Am dritten Tag stellt Nick fest, dass das Radio so gut wie nichts mehr sendet, die Kabelsender nur noch Rauschen bringen und das WLAN vollig ausgefallen ist. Einwahlverbindungen funktionieren auch nicht mehr, und Nicks regelma?ige Anrufe bei den Notrufnummern – die bisher stets irgendeine Ansage abspielten –, liefern ihm jetzt nur noch die Information, dass die gewahlte Nummer derzeit nicht verfugbar ist.

Am spaten Vormittag verdustert eine dicke Wolkendecke den Himmel.

Nachmittags legt sich ein truber, eiskalter Nebel uber die Siedlung. Alle fluchten ins Haus und versuchen nicht daran zu denken, dass nur ein schmaler Grat zwischen Sicherheit und Gefangensein liegt. Au?er Nick will niemand mehr uber Atlanta reden. Die Stadt scheint jetzt noch weiter weg zu sein – es ist, als ob sie sich immer weiter von ihnen entfernen wurde, je mehr sie uber die drei?ig Kilometer zwischen den Wiltshire Estates und der Metropole sprechen.

Nachdem sich die anderen schlafen gelegt haben, halt Philip seine einsame Nachtwache im Wohnzimmer neben einer schlummernden Penny.

Der Nebel ist dichter geworden und hat sich zudem zu einem gewaltigen Sturm mit Blitz und Donner entwickelt.

Philip zieht die Latten des Rollos ein wenig auseinander und wagt einen Blick in die Finsternis hinaus. Durch die Lucke sieht er uber die Barrikade hinweg die kurvige Stra?e und die riesigen Schatten der Eichen, deren Aste vom Wind gebeutelt werden.

Ein Blitz erhellt die Nacht.

Kaum zweihundert Meter entfernt bemerkt er ein Dutzend oder mehr menschliche Gestalten, die ziellos durch den peitschenden Regen wanken. Dann ist es wieder dunkel.

Es war zu kurz hell, um sicher zu sein. Aber Philip glaubt, dass die Kreaturen, die in ihrer bleiern langsamen Art an Schlaganfallpatienten erinnern, sich auf das Haus zubewegen. Konnen sie etwa Frischfleisch riechen? Oder hat sie der Larm der letzten Tage neugierig gemacht? Oder irren sie nur ziellos wie Goldfische in einer Glaskugel umher?

Zum ersten Mal, seitdem sie in Wiltshire Estates angekommen sind, grubelt Philip Blake daruber nach, ob ihre Tage in diesem mit dickem Teppichboden ausgelegten Schloss mit seinen ubergro?en Sofas nicht vielleicht doch gezahlt sind.

Der Morgen des vierten Tages ist kalt und bewolkt. Der zinngraue Himmel hangt tief uber dem nassen Rasen und den verlassenen Hausern. Obwohl niemand es explizit ausspricht, stellt der Tag doch eine Art Wegmarke dar: Es ist die zweite Woche seit Beginn der Katastrophe.

Philip steht mit einem Becher Kaffee im Wohnzimmer und spaht durch das Rollo auf die Barrikade hinaus. Im fahlen Morgenlicht sieht er, wie die nordostliche Ecke zu wackeln scheint. »Verdammt«, murmelt er.

»Was ist los?«, fragt Brian und rei?t Philip aus seinem Trubsinn.

»Es kommen immer mehr.«

»Mist. Wie viele?«

»Schwer zu sagen.«

»Was schlagst du vor?«

»Bobby!«

Dieser schlendert in einer ausgebeulten Trainingshose barfu? ins Wohnzimmer, in einer Hand hat er eine Banane. »Zieh dich am besten an«, schlagt Philip seinem Kumpel vor.

Bobby schluckt einen Bissen Banane runter. »Wieso? Was ist los?«

Philip ignoriert die Frage und wendet sich an seinen Bruder. »Penny bleibt im Familienzimmer. Okay?«

»Alles klar«, erwidert Brian und eilt davon.

Philip ist bereits auf dem Weg zur Treppe, wobei er den anderen zuruft: »Wir brauchen die Nagelpistole und so viel Verlangerungskabel, wie wir finden konnen … Und Axte!«

FFFFFFUUUUUMP! Nummer funf bricht wie eine riesige, in Fetzen gekleidete Stoffpuppe in sich zusammen. Die toten, milchigen Pupillen rollen nach oben und verschwinden im Kopf, als der Zombie auf der anderen Seite des Zauns zu Boden geht. Philip tritt einen Schritt zuruck. Vor Anstrengung ist er ganz au?er Atem. Sein Jeanshemd und seine Jeanshose sind feucht vor Schwei?.

Nummer eins bis Nummer vier waren einfach zu erledigen – wie Fische, die man aus einem Aquarium herausfischt. Eine Frau und drei Manner. Philip schlich sich einfach an sie heran, als sie unbeholfen gegen die Schwachstelle im Zaun stie?en und an ihr zu kratzen begannen. Philip brauchte nur noch neben der Lucke zwischen den Brettern zu warten, bis er einen guten Zielwinkel auf ihre Stirn hatte. Dann ging es ganz schnell, einer nach dem anderen: FFFFFFUUUUUMP! FFFFFFUUUUUMP! FFFFFFUUUUUMP! FFFFFFUUUUUMP!

Nummer funf war schwieriger. Er torkelte zufalligerweise im richtigen Augenblick zur Seite und vollfuhrte eine kleine Tanzeinlage wie ein Betrunkener, ehe er sich mit schnappendem Kiefer nach Philip reckte. Philip verschwendete zwei Nagel, die als Querschlager irgendwo auf dem Gehweg landeten, bevor er mit dem dritten endlich die Gro?hirnrinde des Anzugtragers durchbohrte.

Jetzt holt er tief Luft und krummt sich einen Moment lang vor Anstrengung. In der rechten Hand halt er noch immer die Nagelmaschine, die an vier sieben Meter langen Verlangerungskabeln hangt. Er richtet sich auf und lauscht. In der Einfahrt herrscht Stille, am Zaun wird nicht mehr gewackelt.

Er wirft einen Blick uber die Schulter und sieht Bobby Marsh im Garten, gut drei?ig Meter von ihm entfernt. Der Dicke sitzt nach Luft schnappend auf dem Boden und lehnt sich gegen eine kleine Hundehutte, die ein Dach aus Schindeln und ein Schild mit dem Namen LADDIE BOY hat.

Diese Reichen und ihre verdammten Hunde, denkt Philip. Adrenalin pumpt noch immer durch seine Adern. Das Tier hat wahrscheinlich Besseres zu fressen bekommen als die meisten Kinder dieser Welt.

Am hinteren Teil des Zauns, funf Meter von Bobby entfernt, hangen die Uberreste einer Frau uber die Latten. Die Axt, mit der ihr Bobby Marsh das Licht endgultig ausgeknipst hat, steckt noch in ihrem Schadel.

Philip winkt Bobby zu und schaut ihn fragend an: Alles senkrecht?

Bobby reckt den Daumen hoch.

In diesem Moment geht alles ganz schnell – ohne jegliche Vorwarnung.

Der erste Hinweis darauf, dass alles nicht senkrecht ist, erfolgt keine Sekunde, nachdem Bobby seinem Freund, Anfuhrer und Mentor den Daumen nach oben zeigte. In Schwei? gebadet, das Herz noch immer unter der Last seines nicht unbetrachtlichen Gewichts wild pochend, schafft es Bobby, Philip zuzulacheln … Dabei nimmt er die Gerausche, die aus dem Inneren der Hundehutte stammen, uberhaupt nicht wahr.

Schon seit Jahren versucht Bobby Marsh immer wieder, Philip Blake zu imponieren, und die Tatsache, dass er ihm jetzt nach einer solch blutigen Schlacht einfach den Daumen zeigen und dazu noch lacheln kann, gefallt ihm ungemein.

Als Einzelkind, das es kaum geschafft hat, die Schule abzuschlie?en, heftete Bobby sich schon an Philips Fersen, als Sarah Blake noch am Leben war. Nach ihrem Tod – und nachdem sich Philip etwas von seinen Trinkkumpanen distanziert hatte – war Bobby verzweifelt darum bemuht gewesen, wieder den Kontakt zu ihm herzustellen. Er rief ihn viel zu oft an. Er redete zu viel, wenn sie sich trafen. Au?erdem machte er sich standig lacherlich, um das drahtige Alphatier, den Anfuhrer und Freund zu beeindrucken. Doch erst jetzt glaubt Bobby – so komisch das auch klingen mag –, dass diese bizarre Epidemie wieder eine echte Verbindung zwischen den beiden Mannern ermoglichte.

Daran liegt es wohl auch, dass Bobby das Rumoren in der Hundehutte uberhaupt nicht hort.

Als es auf einmal kracht und so klingt, als ob ein Riese von innen gegen die Wande des Huttchens hammern wurde, erstarrt das Lacheln auf Bobbys Gesicht, und sein Daumen senkt sich langsam. Als er begreift, dass in der Hundehutte etwas ist, das sich bewegt, und der Gedanke uber samtliche Synapsen endlich sein Gehirn erreicht hat, ist es langst zu spat.

Eine schmachtige Kreatur schnellt aus dem gewolbten Eingang der Hundehutte!

Philip hat bereits die halbe Strecke zu Bobby im Sprint zuruckgelegt, als er sieht, dass die Kreatur, die gerade aus der Hundehutte hervorgeschossen ist, tatsachlich menschlich ist – oder zumindest das verwesende, blaulich verzerrte Abbild eines menschlichen Wesens. In den verfilzten blonden Strahnen kleben Blatter und Hundekot, und Ketten hangen um seine kleine Taille und an seinen Beinchen.

»MIST!«, brullt Bobby und schreckt vor dem zwolfjahrigen Untoten zuruck, als sich das Wesen, das einmal ein Kind gewesen ist, auf Bobbys schinkengro?es Bein sturzt.

Bobby wirft sich zur Seite und rei?t sein Bein gerade noch rechtzeitig zuruck. Das verzerrte Gesichtchen, das

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