bedeuten? forschten wir. Und da vernahmen wir den Takt einer Melodie. Ta-ta-ta tatata, ta-ta-ta tatata. Verstehen Sie?«
»Nein, ich verstehe kein Wort.«
Mrs Cloade betrachtete ihn mitleidig.
»Kennen Sie nicht das Kinderlied: Unter einem Heustock, unter einem Heustock… schlaft ein kleiner Bub.
Poirot fand dies nicht ganz so offensichtlich, doch verzichtete er darauf, sich zu erkundigen, wieso der Name Underhay nicht buchstabiert werden konnte, wenn sich das Kunststuck mit dem Namen Robert hatte vollfuhren lassen, und warum der Geist plotzlich zu einer Art primitivem Geheimdienst-Jargon seine Zuflucht nehmen musste.
»Und der Name meiner Schwagerin ist Rosaleen«, beendete Mrs Cloade triumphierend ihre Erzahlung. »Diese vielen Rs sind naturlich ein wenig verwirrend, aber die Bedeutung liegt auf der Hand:
»Und haben Sie es ihr berichtet?«
Die unverblumte Frage brachte Mrs Cloade etwas aus der Fassung, aber sie hatte sich gleich wieder im Griff.
»Tja, sehen Sie… das ist so… die Menschen neigen im Allgemeinen dazu, alles Unerwartete skeptisch zu betrachten. Ich war uberzeugt, Rosaleen wurde sehr skeptisch sein. Und au?erdem wurde es doch eine furchtbare Aufregung fur sie bedeuten. Die Arme! Sie wurde beunruhigt sein und wissen wollen, wo ihr fruherer Mann steckt und was er treibt.«
»Was er treibt, abgesehen davon, seine Stimme durch den Ather zu senden, meinen Sie? Eine ungewohnliche Methode, uber den Stand des eigenen Befindens zu berichten, das muss man allerdings sagen.«
»Ach, Monsieur Poirot, Sie leben nicht in Verbindung mit der Geisterwelt. Und woher sollen wir wissen, welche Umstande ihn zu diesem Vorgehen veranlassten? Der arme Captain Underhay – oder ist er Major? – schmachtet vielleicht irgendwo im finsteren Afrika in grasslicher Gefangenschaft! Doch wenn man ihn aufspuren konnte? Wenn es gelange, ihn in die Arme seiner geliebten Rosaleen zuruckzufuhren! Stellen Sie sich das Gluck der jungen Frau vor, Monsieur Poirot! Oh, Monsieur Poirot, eine hohere Macht hat mich zu Ihnen gefuhrt. Sie werden doch einen Auftrag aus der Geisterwelt nicht zuruckweisen?«
Poirot betrachtete die exaltierte Dame kuhl.
»Mein Honorar ist sehr hoch«, erklarte er hoflich. »Man kann sogar sagen: au?erordentlich hoch. Und die mir zugedachte Aufgabe scheint mir sehr schwierig.«
»Ach, du meine Gute… das ist wirklich unangenehm… wir befinden uns leider in etwas beschrankten Verhaltnissen, schlechten Verhaltnissen kann man ruhig sagen, schlechteren sogar, als mein Mann uberhaupt ahnt. Ich habe namlich Aktien erworben – einer spiritistischen Eingebung folgend –, und bis jetzt hat sich diese Eingebung als sehr wenig nutzbringend erwiesen, eher besorgniserregend, um die Dinge beim richtigen Namen zu nennen. Kaum hatte ich die Aktien gekauft, fielen sie, und im Augenblick stehen sie so niedrig, dass sie praktisch unverkauflich sind.«
Sie blickte Poirot mit einem bangen Ausdruck an, als erwarte sie einen trostlichen Rat von ihm.
»Ich habe bisher noch nicht den Mut gehabt, meinem Mann mein Pech einzugestehen. Ich habe es Ihnen nur erzahlt, um Ihnen die Situation zu erklaren, in der ich mich befinde. Aber denken Sie doch, mein lieber Monsieur Poirot, welch edelmutige Tat es ware, ein junges Paar wieder zusammenzubringen.«
»Edelmut,
»Aber sobald er gefunden wird – ich meine, sobald Captain Underhay lebend gefunden wird –, steht es wirklich ganz au?er Frage, dass Ihnen alle Auslagen ersetzt werden und Sie ein gutes Honorar bekommen.«
»Ah, er ist also reich, dieser Captain Underhay?«
»Nein, das nicht«, beeilte sich Mrs Cloade zu erwidern. »Aber ich gebe Ihnen mein Wort, dass es dann nicht die geringsten Schwierigkeiten bereiten wird, allen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.«
Poirot schuttelte bedachtig den Kopf.
»Ich bedaure unendlich, Madame, aber meine Antwort lautet: nein.«
Es war nicht ganz einfach, die spiritistisch erleuchtete Dame dazu zu bringen, sich mit diesem abschlagigen Bescheid zu begnugen.
Als sie endlich gegangen war, blieb Poirot einen Moment lang sinnend stehen. Er erinnerte sich an das Gerede Major Porters im Club an jenem Tag, als man durch den Fliegeralarm dort festgehalten worden war. Die Geschichte des Majors, der niemand Aufmerksamkeit schenkte, hatte sich um einen Mann namens Cloade gedreht. Poirot erinnerte sich auch an das Zeitungsrascheln, das Aufstehen eines Herrn und die damit verbundene Besturzung des Majors.
Doch mehr noch als diese Erinnerung beschaftigte ihn die sonderbare Dame, die ihn soeben verlassen hatte und uber die er sich absolut nicht schlussig werden konnte. Die spiritistische Ader, das teils forsche, teils vage Geplapper, der wehende Schal und die klirrenden Ketten und Armbander voller Amulette, dazu das plotzliche schlaue Glitzern in den blassblauen Augen – das alles schien so gar nicht zusammenzupassen.
»Warum ist sie nur zu mir gekommen?«, fragte er sich. »Und was hat sich wohl in« – er warf einen Blick auf die Visitenkarte auf dem Tisch –, »in Warmsley Vale zugetragen?«
Genau funf Tage nach dem seltsamen Besuch fiel Hercule Poirot eine Zeitungsnotiz ins Auge, die besagte, dass in Warmsley Vale, einem bescheidenen Dorf unweit der bekannten Warmsley-Heath-Golfanlage, ein Mann namens Enoch Arden tot aufgefunden worden war.
Und zum zweiten Mal fragte Poirot sich:
»Was hat sich wohl in Warmsley Vale zugetragen?«
2
Warmsley Heath besteht aus einem Golfplatz, zwei Hotels, einigen uberaus eleganten Villen, alle mit Blick auf den Golfplatz gebaut, sowie einer Reihe ehemaliger – das hei?t: vor dem Kriege – Laden fur Luxusartikel und einem Bahnhof.
Von diesem Bahnhof aus fuhrt eine Landstra?e nach London; nach der entgegengesetzten Seite zweigt ein kleiner Weg ab, der durch ein Schild als »Fu?weg nach Warmsley Vale«, gekennzeichnet ist.
Das inmitten waldiger Hugel versteckte Warmsley Vale ist grundverschieden von Warmsley Heath. Es ist ein nie wichtig gewesener Marktflecken, der im Laufe der Zeit zu volliger Bedeutungslosigkeit herabsank. Es gibt dort eine so genannte Hauptstra?e mit alten Hausern, selbstverstandlich einige Gasthauser und vereinzelte, denkbar einfache Laden, vor allem aber eine Atmosphare der Weltabgeschiedenheit, als lage der Ort hundertfunfzig und nicht achtundzwanzig Meilen von London entfernt.
Samtliche Einwohner von Warmsley Vale sind sich einig in ihrer Verachtung fur das pilzgleiche Aufschie?en Warmsley Heaths.
Am Rand des Ortes stehen einige hubsche Hauschen mit vertraumten alten Garten, und in eines dieser Hauschen kehrte Lynn Marchmont zuruck, als sie im Fruhjahr 1946 aus dem Frauenhilfsdienst entlassen wurde.
Am dritten Morgen nach ihrer Heimkehr stand sie am Fenster ihres Schlafzimmers und atmete in vollen Zugen die frische, nach Erde und feuchten Wiesen riechende Luft ein. Zweieinhalb Jahre hatte sie diesen Geruch vermisst.
Herrlich war es, wieder daheim zu sein, herrlich, wieder in dem geliebten eigenen Zimmer zu stehen, nach