von au?en verriegelt und wurde von einem mit einer Axt und einem Schwert bewaffneten Soldaten bewacht. Wie sollte es da moglich sein, einen Kontakt mit seiner Mutter herzustellen? Von dem Uberma? an Aufregungen und Anstrengungen erschopft, streckte er sich auf dem Bett aus, und sogleich gewann die Natur die Oberhand, und er fiel in einen tiefen Schlaf. Ambrosinus deckte ihn mit einem Tuch zu, strich ihm sanft uber den Kopf und legte sich dann selbst auf das andere Bett und versuchte, sich ein wenig auszuruhen. Er wollte die Laterne nicht loschen, weil er das Gefuhl hatte, die Finsternis wurde in ihm Bilder wecken, gegen die er sich schwerlich wehren konnte. Au?erdem zog er es vor, sich in dieser Nacht vor den blutigen Schatten so gut wie moglich zu schutzen.

Er hatte nicht sagen konnen, wieviel Zeit vergangen war, als plotzlich ein Gerausch an sein Ohr drang, auf das ein dumpfer Schlag folgte. Romulus schlief noch tief und hatte nichts bemerkt. Ja, so fest war der Schlaf des Jungen, da? er immer noch in genau derselben Stellung verharrte, in der ihn der Schlaf ubermannt hatte. Ambrosinus stand auf und horte ein weiteres Gerausch, dieses Mal ein kurzes, metallisches Schnappen direkt an seiner Tur. Da trat er an den Knaben heran und schuttelte ihn kraftig: »Wach auf, schnell, es kommt jemand.«

Romulus schlug die Augen auf, ohne zunachst zu begreifen, wo er sich uberhaupt befand, doch sobald sein Blick auf die Wande seines Gefangnisses gefallen war, wurde er sich seiner Lage wieder schmerzlich bewu?t. Unterdessen war knarrend die Tur aufgegangen, und eine in einen Umhang gehullte Gestalt war erschienen, deren Gesicht von einer gro?en Kapuze verdeckt war. Ambrosinus' Blick fiel sofort auf die Spitze des Schwertes, das der Mann in der Hand hielt, und warf sich instinktiv zwischen ihn und den Jungen. Aber da entblo?te der Mann sein Gesicht und sagte: »Schnell, ich bin ein romischer Soldat der Nova Invicta. Ich bin gekommen, um den Knaben zu retten. Rasch, wir haben keine Zeit.«

»Aber ich, was tue ich ...«, hob Ambrosinus an.

»Das ist mir egal. Ich habe versprochen, ihn zu retten, nicht dich.«

»Ich kenne dich nicht, ich wei? nicht, wer du bist, und ...«

»Ich hei?e Aurelius und habe soeben diesem Wachtposten da den Garaus gemacht«, sagte er und deutete auf die hinter ihm liegende Leiche. Dann packte er sie an den Fu?en und zog sie ins Zimmer hinein.

»Ich gehe nicht ohne meine Mutter«, sagte Romulus sofort.

»Dann nichts wie los, um aller Gotter willen«, erwiderte Aurelius. »Wo ist sie?«

»Da hinten«, antwortete ihm Ambrosinus und fugte, um den Beweis zu liefern, da? auch er bei diesem Unternehmen unentbehrlich war, hinzu: »Ich wei?, wie wir fluchten konnen. Es gibt eine Tur, die zur Empore der kaiserlichen Basilika fuhrt.«

Sie wandten sich in die Richtung des Raumes, in dem Flavia Serena eingesperrt sein mu?te. Aurelius steckte die Spitze seines Schwertes zwischen die Tur und den Pfosten und zog den Riegel auf. Doch in diesem Augenblick erschien die Wache der neuen Schicht, stie? einen Schrei aus und rannte mit gezucktem Schwert auf sie zu. Aurelius trat dem Barbaren entgegen, verwirrte ihn mit einer Finte, traf ihn in die Seite und durchbohrte ihn. Der Mann sackte zusammen, wahrend der Legionar in Flavias Zimmer trat und sagte: »Schnell, Herrin, ich bin gekommen, um euch zu befreien, schnell, wir durfen keine Sekunde verlieren.«

Flavia sah ihren Jungen und Ambrosinus, und das Herz schlug ihr bis zum Hals - das Schicksal kam ihr unverhofft zu Hilfe.

»Dort«, sagte Ambrosinus. »Wir konnen durch den Korridor der Empore gehen. Ich glaube nicht, da? die Barbaren ihn kennen.« Und er machte sich eilends auf den Weg. Doch die Schreie der Wache hatten die Manner am anderen Ende des Gangs alarmiert. Da erblickte Aurelius ein Eisengitter und konnte es gerade noch rechtzeitig schlie?en; dann lief er wieder nach vorn zu seinen Fluchtgefahrten. Schon erhob sich hinter ihnen von allen Seiten Geschrei, und sie sahen, da? sich im Dunkel des Hofes und hinter den Fenstern Fackeln bewegten, und horten das Geklirr von Waffen. Von uberallher ertonte aufgeregtes Rufen. Als Ambrosinus bereits im Begriff war, das versteckte Turchen zu offnen, das zur Empore fuhrte, tauchte urplotzlich von einer Seitentreppe her, eingerahmt von zwei seiner Kameraden, ein hunenhafter Krieger auf: Wulfila. Ambrosinus wu?te, da? er nun von seinen Fluchtgefahrten abgeschnitten war. Von Angst gepackt, versteckte er sich hinter dem Bogen, der das Turchen zur Empore verbarg, und wurde, selbst zur Ohnmacht verurteilt, Augenzeuge des Angriffs: Die drei Manner warfen sich auf Aurelius, der sich schutzend vor Flavia und Romulus stellte. Ambrosinus schlo? die Augen, hielt mit der linken Hand das Schmuckstuck fest, das er am Halse trug - einen Mistelzweig aus Silber - und konzentrierte die ganze Kraft seines Geistes auf Aurelius' Arm, der einem der Gegner mit einem blitzartigen Hieb den Kopf abschlug. Dieser fiel dem Mann zwischen die Beine, und einen Moment hupfte der Korper wahrend der letzten Zuckungen seines Herzens umher, und noch bevor er nach hinten fiel, spritzte ein dicker Blutstrahl aus seinem Halsstumpf. Aurelius wehrte mit dem in der Linken gehaltenen Messer Wulfilas Schwerthieb ab und warf sich zur Seite, wobei er den Fu? zwischen die Beine des dritten Mannes schob, der bereits zum Angriff ubergegangen war, dann drehte

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