Dienstag nacht um elf Uhr ein Gesprach fur Lynn Marchmont durchgegeben. Wurde die Londoner Wohnung ebenfalls angerufen?«

»Ja, um zehn Uhr funfzehn. Der Anruf kam aus Warmsley Vale aus einer offentlichen Telefonzelle.«

»Aha. Ich danke Ihnen, Inspektor.«

Hercule Poirot erhob sich und schritt zur Tur.

»Halt«, rief ihm der Inspektor nach. »Wie steht es mit der versprochenen Antwort?«

»Gedulden Sie sich noch ein wenig«, bat Poirot hoflich. »Ich erwarte noch einen Brief, einen wichtigen Brief. Wenn ich ihn habe, fugt sich das letzte Glied in die Kette. Dann stehe ich Ihnen fur alle Auskunfte zur Verfugung.« 

32

Lynn trat aus dem Haus und schaute zum Himmel empor. Die Sonne ging eben unter; der Himmel war von einem glasigen Leuchten uberzogen. Eine bedruckende Ruhe lag uber der Landschaft. Es war die Ruhe vor einem Sturm.

Sie durfte ihren Entschluss nicht mehr langer hinausschieben. Sie musste Rowley reinen Wein einschenken. Ihm zu schreiben, ware feige gewesen. Sie war ihm eine offene Aussprache schuldig.

Dies bedeutet den Abschied von meinem bisherigen Leben, sagte Lynn zu sich selbst. Denn das Leben mit David wurde einem Spiel gleichen. Sie hatte ihre Wahl getroffen und war doch nicht froh daruber. David heiraten, hie? einem Abenteuer entgegengehen. Und das Abenteuer konnte ebenso gut glucklich wie traurig enden. Vor wenigen Stunden hatte David sie angerufen.

»Ich dachte, ich durfte dich nicht an mich ketten, Lynn. Aber ich war ein Narr. Ich bringe es nicht uber mich, von dir wegzugehen. Wir fahren nach London, besorgen uns eine Lizenz und heiraten auf der Stelle. Und Rowley teilen wir die Neuigkeit erst mit, wenn du Mrs David Hunter bist.«

Aber damit war sie nicht einverstanden gewesen. Sie wollte selbst mit Rowley sprechen, und nun war sie auf dem Weg zu ihm.

Rowley offnete ihr die Tur und trat erstaunt einen Schritt zuruck.

»Lynn! Warum hast du nicht vorher angerufen und gesagt, dass du kommst. Um ein Haar hattest du mich nicht angetroffen.«

»Ich muss mit dir reden, Rowley. Ich werde David Hunter heiraten.«

Sie hatte emporten Protest, Wut, jede nur denkbare heftige Reaktion erwartet, nur nicht die, die sie jetzt erlebte.

Rowley sah sie einen Augenblick stumm an. Dann drehte er sich um und stocherte mit dem Schurhaken die Glut im Kamin auf. Erst dann wandte er sich wieder ihr zu.

»Du heiratest David Hunter? Und warum?«

»Weil ich ihn liebe.«

»Das ist nicht wahr. Du liebst mich.«

»Ich habe dich geliebt, Rowley, bevor ich wegging. Aber vier Jahre sind eine lange Zeit. Und ich habe mich geandert. Nicht nur ich, auch du hast dich geandert.«

»Nein, ich habe mich nicht geandert. Ich bin hier geblieben, habe tagaus, tagein das gleiche Leben gefuhrt. Ein schones, sicheres Leben ohne Gefahren, wie?«

Die Adern an seiner Stirn schwollen. Langsam stieg ihm das Blut ins Gesicht, und in seine Augen trat ein Ausdruck zugellosen Zorns.

»Rowley – «

»Sei ruhig. Jetzt rede zur Abwechslung einmal ich. Ich bin um alles gekommen, was mir zugestanden hatte. Ich habe nicht fur mein Vaterland kampfen durfen; ich habe meinen besten Freund im Krieg verloren, und ich habe mein Madchen, meine Braut, in der Uniform umherstolzieren sehen, wahrend ich der Tolpel war, der auf seiner Scholle hockte und in dumpfer Ergebenheit seinen Acker pflugte. Mein Leben war die Holle, Lynn. Und seit du zuruck bist, ist es schlimmer als die Holle, Lynn. Seit ich an jenem Abend bei Tante Kathie euch zwei beobachtet habe, David und dich, wie ihr euch angeschaut habt. Aber merk dir eins: Er soll dich nicht haben. Wenn ich dich nicht haben kann, soll niemand dich haben.«

»Rowley – «

Lynn hatte sich erhoben und ging langsam, Schritt um Schritt, ruckwarts zur Tur. Dieser Mann war nicht langer Rowley Cloade. Er war wie ein wildes Tier.

Rowley war neben ihr. Seine Hande schlossen sich um ihre Kehle.

»Ich habe zwei Menschen ermordet«, klang es an ihr Ohr. »Glaubst du, ich werde davor zuruckschrecken, einen dritten Mord auf mein Gewissen zu laden?«

Seine Hande umschlossen ihre Kehle fester. Es flimmerte vor Lynns Augen, dann wurde alles schwarz, sie war dem Ersticken nahe…

Und da, plotzlich, hustete jemand leise. Ein kurzes, gekunsteltes Husten.

In der Tur stand Hercule Poirot, ein um Entschuldigung bittendes Lacheln spielte um seine Lippen.

»Ich hoffe, ich store nicht?«, sagte er hoflich.

Einen Augenblick schien die Atmosphare zum Zerrei?en gespannt. Dann sagte Rowley mit muder Stimme:

»Sie sind im richtigen Augenblick gekommen. Es stand auf Messers Schneide.« 

33

Hercule Poirot zog ein sauberes Taschentuch hervor, trankte es mit kaltem Wasser und reichte es zusammen mit einer Sicherheitsnadel Lynn.

»Legen Sie sich das um den Hals, Mademoiselle. Es wird den Schmerz gleich lindern.«

Er geleitete sie behutsam zu einem Stuhl.

»Sie haben kochendes Wasser?«, fragte er dann Rowley, auf den dampfenden Kessel auf dem Herd deutend. »Ein starker Kaffee tate gut.«

Mechanisch bruhte Rowley Kaffee auf.

»Ich glaube, Sie haben nicht begriffen«, sagte er dann langsam. »Ich habe versucht, Lynn zu erwurgen.«

»Tz… tz… tz…«, machte Poirot, als sei er betrubt daruber, Rowley bei einer Geschmacklosigkeit zu ertappen.

Stumm wartete er, bis Rowley mit den Tassen zum Tisch trat. Lynn nippte an ihrem Kaffee. Die Warme tat gut. Der Schmerz lie? nach.

»Und nun konnen wir reden. Wenn ich das sage, meine ich: Ich werde reden.«

Hercule Poirot reckte sich zu voller Hohe auf.

»Wie viel wissen Sie?«, fragte Rowley. »Wissen Sie, dass ich Charles Trenton getotet habe?«

»Das ist mir seit einiger Zeit bekannt«, gab Poirot zu.

Die Tur wurde aufgerissen. David Hunter sturzte in die Kuche. Beim Anblick der drei Menschen blieb er abrupt stehen und sah verdutzt von einem zum andern.

»Was ist mit deinem Hals los, Lynn?«

»Noch eine Tasse«, befahl Hercule Poirot.:

Rowley reichte ihm eine. Poirot nahm sie, schenkte Kaffee ein und druckte sie dann dem fassungslosen David in die Hand.

»Setzen Sie sich. Wir werden jetzt gemeinsam Kaffee trinken, und Sie drei werden zuhoren, wie Hercule

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