prachtige Stra?e, die Eremitage, die Kais aus Granit mit ihren breiten Treppen zum Flu?ufer, verziert mit steinernen Lowen, Sphyngen, riesigen Vasen und Saulen mit Kugeln. Er sah den Marmorpalast, den De- kabristenplatz, die prachtige Rossistra?e, in deren saulengeschmuckter Hauserzeile im Jahre 1738 die erste Ballettschule Ru?lands gegrundet worden war, das Kirow-Theater, in dem der schon legendare Bassist Fjodor Schaljapin gesungen hatte und Tschaikowskij sein Ballett Schwanensee urauffuhrte: Leningrad und die Newa, die steingewordene Schonheit, der Stolz der Jahrhunderte. Und jetzt spricht da ein deutscher Offizier von der Newa — das kann nur bedeuten, da? er die Stadt an der Newa erobern will. Mutterchen Ru?land, wehre dich!» Ihr werdet die Stadt nie betreten!«sagte Wechajew.»Nie, solange noch ein Herz in ihr schlagt.«

«Was sagt der Clown?«Der Hauptmann warf einen verachtlichen Blick auf Wechajew.

«Keine Ahnung. «Der Major winkte nach hinten. Ein zweiter Kubelwagen fuhr heran.»Wegbringen, die Kerle. Zu den anderen. Feststellen, von welcher Einheit.«

Ein Feldwebel, der dem zweiten Kubelwagen entstiegen war, winkte Wechajew energisch zu.»Los!«brullte er.»Nicht den Schlappschwanz spielen! Hopp, hopp nach hinten!«Und dann schrie er das Wort, das jedem Russen in die Knochen fuhr: »Dawaij! Dawaij! Bjeschat'!« (Renn!)

Und Wechajew setzte sich in Bewegung, rannte die Stra?e hinunter zu der anruckenden Marschkolonne der Infanterie, rannte an ihr vorbei, und seine Soldaten folgten ihm mit hochgestreckten Armen und keuchenden Lungen, den Blick starr geradeaus, bis jemand rief: »Stoj!« und sie stehenblieben.

Nun waren sie Gefangene, zu Ende war fur sie der Krieg. Sie konnten ihn vielleicht uberleben, aber trotzdem liefen ihnen die Tranen uber die verschmutzten Gesichter, und ihre Kehlen waren wie zugeschnurt.

Aus den deutschen Wehrmachtsberichten:

Sonntag, den 14. September 1941.

Im Osten bahnen sich durch den gunstigen Verlauf der Operationen neue Schlachtenerfolge an.

Nachdem starke deutsche Krafte in die Befestigungsfront von LENINGRAD eingebrochen sind, wird die enge Einschlie?ung der Stadt trotz erbitterter Gegenwehr unaufhaltsam fortgesetzt…

Montag, den 15. September 1941.

Im Osten sind gro?e Angriffsoperationen im erfolgreichen

Fortschreiten.

Die Einschlie?ung von LENINGRAD wurde in zahem Kampf um die neuzeitlich ausgebauten Befestigungsanlagen weiter verengt. Wiederholte, von schweren Panzern unterstutzte Gegenangriffe des Feindes brachen zusammen…

Michael Wachter kroch aus dem sicheren, zwei Etagen unter der Erde liegenden Keller und bahnte sich einen Weg durch die Trummer und Steinhaufen. Uberall lagen zerbrochene Mobel, Decken hingen herunter, und in den Fu?boden klafften gro?e Risse. Mit klopfendem Herzen erreichte er den Saal, den man das Bernsteinzimmer nannte.

Es hatte den Bombenangriff ohne Schaden zu nehmen uberlebt. Kaum hatten die deutsche Flugzeuge uber Puschkin wieder abgedreht, waren auch die aus der Stadt

zusammengeholten Frauen aus dem Keller gekommen, um die unersetzlichen Kunstwerke im Schlo? zu sichern. Fieberhaft arbeiteten sie, in Kittelkleidern, ihr Haar mit einem Kopftuch zuruckgehalten und immer wieder in die Ferne

lauschend, ob nicht wieder eine Welle des Todes aus der Luft uber Puschkin erschien.

An einen Abtransport der noch im Katharinen-Palast vorhandenen Schatze war nicht mehr zu denken. Die 1. Panzerdivision stand wenige Kilometer von Zarskoje Selo entfernt und bereitete sich auf den entscheidenden Angriff vor. Die SS-Polizei-Division marschierte vor dem Nordteil von Puschkin auf, Panzerspitzen schossen bereits in die Stadt. Zu retten war nichts mehr. Jetzt konnten die Schatze nur noch vor der Zerstorung geschutzt werden.

Die Frauen deckten die wertvollen Intarsienboden mit einer dicken Sandschicht ab, fullten die gro?en China-Vasen mit Wasser, verklebten die mit Seide und Brokat bespannten Wande mit Pappe, zogen Stoffbezuge uber die historischen Mobel und verhangten die Regale und Schranke der einmaligen Zarenbibliotheken. Sowjetische Offiziere, die sich auf dem Ruckzug kurz in einigen Salen aufhielten und von hier aus mit den kampfenden Truppen in Telefonverbindung standen, hetzten durch Zimmer und Gange, bereit, sofort in die vor dem Palast wartenden Wagen zu springen und sich nach Leningrad zuruckzuziehen.

Aufatmend lehnte sich Michael Wachter an eine der holzverschalten Wandtafeln des Bernsteinzimmers und sah den Frauen zu, wie sie den Sand auf den herrlichen Boden verteilten. Morgen, dachte er. Oder ubermorgen… langer wird's nicht dauern. Dann stehen hier deutsche Soldaten, werden die Deckengemalde begaffen und die Holztafeln herunterrei?en, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt. Und sie werden sprachlos vor dieser Pracht aus Bernstein stehen, vielleicht einen Augenblick von Ergriffenheit gefangen sein, aber dann wird das gro?e Plundern beginnen, die Vernichtung des schonsten Saales, den die Welt bisher kannte.

Wachter war ein mittelgro?er, etwas dicklicher Mann von beinahe 55 Jahren, das Haar war dunkelblond ohne einen Schimmer Grau. Den muskulosen Oberkorper umspannte ein blauwei? gestreiftes Hemd, dessen Armel er bis uber die Ellbogen hochgekrempelt hatte, und wenn er deutsch sprach, klang es sehr hart wie bei vielen Menschen, die im Osten aufgewachsen waren und deren zweite Muttersprache das Russische war.

Noch in der Betrachtung der Deckengemalde versunken, schrak er zusammen, als ihn auf russisch eine Stimme ansprach.

«Sie wollen tatsachlich hier bleiben, Michail Igorowitsch?«Wachter nickte stumm. Vor ihm stand Oberst Nikolaj Michaj-lowitsch Limonow, der Kommandeur der Brigade, die den Auftrag hatte, den Ruckzug der sowjetischen Truppen aus dem Raum Puschkin nach Leningrad zu decken. Seine Rotarmisten waren eine verlorene Truppe, ausgelaugt von den schweren Abwehrkampfen, Mensch gegen deutsche Panzer, Panzerabwehrkanonen und Minen gegen stahlerne Ungeheuer. Aber sie wu?ten, da? nur ihr Opfer die Stadt retten konnte. Jeder Tag, jede Stunde waren wertvoll. Hunderttausende bauten um Leningrad die neuen Graben und Bunker, Panzerfallen und

Artilleriestellungen, drei Verteidigungsringe hintereinander, in denen sich die Deutschen festbei?en wurden. Es war September, der 15. im Jahre 1941, und die Menschen starrten in den Himmel und beteten stumm: Herr, la? es regnen. Fruher als sonst. Warte nicht mehr bis Oktober, bis der gro?e Regen alle Wege und Stra?en unpassierbar macht, die Fuhrwerke im tiefen Morast steckenbleiben und selbst die Panzer mit ihren breiten Ketten sich nur in den Schlamm wuhlen und in ihm versinken. Dann gibt es kein Vorwarts mehr, dann werden die Aggressoren Leningrad nicht mehr erreichen, und nach dem Regen wird der Winter kommen, die Schneesturme werden uber das Land heulen, vereist werden sie, die deutschen Armeen, kampfend gegen einen unbesiegbaren Gegner: die Natur. Leningrad wird gerettet sein… la? es regnen, Herr, offne die Wolken, la? die Deutschen ertrinken! Jetzt bitte, jetzt und nicht erst im Oktober. Hilf uns, Gott!

«Meine Pflicht ist es, Genosse Oberst«, antwortete Wachter und stie? sich von der Bretterwand ab.»Bei meinem Bernsteinzimmer mu? ich bleiben.«

«Man wird Sie ohne zogern erschie?en.«

«Warum? Ich kann nachweisen, da? ich ein Deutscher bin.«»In russischen Diensten?«

«Viele Deutsche haben in den vergangenen Jahrhunderten den Zaren gedient. Generale, Admirale, Forscher, Philosophen, Arzte und politische Berater waren Deutsche… so wie meine Vorfahren. Mit dem Bernsteinzimmer zog 1716 einer meiner Ahnen, Friedrich Theodor Wachter, nach Sankt Petersburg. Seitdem ist immer ein Wachter bei dem Bernsteinzimmer geblieben, hat es gepflegt und beschutzt und neben dieser Aufgabe nur eine zweite gehabt: einen Sohn zu zeugen. So wurde das Erbe weitergereicht von Generation zu Generation.«

«Und nun glauben Sie, Michail Igorowitsch, da? das Bernsteinzimmer und Sie uberleben. Eine Illusion ist das! Sie sind der letzte Wachterowskij.«

«Nein, Nikolaj Michajlowitsch. Einen Sohn habe ich. «Wachter sagte es mit Stolz. Die Tradition war nie unterbrochen worden, einen Sohn zu haben, war eine Verpflichtung.»In Leningrad ist er jetzt, wird mithelfen, die Stadt zu verteidigen, bewacht die Kunstschatze, die wir noch abtransportieren konnten. Ich bin stolz auf ihn. Auch wenn sie mich erschie?en, es ist immer wieder ein Wachter da, der mit dem Bernsteinzimmer leben wird.«

Oberst Limonow hob den Kopf. Aus der Ferne horten sie den Kanonendonner. Ihm war, als spurte er die Einschlage unter seinen Sohlen, als laufe ein leichtes Zittern durch den Boden.»Morgen sind die Deutschen hier im

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