Wand.»Es ist der Tod.«

Dann sank er ohnmachtig um.

Lang hingestreckt lag sein Korper auf den Dielen.

In der Lache der hundert Gifte auf dem Boden spiegelte sich trub der Mond.

Ein scharfer, atzender Geruch lag wie eine Wolke im Raum, abgestanden und kalt, widerlich und breiig.

Und auf den Bergen rauschten die Walder im Wind.

Otto Heinrich erwachte, als die nahe Turmuhr die dritte Morgenstunde schlug. Dumpf hallten die Schlage durch die bleierne Nacht.

Der Mond lag unter einer dicken, schwarzen Wolkendecke.

Die Tranlampe war niedergebrannt.

Achzend erhob sich Kummer vom Boden und wankte an das Fenster, pre?te die Stirn an die Scheibe und schlo? vor der Kalte, die seinen Korper durchzuckte, die Augen.

Sterben, dachte er, jetzt mu? ich sterben. Es gibt keinen Ausweg, naturlich mu? ich sterben. Ich gab der Frau Curare statt Belladonna, das Kind ist nun langst gestorben, und morgen fruh kommen die Gendarmen und fuhren mich ab. Es wird einen gro?en Proze? geben, mein Name wird in aller Munde sein, in allen Akten, in allen Verwunschungen. Und Vater wird man verhoren, die Mutter, die Geschwister und die Freunde.

Was wird der Konig sagen, wenn der Sohn seines Munzmarschalls ein Morder ist!

Er wird den Vater in Ungnade werfen.

Das Studium des Bruders ist gefahrdet.

Die Mutter wurde zerbrechen an dieser Schande.

Und wo sie hingehen, wo man sie sehen wurde, flusterten die Leute: Der Kummer ist der Vater eines Morders!

Morder! Morder!

Otto Heinrich stohnte. So ist also das Ende, dachte er, naturlich, das ist einfach das Ende. Eine gro?e Liebe, eine gro?e Einsamkeit, eine gro?e Schuld und ein einfaches Sterben. Wo ist da die herrliche Unsterblichkeit, wo das Ewige, das ich im Traume sah?

Leben, lieben, leiden, sterben — aus!

Wie lacherlich einfach das alles ist!

Er richtete sich aus seiner verkrampften Haltung am Fenster auf, ri? seinen Mantel vom Haken, schlo? die Tur des Ladens auf und trat hinaus auf den Markt.

Langsam schritt er zum Brunnen, umkreiste ihn, ging dann hinuber zu den Schaufenstern der Laden, schaute hinein und sah in dem blanken Glas schwach sein gequaltes, bleiches Gesicht. Die Augen waren stumpf und leblos, die Haare wirr und strahnig.

«Das also bin ich jetzt«, murmelte er.»So sehe ich aus. So sieht ein Morder aus?«Er schlo? das eine Auge und blinzelte unter dem Lid des anderen auf sein Spiegelbild. Den Kopf legte er ein wenig zuruck. Er sah in der Scheibe so aus, als spiegele sich das Antlitz eines Toten.

«Schon«, flusterte Kummer,»wunderschon. Dieser Friede, wenn die Augen geschlossen sind. «Und plotzlich ri? er die Augen wieder auf und prallte vor dem stumpfen Blick zuruck, der ihm entgegenstarrte.»Ekelhaft«, murmelte er.»Ekelhaft diese Augen, dieses Leben, das nicht will, aber mu?! - Ich kann mich nicht mehr sehen.«

Er schlug mit der flachen Hand gegen sein Spiegelbild und schrie:»Du Morder!«Dann eilte er mit schnellen Schritten weiter uber den Markt und tauchte im Schatten der Hauser unter.

Ziellos durchstreifte er Frankenberg, eilte durch Gassen, die er noch nie gesehen hatte, umkreiste den Weiher, auf dem die Jugend am Tage Schlittschuh lief, schlich sich zur Posthalterei und legte das Ohr an die Stalltur, lauschte auf das Scharren der Pferde und das Klirren der Ketten, lief dann zuruck in die Stadt und wanderte von Laden zu Laden, in jedem Fenster sein Gesicht ansehend und» Morder!«rufend.

Als er die Stadt durchwandert hatte, kletterte er den steilen Berghang hinauf, achzte durch die froststarren Tannen und sank auf die Kuppe eines Hugels auf einem Baumstumpf nieder, mude, matt und nach Luft ringend.

Der Eiswind spielte in seinen Haaren, griff durch die Kleidung an seinen Korper und schuttelte ihn.

Morder. Morder. Morder.

«Sterben!«schrie er da grell, sprang auf und klammerte sich an den Stamm einer Tanne.»Sterben! Ja, ich will sterben!!«

Zitternd hetzte er den Berg herab, stolperte uber Wurzeln und Stumpfe, wankte im Tale durch die Stra?en, ri? die Tur der Apotheke auf und sank uber dem Ladentisch zusammen.

Morder. Morder. Morder.

«Ich halte das nicht aus!«schrie Kummer und schlug um sich, als konne er die Gesichter zertrummern.»Ich werde irrsinnig… irrsinnig!«

Auf einmal war alles vorbei.

Verwundert lie? er die Hande sinken und blickte sich um. Sein Blick war klar, merkwurdig ruhig schlug sein Herz.

Auch seine Gedanken schwiegen. Er konnte nicht mehr denken, er sah nur einen sinnlosen Befehl vor sich, den ihm sein Herz gab und der sein ganzes Inneres berauschte.

Wie ein Greis schlurfte er in das Laboratorium, entzundete mit Feuerstein und Zunderschwamm ein Feuer, steckte eine gro?e Unschlittkerze an und ging zu dem Tisch, auf dem einsam die Flasche mit Curare stand.

Lange betrachtete er sie, schuttelte die Flussigkeit und setzte dann die Flasche wieder auf den Tisch. Aus der Lade des Giftschrankes nahm er das Rezept der jungen Frau, holte die Feinwaage wieder aus der Glasglocke, stellte Schalen und Becher zurecht und begann, die gleiche Medizin zu mischen.

Peinlich genau wog er die zehnfache Menge der Gewichte ab, schuttelte und lie? die Mischung abstehen und griff dann nach der Flasche Curare.

Schwach blinkte im Kerzenlicht der grinsende Totenschadel.

Seine Augen schienen zu blinzeln.

«Alter Freund«, flusterte Otto Heinrich,»nun ist es soweit.«

Mit ruhiger Hand hob er den Glasstopsel, schuttete eine gro?e Dosis des starken Giftes in den Mischbecher und schuttelte dann die Flussigkeit gut durcheinander.

Er lie? den Trank abstehen, nahm ein Trinkglas aus dem In-strumentenschrank, fullte es bis zum Rand mit dem Gift und schleuderte dann die noch halbvolle Flasche Curare in die Ecke zu der Lache der anderen Gifte, wo sie mit dumpfem Knall zerschellte.

Im Osten, uber der Kuppe der Berge, schimmerte schwach in dem Schwarz der Nacht ein hellgrauer, langgezogener Streifen.

«Der Morgen«, murmelte Otto Heinrich und trat an das Fenster.»Die Sonne! Sei mir gegru?t, du Tag der Erlosung.«

Langsam ging er zum Tisch zuruck, besann sich kurz und trat an die Stirnwand des Zimmers.

Ein auswechselbarer Kalender hing dort in einem holzernen Rahmen.

Mit einem Lacheln steckte Kummer die Blatter um fur den neu-en Tag.

Fur den 13. Februar 1835.

Dann setzte er sich an den erkalteten Ofen und nahm das Glas in beide Hande.

Kurz dachte er an Dresden, an den Vater und die Mutter, an die kleine Anna Luise, an Maltitz, Bendler und Seditz.

Ein Zittern durchrieselte ihn, eine gellende Angst vor dem Gift.

«Mutter.«, stammelte er.»Mutter. Vater. Verzeiht mir. ich kann nicht anders. Seid gutig und verzeiht. «Einen Augenblick dachte er auch an Trudel, doch dann verschwamm das liebliche Bild, und sein Blick fiel auf das Glas in seiner Hand.

Es blinkte und glitzerte.

Zuckend huschte der unruhige Kerzenschein uber die blanke Flache.

Der dunkle, leise sich bewegende Trank lockte.

Mit bleichen Handen fuhrte er das Glas an die Lippen und sturzte das Gift hinunter.

Als es durch seine Kehle rann, sprang er auf und griff wie ein Blinder um sich. Eine irre Angst schrie in ihm, ein plotzliches Bewu?tsein, was er getan hatte.

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