Die noch immer aufrechte Untote wankt. Einen Moment lang wirkt sie wie betrunken. Sie zuckt in ihrem Jogginganzug von Pierre Cardin zusammen, fallt aber nicht zu Boden. Der Kopf des funfzehn Zentimeter langen verzinkten Nagels ragt direkt uber der Nase aus der Stirn der Frau und sieht wie eine kleine Munze aus, die man dort festgeklebt hat.
Das Wesen halt sich eine halbe Ewigkeit lang aufrecht. Seine Augen, die an einen Haifisch erinnern, blicken zum Himmel, bis es schlie?lich langsam ruckwartszutaumeln beginnt. Das zerstorte Gesicht nimmt einen merkwurdigen, beinahe vertraumt wirkenden Ausdruck an.
Einen Augenblick lang hat es den Anschein, als ob sich die Frau an etwas erinnern wurde. Dann bricht sie endgultig auf dem Rasen zusammen.
»Ich glaube, die Nagel richten genug Schaden an, um die Monster zumindest aufzuhalten«, sagt Philip nach dem Abendessen, wahrend er vor dem abgedunkelten Fenster im Wohnzimmer auf und ab tigert. In den Handen halt er die Nagelmaschine, die er zur besseren Anschauung in die Hohe hebt.
Die anderen sitzen um den gro?en glanzenden Eichentisch, auf dem noch Geschirr und die Uberreste des Essens stehen. Brian hat das Kochen ubernommen und einen Braten in der Mikrowelle aufgetaut. Fur die So?e ruhrt er etwas Sahne in einen nicht ublen Cabernet Sauvignon. Penny befindet sich nebenan im Familienzimmer und schaut eine DVD der Kinderserie Dora an.
»Kann sein. Aber hast du auch gesehen, wie diese Frau zu Boden gegangen ist?«, fragt Nick und spielt mit einem Stuckchen Fleisch, das noch auf seinem Teller liegt. »Nachdem du den Nagel versenkt hast … Hat ganz den Anschein gehabt, als ob sie einen Moment lang bekifft gewesen ware.«
Philip lauft weiterhin durchs Wohnzimmer, wobei er mehrmals auf den Ausloser der Nagelpistole druckt. »Ja, aber was zahlt, ist, dass sie letztlich zu Boden gegangen ist.«
»Das Ding ist auf jeden Fall leiser als eine Pistole oder ein Gewehr.«
»Und es ist einfacher, als den Schadel mit einer Axt aufzuspalten.«
Bobby, der gerade mit seiner zweiten Portion Braten mit So?e angefangen hat, gibt mit vollem Mund zu bedenken: »Nur schade, dass wir kein Verlangerungskabel haben, das zehn Kilometer lang ist.«
Philip druckt noch einige Male ab. »Vielleicht konnten wir das Ding mit Batterien betreiben.«
Nick blickt vom Tisch auf. »Vielleicht mit einer Autobatterie?«
»Ich habe eher an etwas gedacht, das einfacher zu handhaben ist. Vielleicht eine von diesen Laternenbatterien, oder wir nehmen eine aus einem der Rasenmaher.«
Nick zuckt mit den Achseln.
Bobby isst weiter.
Philip tigert auf und ab und denkt nach.
Brian starrt an die Wand und murmelt: »Es hat irgendetwas mit ihren Gehirnen zu tun.«
»Was?« Philip sieht seinen Bruder fragend an. »Was war das, Bri?«
Brian sieht ihn an. »Diese Wesen … diese Krankheit. Die muss doch mit dem Gehirn zu tun haben, oder nicht? Anders kann es nicht sein.« Er halt inne und starrt nachdenklich auf seinen Teller. »Ich finde, dass wir immer noch nicht sicher wissen, ob sie wirklich tot sind.«
Nick schaut Brian fragend. »Meinst du, nachdem wir sie aus dem Verkehr gezogen haben? Nachdem wir … Nachdem wir sie zerstort haben?«
»Nein, ich meine davor«, antwortet Brian. »Ich meine den Zustand, in dem sie sich befinden.«
Philip bleibt stehen. »Mann … Am Montag habe ich einen gesehen, der von einem Zwanzigtonner uberfahren und zerquetscht wurde. Zehn Minuten spater schleppt sich das Monster uber die Stra?e und zieht seine Eingeweide hinter sich her. Es war uberall in den Nachrichten. Sie sind tot, Kumpel. Die sind garantiert tot.«
»Ich meine ja nur. Das zentrale Nervensystem, Mann – das ist hochkompliziert. Mit dem ganzen Mist, den wir in die Umwelt pumpen, wer wei?, ob es da nicht neue, noch unbekannte Mutationen gibt.«
»He, wenn du so einen Zombie zum Arzt bringen und ihn genauer untersuchen lassen willst, werde ich dich garantiert nicht aufhalten.«
Brian seufzt. »Ich will damit doch nur sagen, dass wir nicht genug uber sie wissen. Eigentlich wissen wir gar nichts.«
»Wir wissen alles, was wir wissen mussen«, erklart Philip und sieht seinen Bruder auffordernd an. »Wir wissen zum Beispiel, dass es jeden Tag mehr von denen gibt und dass sie nichts anderes wollen, als uns zum Mittagessen zu verspeisen. Und genau deshalb verschanzen wir uns hier fur ein Weilchen und warten ab, wie sich die Sache entwickelt.«
Brian seufzt erneut, diesmal lauter. Die anderen mischen sich nicht mehr ein.
In die nun herrschende Stille dringen jene Gerausche, die sie schon die ganze Nacht uber gehort haben: das dumpfe Aufprallen von empfindungslosen Korpern, wenn sie gegen die behelfsma?igen Barrikaden knallen.
Trotz Philips Bemuhungen, den Zaun so rasch und leise wie moglich aufzustellen, wurden die Zombies dennoch auf sie aufmerksam. Vermutlich lag es an der erhohten Aktivitat.
»Was meinst du: Wie lange konnen wir hier noch bleiben?«, fragt Brian leise.
Philip setzt sich endlich an den Tisch, legt die Nagelmaschine ab und nimmt einen Schluck Bourbon. Er weist mit dem Kopf zum Familienzimmer, wo die skurril klingenden Stimmen des Kinderprogramms zu horen sind. »Sie braucht eine Pause«, sagt er. »Sie ist erschopft.«
»Sie liebt diesen Spielplatz im Garten«, erklart Brian und lachelt.
Philip nickt. »Hier kann sie zumindest ein einigerma?en normales Leben fuhren.«
Alle Augen richten sich auf ihn, wahrend jeder fur sich nachdenkt.
»Sto?en wir auf die reichen Protzer dieser Welt an«, unterbricht Philip die Stille und hebt sein Glas.
Die anderen stimmen ein, auch wenn sie sich nicht ganz sicher sind, was er damit meint … oder wie lange das alles noch gutgehen wird.
Vier
Am Tag darauf spielt Penny in der herbstlichen Sonne unter Brians Aufsicht im Garten. Sie spielt den ganzen Vormittag uber, wahrend die anderen eine Art Inventur machen und ihre zusammengetragenen Sachen ordnen. Nachmittags kummern sich Philip und Nick um die Lichtschachte zum Keller, die sie mit Holz zunageln. Danach versuchen sie vergeblich, die Nagelmaschine auf Batteriebetrieb umzubauen, wahren Bobby, Brian und Penny im Familienzimmer miteinander Karten spielen.
Die unmittelbare Nahe der Untoten ist ihnen stets bewusst. Wie ein Haifisch unter der Wasseroberflache begleitet sie jede ihrer Entscheidungen, jede ihrer Handlungen. Fur den Moment geht es jedoch lediglich um den einen oder anderen Streuner, der sich verlaufen hat und gegen die Barrikade sto?t, ehe er wieder in eine andere Richtung taumelt. Der Gro?teil der Aktivitaten entlang der Green Briar Lane ist dank des zwei Meter hohen Zauns bisher unbemerkt geblieben.
An diesem Abend nach dem Essen – die Fenster sind bereits verdunkelt – glauben sie sich in Sicherheit, und eine gewisse Normalitat kehrt ein. Sie haben sich an das Haus gewohnt, und sie nehmen das vereinzelte dumpfe Aufprallen in der Dunkelheit kaum noch wahr. Brian hat den verschwundenen zwolfjahrigen Jungen so gut wie vergessen, und nachdem Penny ins Bett gegangen ist, schmiedet die Gruppe Plane fur die nachste Zukunft.
Sie diskutieren uber einen weiteren Verbleib in dem Kolonialhaus, bis die Vorrate aufgebraucht sind. Das kann noch Wochen dauern. Nick uberlegt, ob sie nicht eine Art Spaher aussenden sollten, um herauszufinden, wie sich die Lage auf den Stra?en nach Atlanta entwickelt. Doch Philip besteht darauf, dass niemand das Haus und seine Umgebung verlasst.
»Lass das die machen, die noch da drau?en sind«, rat er.
Nick verfolgt noch immer die Nachrichten im Radio, Fernsehen und Internet. So wie die Korperfunktionen eines Todkranken nach und nach aussetzen, so setzt auch bei den Medien ein Organ nach dem anderen aus. Mittlerweile senden die meisten Radiostationen entweder Wiederholungen oder unnutze Informationen fur den Notfall. Im Fernsehen – zumindest auf jenen Sendern, die uber Kabel zu empfangen sind und noch ausgestrahlt werden – sieht man lediglich entweder vierundzwanzig Stunden dauernde Zivilschutzsendungen oder denkbar unpassende Wiederholungen von Dauerwerbesendungen, die sonst nur spat nachts beziehungsweise in den fruhen Morgenstunden gezeigt werden.