Leonardo da Vinci. Unterhalten hatte man sich, naturlich nur uber Bilder und ihre genialen Maler. Wer verrat denn in solch einem Gesprach, da? er eine Tochter hat, die Jana hei?t?

«Weiter«, sagte Sinowjew, etwas milder gestimmt.»Was will die Tochter von Rogowskij bei den Deutschen?«

«Verlobt bin ich mit Nikolaj Michajlowitsch Wachterowskij.«»Kein Begriff ist mir dieser Name.«

«Er ist der Sohn von Michail Igorowitsch Wachterowskij.«»Auch den kenne ich nicht.«

«Eigentlich hei?t er Michael Wachter. Das Bernsteinzimmer in Puschkin betreut er.«

Sinowjews Kopf schnellte vor. Sein Oberkorper lag jetzt wie zum Sprung geduckt uber der Karte, und um seine Augen begannen die Muskeln zu zucken.»Das Bernsteinzimmer betreut er? Wie soll man das verstehen?«sagte er. Der Klang seiner Stimme war hoher als sonst, wie Kowaljow erstaunt feststellte.»Ich werde es Ihnen erzahlen, Genosse General. «Jana sah sich um. Plotzlich zitterten ihre Knie, sie konnte kaum noch stehen. Er glaubt mir, dachte sie und mu?te sich an Kowaljow festhalten. Nicht erschossen werde ich, das Leben darf ich behalten, meinen Auftrag kann ich ausfuhren. Vor ihren Augen begannen sich der General, der Schreibtisch, die Fenster, die Stuckarbeiten an Wanden und Decke zu drehen. Bevor Sinowjew reagieren konnte, stie? sie sich von Kowaljow ab, erreichte einen der mit rotem Brokat bezogenen, vergoldeten Stuhle und lie? sich auf ihn fallen.»Eine… lange Geschichte ist es«, sagte sie und bemuhte sich, trotz ihrer Schwache deutlich zu sprechen.»Ein langes Erbe ist es, genau 225 Jahre alt.«»Erzahlen Sie, Jana Petrowna. «Sinowjew winkte hinuber zu Kowaljow.»Hol Wodka, etwas zu essen, schnell.«

Kowaljow nickte, machte kehrt und verlie? das Zimmer. Was geht hier vor, dachte er, wahrend er eine Ordonnanz rief und die Wunsche des Generals weitergab. Wieso ist plotzlich alles anders? Einen deutschen Soldatenmantel hat sie getragen, in einer Erdhohle hat sie sich verkrochen. Kann man das vergessen? Und wenn sie Stalins Tochter ware, wer zum Feind uberlauft, gehort erschossen.

«Es war unser Plan, da? ich mich von den Deutschen uberrollen lasse«, sagte Jana Petrowna und lehnte den Kopf gegen die mit Damast bezogene Wand.»Nikolaj ist nach Leningrad gefahren, um seine Pflicht zu erfullen und die Stadt zu verteidigen. Dreiundzwanzig Jahre ist er…«,»Und Sie, Jana?«»Neunzehn. Wir lernten uns kennen vor zwei Jahren, als Nikolaj und sein Vater die Bernsteinschranke in der Eremitage besuchten. Wir waren sofort verliebt ineinander, und auch Vaterchen hatte nichts gegen uns, als er erfuhr, wer Michael Wachter, Nikolajs Vater, war. Seit einem Jahr leben wir zusammen in Puschkin, in einem Seitenflugel des KatharinenPalastes, dort, wo seit der Zeit der Zarin Elisabeth die Familie Wachterowskij, wie sie sich seit 225 Jahren nennt, wohnt. «Sie schlo? die Augen. Da? man sie nicht mehr erschie?en wurde, erschutterte sie zutiefst. Sie hatte weinen mogen, aber nur ein Zittern durchlief ihren Korper.»Und dann stehen plotzlich die Deutschen vor Puschkin, Vaterchen Michail hatte es immer geahnt, ganz sicher war er sich, als die Deutschen den Ilmen-see und Nowgorod eroberten, die Luga uberquerten und am Wolchow entlang nach Leningrad schwenkten. >Sie werden auch Puschkin nicht verschonen<, hatte Vaterchen gesagt.

>Sie werden das Bernsteinzimmer wegschleppen, und niemand wird wissen, wohin es gekommen ist. Verloren wird es fur immer sein. Warum kommt denn niemand und holt es aus Puschkin weg?< Telefoniert hat er, dreimal nach Leningrad ist er gefahren, aber dort waren sie beschaftigt, die gro?ten Schatze der Eremitage und der anderen Museen in den Gewolben und der Isaaks-Kathedrale zu verstecken. Zu spat war es dann, als sie dann doch noch nach Puschkin kamen. Die Deutschen waren schneller. Nur die Bilder, Skulpturen, Mobel, Bucher, Teppiche und Porzellane konnten sie wegbringen. Fur das Bernsteinzimmer blieb keine Zeit mehr.«

«Ich wei? es. «Sinowjew blickte ungeduldig zur Tur. Wo blieb der Wodka, das Essen. Es konnte doch nicht so schwer sein, etwas E?bares herzubringen!» Mit Marschall Schukow habe ich daruber gesprochen. Er sieht nur die Hande, die schie?en, keine Hande, die Kunstschatze retten. Vielleicht hat er recht, sicherlich hat er recht. Den deutschen Angriff mussen wir zum Stehen bringen.«

«Genauso sprach Vaterchen Michail. «Jana Petrowna hatte die Schwache uberwunden, sie atmete wieder gleichma?iger und sah hinuber zu Sinowjew.»Und da hatten wir einen Plan. Wenn die Deutschen Vaterchen umbrachten, wurde niemand mehr da sein, der das Bernsteinzimmer bewachte. Der immer in seiner Nahe war, der es auf allen Wegen begleitete, der die deutschen Rauber nicht aus den Augen lie?. Nur ich konnte das… als deutsche Krankenschwester. Wer kontrolliert eine Krankenschwester? Uberallhin konnte ich kommen, ohne aufzufallen. Das war der Plan: Uberrollen lasse ich mch von den deutschen Truppen, gut versteckt in einer Erdhohle, und wenn sie weitergezogen sind, melde ich mich als versprengte Schwester in Puschkin. Zuruckgekehrt zu unserem Bernsteinzimmer bin ich, und nie mehr aus den Augen werde ich es lassen. Ist das nicht ein guter Plan, Genosse General?«

Sie holte wieder tief Atem und sah zu, wie die Ordonnanz ein Tablett mit Wodka, Tee und Platzchen hereinbrachte und Kowaljow damit einen runden Tisch in der gegenuberliegenden Ecke deckte.

«Irgendwie bekam Vaterchen die Rote-Kreuz-Uniform und einen deutschen Militarmantel — erobert bei einem Vorsto? bei Luga, erklarte er. Und dann fuhren wir in den Wald, gruben die Hohle aus, und ich blieb in der Hohle und wartete. >Nur noch vier Tage, Janaschka<, sagte Vaterchen zu mir, >vielleicht noch kurzer. Gott segne dich, mein Tochterchen. Wenn wir uns nicht wiedersehen und Nikolaj den Krieg uberlebt, sei ihm eine gute Frau. Und la? nie das Bernsteinzimmer aus den Augen, wohin man es auch bringt. Eine Krankenschwester kommt uberall hin.< So war es, und dann entdeckt mich der Rotarmist Solotwin, bringt mich zu Unterleutnant Wechajew. Und er will mich erschie?en als Spionin. «Jana Petrowna blickte hungrig auf den gedeckten Tisch. Der Tee duftete, das Geback roch nach Zimt und Honig. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.»Glauben Sie mir, Genosse General?«

«Ich glaube Ihnen, Jana. «Sinowjews Stimme war gutig und beruhigend.»Essen und trinken Sie erst einmal, und dann erzahlen Sie mir, wie das mit der Familie Wachter oder Wach-terowskij ist.«

Es wurde ein langer Tag und eine lange Nacht. Am nachsten Morgen setzte sich der Divisionsstab ab, das Schlo?chen lag verlassen im Park, die Kolonnen rollten eilig nach Leningrad. Mit einem Fahrrad kehrte Jana Petrowna in den Wald zuruck und verkroch sich wieder in ihrer Erdhohle.

Die deutschen Truppen waren nur noch neun Kilometer von ihr entfernt.

Die Sondereinheit von Unterleutnant Lew Semjonowitsch Wechajew, die letzte Hoffnung von General Sinowjew, wenigstens die wichtigsten Teile wie die Wandtafeln des Bernsteinzimmers zu retten, kam, wie vorauszusehen war, zu spat nach Puschkin. Genauer gesagt: Der Unterleutnant erreichte Puschkin gar nicht. Die acht Lastwagen mit dem Sowjetstern fuhren frohlich und unbekummert in den Aufmarschraum der Deutschen hinein und direkt in die Arme der 1. Panzerdivision. Sie stand vor dem Stadtrand von Puschkin. Flugzeuge bombten ihr den Weg frei, trafen auch den Katharinen-Palast und trafen den Gro?en Saal. Von dem herrlichen, prunkvollen Saal, einem der wunderbarsten Werke des Hofarchitekten Rastrelli, war nichts mehr ubrig. Auch eine Anzahl Nebenraume wurde schwer beschadigt… das Bernsteinzimmer, g5-schutzt durch die von den Frauen vorgesetzten holzernen Splitterwande, blieb erhalten.

Wechajew dachte weder an Gegenwehr noch an Flucht, als er die ersten deutschen Panzer sah, die ihm auf der Stra?e entgegenkamen. Nachdem er sich entschlossen hatte, den Wagen mit dem Achsenbruch liegen zu lassen und die Spionin mit dem Wagen von Solotwin zum General zu schicken, hatte er im tiefsten Inneren schon geahnt, da? dieser Einsatz der letzte fur ihn in diesem Krieg sein konnte. Nur eines wunschte er sich hei? und innig: Nie in die Hande der SS fallen. Was man von ihr erzahlte, lie? einem eisige Schauer uber den Rucken laufen.

Nun war es geschehen: aber wenigstens deutsche Panzer, keine SS… Wechajew lie? seine Kolonne halten, stieg aus dem ersten Wagen, die anderen Rotarmisten machten es ihm nach, schlie?lich war er ja der Kommandant und damit das Vorbild/und als er die Arme hob, taten sie es auch und standen neben ihren Wagen. Ihre Gesichter zeigten angstliche Erwartung, in ihren Herzen bohrte die Ungewisse Hoffnung, von den Deutschen wie Menschen behandelt zu werden und in eine ertragliche Gefangenschaft zu kommen. Sadisten und mitleidlose Grausame gab es bei allen Volkern — sie hofften, nicht alle Deutschen waren so.

«Meine Lieben — «rief Wechajew seinen Leuten zu, die Arme hoch in den Himmel gereckt;»Vorbei fur uns ist der Krieg. Man kann's nicht andern. Zu gern hatte ich mitgemacht, das Vaterland zu verteidigen. Aber das Schicksal, meine Lieben, wer kann gegen das Schicksal an? Seien wir mutig auch in der Gefangenschaft… schlie?lich sind wir von der Garde.«

Kurz vor ihnen hielt der erste deutsche Panzer an, nachdem Wechajew schon mit einem stechenden Gefuhl in der Brust gedacht hatte: Jetzt uberrollen sie uns. Niederwalzen werden sie uns! Sollen wir von der Stra?e fluchten, links und rechts in den Wald? Erschie?en werden sie uns, aber das ist immer noch besser als unter Panzerketten zermalmt zu werden.

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