Stelle, welche fur junge Ohren und Herzen verfanglich rattenfangerisch klingen mag: wie? ist das nicht das achte rechte Romantiker-Bekenntniss von I83o, unter der Maske des Pessimismus von l850 hinter dem auch schon das ubliche Romantiker-Finale praludirt, — Bruch, Zusammenbruch, Ruckkehr und Niedersturz vor einem alten Glauben, vor dem alten Gotte. . Wie? ist Ihr Pessimisten-Buch nicht selbst ein Stuck Antigriechenthum und Romantik, selbst etwas» ebenso Berauschendes als Benebelndes«, ein Narkotikum jedenfalls, ein Stuck Musik sogar, deutscher Musik? Aber man hore:

«Denken wir uns eine heranwachsende Generation mit dieser Unerschrockenheit des Blicks, mit diesem heroischen Zug in's Ungeheure, denken wir uns den kuhnen Schritt dieser Drachentodter, die stolze Verwegenheit, mit der sie allen den Schwachlichkeitsdoktrinen des» Optimismus den Rucken kehren, um im Ganzen und Vollen, resolut zu leben: sollte es nicht nothig sein, dass der tragische Mensch dieser Cultur, bei seiner Selbsterziehung zum Ernst und zum Schrecken, eine neue Kunst, die Kunst des metaphysischen Trostes, die Tragodie als die ihm zugehorige Helena begehren und mit Faust ausrufen muss:

Und sollt' ich nicht, sehnsuchtigster Gewalt,

In's Leben zieh'n die einzigste Gestalt?»

«Sollte es nicht nothig sein?«. . Nein, drei Mal nein! ihr jungen Romantiker: es sollte nicht nothig sein! Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es so endet, dass ihr so endet, namlich» getrostet«, wie geschrieben steht, trotz aller Selbsterziehung zum Ernst und zum Schrecken,»metaphysisch getrostet«, kurz, wie Romantiker enden, christlich Nein! Ihr solltet vorerst die Kunst des diesseitigen Trostes lernen, — ihr solltet lachen lernen, meine jungen Freunde, wenn anders ihr durchaus Pessimisten bleiben wollt; vielleicht dass ihr darauf hin, als Lachende, irgendwann einmal alle metaphysische Trosterei zum Teufel schickt — und die Metaphysik voran! Oder, um es in der Sprache jenes dionysischen Unholds zu sagen, der Zarathustra heisst:

«Erhebt eure Herzen, meine Bruder, hoch, hoher! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tanzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!»

«Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelachter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug dazu.»

«Zarathustra der Tanzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flugeln winkt, ein Flugbereiter, allen Vogeln zuwinkend, bereit und fertig, ein Selig-Leichtfertiger:«—

«Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Sprunge und Seitensprunge liebt: ich selber setzte mir diese Krone auf!»

«Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Brudern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig: ihr hoheren Menschen, lernt mir — lachen!»

Vorwort an Richard Wagner.

Um mir alle die moglichen Bedenklichkeiten, Aufregungen und Missverstandnisse ferne zu halten, zu denen die in dieser Schrift vereinigten Gedanken bei dem eigenthumlichen Character unserer aesthetischen Oeffentlichkeit Anlass geben werden, und um auch die Einleitungsworte zu derselben mit der gleichen beschaulichen Wonne schreiben zu konnen, deren Zeichen sie selbst, als das Petrefact guter und erhebender Stunden, auf jedem Blatte tragt, vergegenwartige ich mir den Augenblick, in dem Sie, mein hochverehrter Freund, diese Schrift empfangen werden: wie Sie, vielleicht nach einer abendlichen Wanderung im Winterschnee, den entfesselten Prometheus auf dem Titelblatte betrachten, meinen Namen lesen und sofort uberzeugt sind, dass, mag in dieser Schrift stehen, was da wolle, der Verfasser etwas Ernstes und Eindringliches zu sagen hat, ebenfalls dass er, bei allem, was er sich erdachte, mit Ihnen wie mit einem Gegenwartigen verkehrte und nur etwas dieser Gegenwart Entsprechendes niederschreiben durfte. Sie werden dabei sich erinnern, dass ich zu gleicher Zeit, als Ihre herrliche Festschrift uber Beethoven entstand, das heisst in den Schrecken und Erhabenheiten des eben ausgebrochnen Krieges mich zu diesen Gedanken sammelte. Doch wurden diejenigen irren, welche etwa bei dieser Sammlung an den Gegensatz von patriotischer Erregung und aesthetischer Schwelgerei, von tapferem Ernst und heiterem Spiel denken sollten: denen mochte vielmehr, bei einem wirklichen Lesen dieser Schrift, zu ihrem Erstaunen deutlich werden, mit welchem ernsthaft deutschen Problem wir zu thun haben, das von uns recht eigentlich in die Mitte deutscher Hoffnungen, als Wirbel und Wendepunkt hingestellt wird. Vielleicht aber wird es fur eben dieselben uberhaupt anstossig sein, ein aesthetisches Problem so ernst genommen zu sehn, falls sie namlich in der Kunst nicht mehr als ein lustiges Nebenbei, als ein auch wohl zu missendes Schellengeklingel zum» Ernst des Daseins «zu erkennen im Stande sind: als ob Niemand wusste, was es bei dieser Gegenuberstellung mit einem solchen» Ernste des Daseins «auf sich habe. Diesen Ernsthaften diene zur Belehrung, dass ich von der Kunst als der hochsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen Thatigkeit dieses Lebens im Sinne des Mannes uberzeugt bin, dem ich hier, als meinem erhabenen Vorkampfer auf dieser Bahn, diese Schrift gewidmet haben will.

Basel, Ende des Jahres 1871.

1.

Wir werden viel fur die aesthetische Wissenschaft gewonnen haben, wenn wir nicht nur zur logischen Einsicht, sondern zur unmittelbaren Sicherheit der Anschauung gekommen sind, dass die Fortentwickelung der Kunst an die Duplicitat des Apollinischen und des Dionysischen gebunden ist: in ahnlicher Weise, wie die Generation von der Zweiheit der Geschlechter, bei fortwahrendem Kampfe und nur periodisch eintretender Versohnung, abhangt. Diese Namen entlehnen wir von den Griechen, welche die tiefsinnigen Geheimlehren ihrer Kunstanschauung zwar nicht in Begriffen, aber in den eindringlich deutlichen Gestalten ihrer Gotterwelt dem Einsichtigen vernehmbar machen. An ihre beiden Kunstgottheiten, Apollo und Dionysus, knupft sich unsere Erkenntniss, dass in der griechischen Welt ein ungeheurer Gegensatz, nach Ursprung und Zielen, zwischen der Kunst des Bildners, der apollinischen, und der unbildlichen Kunst der Musik, als der des Dionysus, besteht: beide so verschiedne Triebe gehen neben einander her, zumeist im offnen Zwiespalt mit einander und sich gegenseitig zu immer neuen kraftigeren Geburten reizend, um in ihnen den Kampf jenes Gegensatzes zu perpetuiren, den das gemeinsame Wort» Kunst «nur scheinbar uberbruckt; bis sie endlich, durch einen metaphysischen Wunderakt des hellenischen» Willens«, mit einander gepaart erscheinen und in dieser Paarung zuletzt das ebenso dionysische als apollinische Kunstwerk der attischen Tragodie erzeugen.

Um uns jene beiden Triebe naher zu bringen, denken wir sie uns zunachst als die getrennten Kunstwelten des Traumes und des Rausches; zwischen welchen physiologischen Erscheinungen ein entsprechender Gegensatz, wie zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen zu bemerken ist. Im Traume traten zuerst, nach der Vorstellung des Lucretius, die herrlichen Gottergestalten vor die Seelen der Menschen, im Traume sah der grosse Bildner den entzuckenden Gliederbau ubermenschlicher Wesen, und der hellenische Dichter, um die Geheimnisse der poetischen Zeugung befragt, wurde ebenfalls an den Traum erinnert und eine ahnliche Belehrung gegeben haben, wie sie Hans Sachs in den Meistersingern giebt:

Mein Freund, das grad' ist Dichters Werk, dass er sein Traumen deut' und merk'. Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn wird ihm im Traume aufgethan: all' Dichtkunst und Poeterei ist nichts als Wahrtraum-Deuterei.

Der schone Schein der Traumwelten, in deren Erzeugung jeder Mensch voller Kunstler ist, ist die Voraussetzung aller bildenden Kunst, ja auch, wie wir sehen werden, einer wichtigen Halfte der Poesie. Wir geniessen im unmittelbaren Verstandnisse der Gestalt, alle Formen sprechen zu uns, es giebt nichts Gleichgultiges und Unnothiges. Bei dem hochsten Leben dieser Traumwirklichkeit haben wir doch noch die durchschimmernde Empfindung ihres Scheins: wenigstens ist dies meine Erfahrung, fur deren Haufigkeit, ja Normalitat, ich manches Zeugniss und die Ausspruche der Dichter beizubringen hatte. Der philosophische Mensch hat sogar das Vorgefuhl, dass auch unter dieser Wirklichkeit, in der wir leben und sind, eine zweite ganz andre verborgen liege, dass also auch sie ein Schein sei; und Schopenhauer bezeichnet geradezu die Gabe, dass Einem zu Zeiten die Menschen und

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