gemacht. Ich uberlegte, ob sie wohl die Kratze hatte. Aber dann merkte ich plotzlich, dass die Dame neben ihr genau das Gleiche machte!

Und ihre Nachbarin auch!

Und deren Nachbarin!

Wirklich: alle miteinander. Sie kratzten sich wie verruckt hinten am Hals unter den Haaren.

Ob sie vielleicht Flohe in der Frisur hatten?

Wahrscheinlicher waren Kopflause.

Ein Junge in meiner Schule, der Ashton hie?, hatte im vorigen Jahr Lause gehabt, und die Erzieherin hatte ihn mit dem Kopf in Terpentin getunkt. Die Lause sind samt und sonders dabei draufgegangen, aber Ashton fast auch. Sein halber Skalp ist ihm dabei abgefallen.

Ich begann, von dieser Haarekratzerei richtig fasziniert zu werden. Es ist immer komisch, wenn man eine dabei ertappt, wie sie irgendetwas Unappetitliches tut und sich einbildet, es sahe keiner zu. Nasebohren zum Beispiel oder sich am Popo kratzen. Kopfkratzen ist genauso ekelhaft, besonders wenn es gar nicht aufhort.

Ich entschied, dass es Lause sein mussten.

Dann passierte etwas absolut Verbluffendes. Ich sah, wie sich die eine Dame die Finger unter ihre Kopfhaare schob, und diese Haare, die ganze Frisur rutschte in einem Stuck nach oben, woraufhin die Hand darunter schlupfte und wie besessen weiterkratzte.

Sie trug eine Perucke! Und Handschuhe trug sie auch! Ich warf rasch einen Blick auf den Rest der Gesellschaft. Sie hatten jetzt alle ihre Platze eingenommen. Sie trugen alle miteinander Handschuhe!

Das Blut gefror mir in den Adern. Ich begann, an allen Gliedern zu zittern und zu beben. Ich warf einen gehetzten Blick hinter mich, ob es vielleicht einen Notausgang gabe, durch den ich fliehen konnte. Aber da war nichts.

Sollte ich hinter dem Wandschirm hervorsturzen und auf die Eingangstur zurasen?

Diese Turen waren jedoch bereits geschlossen, und ich konnte sehen, dass eine Frau davor stand. Sie buckte sich und schlang eine Art Metallkette um die beiden Turgriffe.

Ruhig, nur ruhig Blut, befahl ich mir, noch hat dich keine gesehen. Es gibt keinen vernunftigen Grund auf der Welt, warum sie hinter den Wandschirm schauen sollten. Aber eine falsche Bewegung, einmal husten, einmal niesen, einmal die Nase putzen, ein einziges noch so schwaches Gerausch, und es hat dich nicht nur eine einzige Hexe am Wickel, sondern zweihundert!

Ich glaube, in diesem Augenblick fiel ich in Ohnmacht. Das Ganze war einfach zu viel fur einen kleinen Jungen. Damit konnte er nicht fertig werden. Ich glaube aber, dass ich nicht langer als ein paar Sekunden das Bewusstsein verloren habe, denn als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Teppich und befand mich gottlob immer noch hinter dem Wandschirm. Um mich herum herrschte tiefes Schweigen. Ich fuhlte mich noch schwach und wackelig, aber ich kniete mich hin und lugte abermals durch die Ritze im Wandschirm.

Verkohlt wie ein Klops

 Alle Frauen oder richtiger: alle Hexen sa?en jetzt reglos auf ihren Stuhlen und starrten wie hypnotisiert auf jemanden, der plotzlich auf dem Podium erschienen war. Dieser Jemand war ebenfalls eine Frau.

Das Erste, was mir an dieser Frau auffiel, war ihre Gro?e. Sie war winzig, wahrscheinlich nicht einmal einsfunfzig. Sie sah auch noch ganz jung aus, funfundzwanzig oder sechsundzwanzig, und sie war wunderschon. Sie trug ein ziemlich elegantes langes schwarzes Kleid, das bis zum Boden reichte, und sie hatte schwarze Handschuhe an, die bis zu ihren Ellbogen reichten. Im Gegensatz zu den anderen trug sie keinen Hut.

Sie kam mir uberhaupt nicht wie eine Hexe vor, aber sie konnte wiederum auch nicht keine sein, denn was hatte sie sonst um alle Welt da vorne auf dem Podium zu suchen gehabt? Und warum starrten sie um Himmels willen alle anderen Hexen mit dieser Mischung aus Bewunderung, Angst und Schrecken an? Die junge Dame auf dem Podium hob ihre Hande langsam zum Gesicht. Ich sah, wie ihre behandschuhten Hande irgendetwas hinter ihren Ohren abhakten, und dann... dann packte sie ihre Backen und zog sich das Gesicht einfach ab! Ihr ganzes wunderschones Gesicht blieb ihr in den Handen hangen!

Es war eine Maske!

Wahrend sie sie abnahm, wandte sie sich zur Seite und legte sie sorgfaltig auf einen kleinen Tisch in ihrer Nahe, und als sie sich wieder umdrehte und uns anschaute, hatte ich fast laut aufgeschrien.

Ihr Gesicht war das Entsetzlichste und Furchterlichste, was ich je gesehen habe. Beim blo?en Anblick bebte ich schon am ganzen Leibe. Es war so verkrumpelt und verwittert, so verfallen und schrundig, als ob es seit Jahren im Essigkrug gelegen hatte. Es war ein grauenhafter, ein widerwartiger Anblick. Es hatte irgendetwas vollkommen Falsches an sich, etwas Faules und Verdorbenes und Verwestes. Es schien am Rande regelrecht zu vermodern, und mitten im Gesicht, um Mund und Wangen, konnte ich ganz deutlich erkennen, dass die Haut so verwuchert und wurmzerfressen war, als ob die Maden darin sa?en.

Manchmal ist etwas so grauenvoll, dass man wie gebannt davon ist und die Augen nicht abwenden kann. So ging's mir jetzt. Ich war wie festgenagelt.

Ich war betaubt. Der nackte Schrecken, den die Gestalt dieser Frau verbreitete, hatte mich gelahmt. Aber das war noch nicht alles. Da war noch dieser Schlangenblick in ihren Augen, die sie jetzt wie einen Blitz uber ihre Zuhorerinnen gleiten lie?.

Ich hatte naturlich sofort begriffen, dass dieses niemand anders als die Hoch- und Gro?meister-Hexe war. Ich verstand auch, warum sie eine Maske getragen hatte. Mit ihrem wahren Angesicht konnte sie sich kaum in die Offentlichkeit getraut haben, geschweige denn ein Hotelzimmer buchen. Jeder, der sie gesehen hatte, ware laut schreiend fortgelaufen.

«Die Duren!», rief die Hoch- und Gro?meister-Hexe mit einer Stimme, die den ganzen Saal ausfullte und an den Wanden widerhallte. «Sind sie vergettet und verriegelt?»

«Die Turen sind verkettet und verriegelt, euer Hochgeboren», antwortete eine Stimme aus der Menge.

Die funkelnden Schlangenaugen, die so tief in diesem heimtuckischen und wurmzerfressenen Gesicht lagen, musterten die Hexen, die sie anschauten, ohne mit der Wimper zu zucken.

«Ihr habt die Errlaubnis, eure Handschuhe auszuziehen!», rief sie.

Ich bemerkte, dass ihre Stimme den gleichen harten metallischen Klang besa? wie die Stimme jener Hexe, die ich unter dem Kastanienbaum getroffen hatte, sie war nur sehr viel lauter und auch viel rauer und heiserer. Sie rasselte. Sie kratzte. Sie knirschte. Sie krachzte. Sie schnarrte, und manchmal knurrte sie.

Alle im Saal zogen sich die Handschuhe aus. Ich beobachtete vor allem die Hande der Damen in der letzten Reihe. Ich wollte zu gerne sehen, wie ihre Finger aussahen und ob meine Gro?mutter Recht gehabt hatte.

Ah!... Ja!... Jetzt konnte ich einige ganz genau erkennen. Ich konnte sehen, wie sich die braunen Krallen uber den Fingerspitzen krummten. Sie waren gut und gerne funf Zentimeter lang, diese Krallen, und an den Enden nadelspitz.

«Ihr habt die Errrlaubnis, eure Schuhe auszuziehen!», bellte die Hoch- und Gro?meister-Hexe.

Ich horte, wie ein Seufzer der Erleichterung durch den ganzen Saal wehte, wahrend sich die Hexen ihre engen hochhackigen Schuhe von den Fu?en streiften, und dann erhaschte ich unter den Stuhlen in der letzten Reihe einen Blick auf bestrumpfte Fu?e, die eckig waren wie eine Schachtel und vollig ohne Zehen. Das sah wirklich absto?end aus, als ob ihnen jemand mit einem scharfen Kuchenmesser die Zehen vom Fu? geschnitten hatte.

«Ihr habt die Errrlaubnis, eure Berrrucken abzusetzen!», schnarrte die Hoch- und Gro?meister-Hexe. Sie hatte eine ganz merkwurdige Art zu sprechen. Sie hatte irgendeinen auslandischen Akzent, etwas Hartes und Gutturales, und sie schien Schwierigkeiten zu haben, ein scharfes P auszusprechen. Au?erdem stellte sie irgendetwas Komisches mit dem R an. Sie pflegte es im Munde herumrollen zu lassen, wie ein hei?es Stuck Schweinebratenschwarte, bevor man es ausspuckt. «Rrrrei?t euch die Berrrucken vom Gopf und lasst ein bisschen

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