»Ich bin sicher, da? Israel auch ohne mich gut auskommt.«

»Und warum wollen Sie wieder nach Amerika?«

»Sie haben Dov gesehen — inzwischen Major Dov Landau. Er ist ein sehr erfreulicher junger Mann, und Karen wird bei ihm in guten Handen sein. Warum ich weggehe? Ich wei? nicht — vielleicht mochte ich nur vermeiden, so lange hier zu bleiben, bis man mich nicht mehr haben will. Vielleicht gehore ich hier immer noch nicht so ganz dazu. Oder vielleicht habe ich Heimweh. Ich konnte alle moglichen Grunde anfuhren. Jedenfalls mochte ich mal ein Jahr lang Urlaub machen und meine Zeit damit verbringen, nachzudenken — einfach nur nachzudenken.«

»Vielleicht handeln Sie damit sehr weise. Es ist eine gute Sache, unbehindert vom Zwang der taglichen Pflichten nachdenken zu konnen. Mein Vater konnte sich diesen Luxus erst in seinen beiden letzten Lebensjahren leisten.«

Sie schienen auf einmal beide nicht mehr zu wissen, was sie sagen sollten.

»Es ist wohl besser, wir gehen jetzt wieder zuruck«, sagte Kitty. »Ich mochte gern im Haus sein, wenn Karen kommt. Au?erdem wollen mich einige von meinen Kindern besuchen kommen.«

»Kitty — einen Augenblick noch.«

»Ja?«

»Ich mochte Ihnen gern sagen, wie froh ich daruber bin, da? Sie sich mit Jordana so angefreundet haben. Sie sind ihr eine gro?e Hilfe gewesen. Ich habe mir wegen der rastlosen Unruhe meiner Schwester oft Sorgen gemacht.«

»Sie ist sehr unglucklich. Niemand kann wirklich ganz ermessen, wie sehr sie David geliebt hat.«

»Wie lange wird es dauern, bis sie daruber hinwegkommt?« »Ich wei? es nicht, Ari. Aber ich bin nun schon so lange hier, da? ich ein hemmungsloser Optimist geworden bin. Eines Tages wird es auch fur Jordana wieder ein neues Gluck geben.«

Unausgesprochen stand zwischen ihren Worten die Frage: gab es eines Tages auch fur sie ein neues Gluck, fur sie und fur ihn?

»Gehen wir«, sagte Kitty.

Den ganzen Nachmittag uber kamen aus Gan Dafna und einem Dutzend verschiedener Siedlungen im Hule- Tal Kittys »Kinder«, um sie zu begru?en. Und die Leute von Yad El kamen, um Ari zu begru?en. Im Haus der Familie Ben Kanaan herrschte ein bestandiges Kommen und Gehen. Alle erinnerten sich daran, wie sie Kitty zum erstenmal hier erlebt hatten, eine Kitty, die sich fremd und unbehaglich gefuhlt hatte. Jetzt unterhielt sie sich mit ihnen in ihrer Sprache, und alle sahen voller Bewunderung zu ihr auf.

Viele »ihrer« Kinder hatten eine weite Reise unternehmen mussen, um ein paar Minuten mit ihr verbringen zu konnen. Manche hatten inzwischen geheiratet und konnten ihr den Mann oder die Frau vorstellen. Fast alle von ihnen trugen die Uniform der israelischen Armee.

Je weiter der Nachmittag vorruckte, desto nervoser wurde Kitty, weil Karen noch immer nicht gekommen war. Dov ging wiederholt auf die Hauptstra?e hinaus, um nach ihr Ausschau zu halten.

Am spaten Nachmittag hatten sich alle Besucher verabschiedet und waren nach Hause gegangen, um den Seder mit ihrer Familie zu feiern.

»Wo zum Teufel bleibt eigentlich dieses Madchen?« sagte Kitty, indem sie ihre tiefe Sorge mit vermeintlichem Arger tarnte. »Wahrscheinlich ist sie ganz in der Nahe«, sagte Dov.

»Sie hatte wenigstens anrufen und Bescheid sagen konnen, da? sie spater kommt. Diese Gedankenlosigkeit sieht Karen so gar nicht ahnlich«, sagte Kitty.

»Horen Sie mal, Kitty«, sagte Sutherland. »Sie wissen doch, da? es heute einen Parlamentsbeschlu? erfordern wurde, um mit einem Ferngesprach durchzukommen.«

»Ich werde mal zur Zentrale gehen und ein eiliges Dienstgesprach nach Nahal Midbar anmelden«, sagte Ari, der sah, wie besorgt Kitty war. »Vielleicht wei? man dort, wo sie unterwegs Station machen wollte, und wir konnen sie irgendwo abholen.«

»Ich ware Ihnen sehr dankbar«, sagte Kitty.

Kurze Zeit, nachdem Ari gegangen war, kam Sara herein und gab bekannt, da? die Seder-Tafel fertig sei und besichtigt werden konne. Jetzt war fur sie nach wochenlanger Arbeit der Augenblick des Triumphes gekommen. Sie offnete die Tur zum Speisezimmer, und die Gaste traten vorsichtig und auf Zehenspitzen unter vielen »Ohs« und »Ahs« naher.

Auf der Tafel schimmerten die besten Silberbestecke und die schonsten Teller, die nur einmal im Jahr benutzt wurden. In der Mitte standen die silbernen Leuchter, und daneben ein gro?er, kostbar verzierter Silberpokal, der »Becher des Elias«. Er stand dort, mit Wein gefullt, als Willkommenstrunk fur den Propheten. Wenn der Prophet kam und aus dem Becher trank, so bedeutete es, da? die Ankunft des Messias nahe bevorstand.

An jedem Platz standen silberne Becher, die viermal wahrend der Feier mit einem besonders schweren und kostlichen Wein gefullt wurden. Diesen Wein, ein Symbol der Freude, trank man, wahrend der Erzahler von den zehn Plagen berichtete, die Gott uber Pharao verhangt hatte, und wahrend man das Lied der Miriam sang, das erzahlte, wie sich das Rote Meer uber dem Heer des Pharao geschlossen hatte.

In der Mitte der Tafel und in der Nahe der Leuchter stand auch die goldene Seder-Schussel mit den symbolischen Speisen: Matzen, das ungesauerte Brot, zur Erinnerung daran, wie die Kinder Israels Agypten so rasch verlassen mu?ten, da? keine Zeit blieb, um das Brot zu sauern, ein Ei als Symbol des freiwilligen Opfers, Kresse als Symbol des Fruhlings und ein Lammschenkel zur Erinnerung an die Opfer, die Gott im Gro?en Tempel dargebracht wurden. Da gab es auch noch ein Gemisch aus kleingeschnittenen Nussen und Apfeln, zur Erinnerung an den Mortel, den die Juden als Sklaven der Agypter zum Bau von Hausern mischen mu?ten, und Maror, bittere Krauter als Symbol der Bitterkeit des agyptischen Jochs.

Als man alles bewundert hatte, scheuchte Sara sie wieder hinaus, und sie begaben sich in das Wohnzimmer zuruck. Jordana war die erste, die Ari sah. Er lehnte bleich und mit erloschenem Blick in der Tur. Er versuchte zu sprechen, doch er brachte kein Wort heraus, und plotzlich wu?ten sie es alle.

»Karen!« rief Kitty. »Wo ist Karen?«

Ari lie? den Kopf sinken.

»Wo ist Karen?«

»Sie ist tot. Sie wurde gestern nacht von einer Fedayin-Bande ermordet.«

Kitty schrie auf und sank zu Boden.

Als Kitty die Augen wieder aufschlug, sah sie Sutherland und Jordana, die bleich und vor Kummer wie betaubt bei ihr knieten.

Kitty richtete sich langsam auf und erhob sich muhsam.

»Legen Sie sich wieder hin, bitte«, sagte Sutherland.

»Nein«, sagte Kitty, »nein.« Sie machte sich von Sutherland los.

»Ich mu? zu Dov. Ich mu? zu ihm.«

Mit unsicher schwankenden Schritten ging sie hinaus und fand Dov, der im Zimmer nebenan in einer Ecke hockte. Sie sturzte zu ihm, und nahm ihn in die Arme.

»Dov, mein armer Dov«, sagte sie weinend.

Dov vergrub sein Haupt an ihrer Brust und schluchzte verzweifelt. Kitty wiegte ihn in ihren Armen, und sie weinten miteinander, bis sich die Dunkelheit uber das Haus der Familie Ben Kanaan senkte und keiner mehr Tranen hatte.

»Ich bleibe bei dir, Dov«, sagte Kitty. »Ich bin fur dich da. Wir werden es schon schaffen, Dov.«

Dov erhob sich unsicher. »Es wird mich nicht umschmei?en, Kitty«, sagte er. »Ich mache weiter. Sie soll stolz auf mich sein.«

»Dov, ich bitte dich — werde jetzt nicht wieder so, wie du fruher warst.«

»Nein«, sagte er. »Ich habe daruber nachgedacht. Ich kann diesen Menschen gegenuber keinen Ha? empfinden, weil Karen es nicht konnte. Sie war nicht imstande, irgendeinem Lebewesen gegenuber Ha? zu empfinden. Wir — hat sie mir einmal gesagt, wir konnten unser Ziel nie erreichen, wenn wir die anderen ha?ten.«

Sara ben Kanaan erschien in der Tur. »Ich wei?, wie schwer uns allen ums Herz ist«, sagte sie. »Aber wir wollen deshalb doch mit dem Seder beginnen.«

Kitty sah Dov an, und Dov nickte.

Schweigend, in Trauer begaben sie sich zum E?zimmer. Vor der Tur nahm Jordana Kitty beiseite.

»Ari sitzt allein drau?en in der Scheune«, sagte sie. »Willst du nicht zu ihm gehen?«

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