werde immer eins bleiben.«

«Verruckt sind Sie, Joe, verruckt. Weiter nichts! Was wollen Sie mit dem Bernsteinzimmer. Einen solchen internationalen

Kunstschatz werden Sie nie verkaufen konnen! Und in Einzelteile zerbrochen, ist er nichts wert! Nur als Ganzes! Joe, sagen Sie mir, wo das Bernsteinzimmer ist… und ich vergesse Sie. Ist das ein Wort?«

«Ein sinnloses Wort, Sir. Ich habe nicht die Absicht gehabt, das Bernsteinzimmer zu verkaufen. Ich habe Geld genug. Millionen Dollar, Captain. Geerbt von meinem lieben GangsterDaddy. Und jetzt verhandeln Sie nicht weiter… ich hore Ihnen nicht mehr zu.«

Am 7. Januar fanden Skilaufer in einer Burgruine im Taunus eine nackte, steifgefrorene Leiche. Der Korper war von Messerstichen durchbohrt, ein langes, dolchahnliches Messer und ein Skalpell lagen neben ihm. Der Tote war verblutet… um ihn herum war das Blut zu einem Eissee erstarrt. Am schrecklichsten aber war die Wunde in der Korpermitte: man hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt. Ein wahnsinniger Blutrausch mu?te den Morder erfa?t haben.

Der Tote hatte keine Papiere bei sich, seine Kleidung wurde gefunden, aber auf einem Foto, das alle Zeitungen veroffentlichten, erkannte Wachter den Ermordeten sofort.

«Das ist das Ende — «, sagte er. Jetzt war er ein gebrochener, alter, zittriger Mann.»Jetzt werden wir das Bernsteinzimmer nie wiedersehen. Wer auch dahintersteckt… er war starker und schneller als wir. Nun gibt es keinen Weg mehr zu ihm. Mit Silbermann ist alle Hoffnung gestorben.«

Sie riefen die Polizei an, fuhren in das Gerichtsmedizinische Institut und identifizierten die Leiche. Wassilissa hatte eine langstielige rote Rose mitgebracht und legte sie Silbermann auf die nackte Brust, Wachter streichelte ihm die vereisten Hande, und Nikolaj hielt seinen Vater von hinten fest, als er zu weinen begann und unsicher auf den Beinen wurde.

Sie warteten noch das Begrabnis ab, standen dann am zugeschaufelten Grab zusammen mit zwei Kriminalbeamten, einem Grab, das sie mit den Dollars bezahlt hatten, die sie in der Wurzburger Wohnung gefunden und dann bei der Polizei abgeliefert hatten. 163 000 Dollar waren es, ein riesiges Vermogen, und Wachter fragte:»Was wird damit?«»Wir werden in den USA nach Erben suchen.«

«Und wenn er keine Erben hat? Ware es nicht sinnvoll, die 163 000 Dollar dem Unterstutzungsfonds der deutschen Juden zu uberweisen?«fragte Nikolaj.

«Das geht nicht. «Der Beamte sah Nikolaj erstaunt an.»Es liegt ja kein Testament vor. Wir konnen das Geld nur einziehen.«

«Und so beerbt ein Staat, der eine ganze Familie ausrottete, auch noch den letzten Uberlebenden.«

«Ich glaube, Sie sehen das falsch!«Der Beamte bekam einen steifen Rucken und wurde etwas verkniffen.»Sie konnen das nicht verstehen… Sie sind Russe!«

«Gehen wir. «Wachter fa?te seinen Sohn unter und verlie? die Behorde. Und drau?en — es war ein sonniger Wintertag mit einem klaren blauen Himmel wie uber Leningrad — sagte er mit fester Stimme:»La? uns zuruck nach Puschkin fahren, Sohnchen. Hier haben wir nichts mehr zu suchen. Das Bernsteinzimmer ist verloren… fur alle Zeit… und voll Blut ist es jetzt auch. Gott war uns nicht gnadig… und ich wei? nicht, warum. «Die Gnade Gottes aber lie? ihn vierundneunzig Jahre alt werden.

An einem Junitag im Jahre 1980 fanden Nikolaj und sein Sohn Peter den Alten wie immer im Bernsteinzimmer auf dem Stuhl sitzend, auf dem er vierundsechzig Jahre als Wachter und Betreuer gesessen hatte. Er hatte den Kopf nach hinten an die kahle Wand gelehnt, blickte in den Himmel, in das Deckengemalde mit den allegorischen Darstellungen, hatte die Augen weit geoffnet und atmete nicht mehr.

Nikolaj, nun auch schon ein Mann von zweiundsechzig Jahren, und der Enkel Peter, ein hubscher Bursche von dreiunddrei?ig Jahren, trugen ihn auf seinem Stuhl sitzend aus dem leeren Bernsteinzimmer hinuber in die Wohnung. Und als sie ihn auf das geliebte alte geschnitzte Sofa legten, sagte Jana Petrowna leise:»Wie glucklich er aussieht. Getraumt hat er von seinem Zimmer und hat es mitgenommen in die Ewigkeit. Nun bist du zufrieden, Vaterchen, nicht wahr? Erfahren hast du noch, da? man es nachbauen will. Es wird das Zimmer wieder geben, dein Bernsteinzimmer… und ein Wachter wird es wieder pflegen, dein Sohn Nikolaj oder dein Enkel Peter. Vaterchen, ruhe dich aus im Himmel.«

«Das war die schonste Grabrede, die er bekommen konnte«, sagte Nikolaj und legte den Arm um Jana Petrowna.»Wir sollten nicht um ihn weinen… wir sollten ihn bewundern. Was ist Treue, sollten wir immer fragen. Was ist Liebe? Und wir werden immer antworten: Sieh dir Michail Igorowitsch an, dort an der Wand hangt sein Bild, sieh ihm in die Augen und du wei?t, was Liebe und Treue ist.«

Sie setzten sich alle um den Toten, Nikolaj, Jana, Peter und Janina. Jana steckte eine Kerze an und stellte sie an den Kopf des Alten, und so wurde es Abend, das flackernde Licht der Kerze war der einzige Schein, und die langen Jahre kehrten zuruck und brachten Dankbarkeit mit… Dankbarkeit fur ein schones, wildes, umkampftes und erfulltes Leben.

Ein Mensch sollte immer dankbar sein, fur jeden Tag, jede Stunde, denn das Leben verrinnt und ware umsonst gelebt ohne Dankbarkeit -

Whitesands

«Der Verruckte spielt wieder mit seinen Schiffchen«, sagte David Hoven, der Kommandant der Feuerwehr von Whitesands, als er vom Angeln nach Hause kam und seiner Frau Lornie drei Fische auf den Kuchentisch klatschte.»Man soll es nicht fur moglich halten: Steht bis zum Bauch im Wasser, hat den Gummioverall an, und obenrum tragt er eine Art Uniform mit Schnuren und Schnorkeln, als spiele er in einem dieser historischen Hollywoodschinken mit. >He!< habe ich ihm zugerufen. >Was gibt das da?< Und er hat geantwortet: >Wenn ich die Schweden diesmal schlage und ihre Flotte vernichte, bin ich der Herr der Ostsee!< — Was soll man dazu sagen? Er wird immer verwirrter im Kopf. Und als ich ihm zurief: >Ron, komm aus dem Wasser. Es ist noch zu kalt. Du verkuhlst dir den Arsch!<, winkte er wie ein Feldherr und sagte stolz: >Was nimmt Er sich heraus?! Erkennt Er Pjotr Alexejewitsch nicht?< — Da bin ich weg. Wer ist Pjotr Alexejewitsch?«

«Kenn ich die Spinnereien des Alten?«Lornie betrachtete die Fische. Sie waren gut fur zwei Mahlzeiten… einmal Bratfisch, einmal Fischsuppe.»Du solltest mal den Reverend fragen. Der kennt ihn besser. Auf jeden Fall ist es etwas Russisches.«»Was hat Ron Calling mit Ru?land zu tun?«

«Verruckte leben immer in anderen Welten. Das habe ich mal irgendwo gelesen. Solange er ein harmloser Irrer ist, kann er von mir aus auf Tahiti leben und am Strand Hula-Hula tanzen…«

Vor funfundzwanzig Jahren war Ron in Whitesands aufgetaucht, ein frohlicher, starker Bursche mit einem flotten Oberlippenbartchen und gelockten Haaren, genau an dem Tag, an dem der alte, von allen geliebte und verehrte Williams in seinem wei?en Schlo? am Meer starb. Noch genau konnte man sich an diesen Tag erinnern: Alle Glocken im Ort lauteten, am Rathaus wurde die amerikanische Flagge auf Halbmast gesetzt, in den drei Kirchen wurde gebetet. Es war mehr Trauer unter dem Volk, als wenn der Prasident der USA gestorben ware. Der Prasident war weit, dahinten in Washington, aber

Williams war nahe gewesen, ein Wohltater, wie es keinen zweiten mehr geben wurde, nicht fur Whitesands. Einen Kindergarten hatte er gestiftet, zwei neue Feuerwehrloschwagen, er war Mentor der Baseball- und Football-Mannschaft, er hatte ein Schwimmstadion bauen lassen, und jedes halbe Jahr durften sich alle Einwohner von Whitesands auf seine Kosten in der Klinik der Bezirksstadt auf Krebs untersuchen lassen. Wo gab es so etwas wieder? Der Tod von Williams war ein nationaler Trauertag fur Whitesands.

Ron Calling hatte an dem gro?en Trauerzug teilgenommen. Er hatte auch am Grab gestanden und einen Blumenstrau? hinunter auf den schweren Eichensarg geworfen. Die Einwohner von Whitesands fanden das sehr lobenswert, denn Mr. Calling war ja erst vor vier Tagen angekommen und hatte den alten guten Williams nie gekannt.

Dann wurde das Testament eroffnet, ganz Whitesands staunte und hatte Beifall geklatscht, wenn's nicht ein so trauriger Anla? gewesen ware: Williams hatte sein gesamtes Vermogen der Krebsforschung vermacht, weil — so schrieb er — sein Sohn Joe diese Welt verlassen hatte. Man munkelte etwas von fast dreihundert Millionen Dollar, und eine Delegation des bedachten Krebsforschungsinstitutes pilgerte nach der Testamentseroffnung mit einem riesigen Blumengebinde zum Grab des Spenders und legte auch einen schonen Blutenkranz vor dem

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