Poirot Ihnen einen Vortrag uber Verbrechen halt.

Ich will von den Cloades sprechen. Es ist nur einer von ihnen anwesend, also brauche ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die Cloades hatten nie die Moglichkeit, sich uber ihre eigene Starke oder Schwache klar zu werden. Bis zu dem Tag, da sie plotzlich auf sich selbst gestellt waren. Uber Nacht zwang das Schicksal sie, mit ihren Schwierigkeiten allein fertig zu werden. Ohne auch nur im geringsten darauf vorbereitet zu sein, befanden sie sich in einer unsicheren Situation. Zwischen sie und ihr gewohntes, sicheres Leben, garantiert durch Gordon Cloades gro?es Vermogen, war Rosaleen Cloade getreten. Rosaleen Cloade war an allem schuld. Rosaleen Cloade war der Schlussel zu allen Schwierigkeiten, und ich bin uberzeugt, dass jeder Einzelne von den Cloades einmal den Gedanken hegte: ›Wenn Rosaleen doch tot ware…«‹

Ein Schauer uberlief Lynn.

»Haben Sie daran gedacht, Rosaleen Cloade zu toten?«, fragte Poirot Rowley, ohne den Ton der Stimme zu verandern.

»Ja«, gab Rowley leise zu. »An dem Tag, als sie mich hier auf der Farm besuchte. Es ging mir durch den Kopf, dass ich sie leicht toten, konnte. Ja, der Gedanke kam mir, als ich ihr mit ihrem Feuerzeug Feuer gab fur ihre Zigarette.«

»Sie verga? das Feuerzeug hier, nehme ich an.«

Rowley nickte. »Ich wei? selbst nicht, wieso ich den Gedanken nicht in die Tat umsetzte«, sagte er nachdenklich.

»Es war nicht die Art Verbrechen, zu der Sie fahig sind. Das ist die Antwort«, entgegnete Poirot. »Den Mann, den Sie ermordeten, toteten Sie in einem Anfall blinder Wut, und Sie hatten nicht die Absicht, ihn zu toten.«

»Mein Gott, woher wissen Sie das?«

»Ich glaube, ich habe Ihre Handlungen ziemlich genau rekonstruiert. Unterbrechen Sie mich, wenn ich mich irre. Nachdem Beatrice Lippincott Ihnen von dem belauschten Gesprach erzahlt hatte, gingen Sie zu Ihrem Onkel Jeremy Cloade. Sie wollten seinen fachmannischen Rat. Aber Sie anderten Ihren Plan, ihn zu Rate zu ziehen. Sie erblickten eine Fotografie. Das gab den Ausschlag.«

Rowley nickte.

»Ja, das Bild stand auf dem Schreibtisch. Die Ahnlichkeit fiel mir auf. Und ich begriff, warum mir das Gesicht des Fremden so bekannt vorgekommen war. Ich begriff auch, dass Jeremy und Frances ein dunkles Spiel mit ihrem Verwandten trieben, um hinter dem Rucken der Familie Geld von Rosaleen zu erpressen. Ich sah rot vor Wut. Ich ging geradewegs in den ›Hirschen‹ und sagte dem Burschen auf den Kopf zu, er sei ein Schwindler. Er gab es lachend zu und trumpfte auf, dass er David Hunter richtig habe einschuchtern konnen. Er kame noch am gleichen Abend, um ihm das Geld zu bringen. Meine eigene Familie hinterging mich. Ich wusste nicht mehr, was ich tat. Er sei ein Schwein, warf ich Trenton an den Kopf und versetzte ihm einen Kinnhaken. Er sackte zusammen und fiel mit dem Hinterkopf auf das Kamingitter. Ich konnte es uberhaupt nicht fassen, als ich erkannte, dass er tot war.«

Poirot nickte.

»Und dann?«

»Das Feuerzeug gab den Ausschlag. Es fiel mir aus der Tasche, als ich mich uber den Toten beugte, und ich sah die Initialen. D. H. Es war Davids Feuerzeug, nicht Rosaleens. Ich zog den Toten in die Mitte des Zimmers und drehte ihn um, dass er mit dem Gesicht nach unten lag. Dann nahm ich die Feuerzange – die Einzelheiten erspare ich mir lieber. Als ich es hinter mir hatte, ruckte ich die Zeiger seiner Uhr auf zehn Minuten nach neun Uhr und druckte das Glas ein. Dann nahm ich dem Toten die Lebensmittelkarte und alle Papiere aus der Tasche und machte mich aus dem Staube. Mit Beatrices Geschichte von dem Gesprach zwischen dem Fremden und David Hunter, dachte ich, wurde sich der Verdacht nur gegen David richten.«

»Danke«, warf David trocken ein.

»Und dann spielten Sie eine kleine Komodie mit mir«, nahm Poirot den Faden des Gesprachs wieder auf. »Sie kamen zu mir und forderten mich auf, einen Zeugen zu suchen, der Robert Underhay gekannt hat. Sie hatten – wie alle Cloades – langst von der Geschichte gehort, die Major Porter seinerzeit im Club zum Besten gegeben hatte und deren Zeuge Ihr Onkel Jeremy geworden war. Sie wussten, ich wurde mich an Major Porter wenden. Und mit Major Porter hatten Sie bereits eine Unterredung unter vier Augen gehabt. In aller Heimlichkeit naturlich. Aber der Major verriet sich, und ich hatte sofort darauf kommen mussen. Er bot mir eine Zigarette an, als wir ihn gemeinsam aufsuchten, und sagte zu Ihnen: ›Sie rauchen ja nicht.‹ Dabei hatten Sie beide so getan, als hatten Sie sich eben erst kennen gelernt.« Poirot lachelte grimmig. »Aber wie dem auch sei, der Major bekam es mit der Angst zu tun und kundigte das Abkommen.«

»Er schrieb mir, er konne es doch nicht tun«, gestand Rowley. »Er schrieb, er wurde sich eher erschie?en als einen Meineid leisten, wo es um Mord ging. Hatte er nur gewartet. Ich hatte ihm klargemacht, dass wir zu weit gegangen waren, um noch umkehren zu konnen. Ich suchte ihn auf, aber ich kam zu spat. Es war furchtbar. Mir war zumute, als sei ich nun zum zweifachen Morder geworden. Wenn er doch nur gewartet hatte…«

Rowleys Stimme erstarb.

»Er hinterlie? einen Brief?«, fragte Poirot. »Haben Sie ihn an sich genommen?«

»Ja. Das Schreiben war an den Staatsanwalt gerichtet. Major Porter berichtigte darin seine Aussage und bezichtigte sich selbst des Meineids. Der Tote sei nicht Robert Underhay. Ich habe den Brief zerrissen und weggeworfen.«

Er holte tief Atem.

»Ich wollte Geld, um Lynn heiraten zu konnen. Ich wollte Hunter aus dem Weg schaffen. Und dann – ich verstand nichts mehr – wurde die Anklage gegen ihn plotzlich fallen gelassen, und es war von einer Frau die Rede.«

»Es war keine Frau«, erklarte Poirot nuchtern.

»Aber die alte Dame im ›Hirschen‹, Monsieur Poirot«, warf Lynn mit heiserer Stimme ein. »Sie hat sie doch mit eigenen Augen gesehen.«

»Die alte Dame sah eine Gestalt in Hosen, mit einem orangenen Schal um den Kopf und einem stark geschminkten Gesicht, ein ›Frauenzimmer‹ eben. Und sie horte eine Mannerstimme in Nummer 5 sagen: ›Mach, dass du wegkommst.‹ Eh bien, sie sah einen Mann und sie horte einen Mann. Die Idee war genial, Mr Hunter.«

Poirot wandte sich mit einer kleinen Verbeugung David Hunter zu.

»Was meinen Sie damit?«, fragte David argwohnisch.

»Nun werde ich Ihre Geschichte erzahlen«, fuhr Poirot fort. »Sie kommen so gegen neun Uhr zum ›Hirschen‹, nicht um zu morden, sondern um zu zahlen. Und Sie finden den Mann, der Sie erpresst hatte, tot auf dem Boden liegend vor. Sie haben eine schnelle Auffassungsgabe, Mr Hunter, und Sie sind sich sofort im Klaren daruber, dass Sie sich in gro?er Gefahr befinden. Niemand hat Sie den ›Hirschen‹ betreten sehen. Die einzige Moglichkeit fur Sie ist, so schnell wie moglich den Tatort zu verlassen, den 9-Uhr20-Zug nach London zu erwischen und zu beschworen, dass Sie nicht in Warmsley Vale waren an diesem Nachmittag. Um den Zug noch zu erwischen, mussen Sie querfeldein laufen. Sie treffen unerwartet Miss Marchmont, und Sie machen sich klar, als Sie den Rauch der Lokomotive im Tal sehen, dass Sie den Zug nicht mehr erreichen werden. Sie erzahlen Miss Marchmont, es sei erst neun Uhr funfzehn, was sie Ihnen glaubt. Sie gehen zuruck nach Furrowbank, kramen in den Sachen Ihrer Schwester, schlingen sich einen orangenen Schal um den Kopf, benutzen die Schminke Mrs Cloades und kehren zuruck in den ›Hirschen‹, wo Sie sorgsam darauf achten, von der alten Dame gesehen zu werden. Wie die alte Dame die Treppe hinaufsteigt, kommen Sie aus dem Zimmer Nummer 5, kehren nochmals um und sagen: ›Mach, dass du wegkommst‹ oder so etwas Ahnliches. Naturlich denkt die alte Dame, der Bewohner des Zimmers habe diese Worte gesprochen.«

»Ist das wahr, David?«, fragte Lynn unglaubig.

David grinste.

»Und ich habe eine gute Vorstellung als Damenimitator gegeben. Du hattest das Gesicht dieses alten Drachen sehen sollen.«

»Aber wie konntest du um zehn Uhr hier sein und mich um elf Uhr von London aus anrufen?«, forschte Lynn weiter.

»Das war sehr einfach«, erklarte Poirot. »Mr Hunter rief von der offentlichen Telefonzelle aus seine Schwester in London an und gab ihr genaue Anweisungen. Kurz nach elf Uhr verlangte Mrs Cloade eine Fernverbindung mit Warmsley Vale. Als die Verbindung hergestellt war, sagte das Fraulein von der Zentrale vermutlich ›London ist da‹ oder ›Sie konnen sprechen‹, woraufhin Mrs Cloade den Horer wieder auflegte. Mr Hunter

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