Stadt wurde hohe Wogen schlagen, sie wurden ihn ersticken unter Worten. es war unmoglich, wenn er seine Ehre wahren sollte.

So sa? er ohne Essen bis zum Abenddammern auf seiner Kammer und blickte aus dem kleinen Fenster. Er sah Knackfu? einmal durch den Garten gehen und fuhlte in sich eine hei?e Reue, diese alte, fast zerknittert wirkende Gestalt geschlagen zu haben. Doch dann dachte er wieder an die ungeheuerlichen Beschimpfungen und empfand einen gro?en Triumph, seinen Namen von Unrecht gereinigt zu haben.

Leise klopfte es an die Tur.

Otto Heinrich fuhr herum und lehnte sich an die Wand.

«Ja?«rief er und wartete.

Ein Apothekergeselle trat ein und musterte Kummer angstlich.

«Der Herr Prinzipal la?t sagen«, stotterte er,»da? Sie bis zum Ende des Monats den Nachtdienst ubernehmen. Sie mu?ten wach bleiben und im Labor sich aufhalten. Am Tage hatten Sie dann frei und konnten schlafen. Und«- der Geselle stockte —»am 1. Marz kame ein neuer Provisor.«

Er nickte und trat aus dem Zimmer. Schnell schlo? er die Tur hin-ter sich.

Otto Heinrich setzte sich auf sein Bett.

Nachtdienst!

Sonst eine Ehre — heute die Verbannung in das Dunkel, und das Verbot, sich am Tage in der Apotheke sehen zu lassen.

Verbannt in die Nacht.

Die Schatten werden zum Schicksal.

Langsam packte Otto Heinrich wieder die notigsten Sachen aus seinem Koffer aus und legte sie uber das zweite Bett. Bis zum Ende des Monats, hatte der Apotheker gesagt — noch 18 Tage Marter und Qual, Folter der Seele und Pein des Gewissens.

«Nein«, sagte Otto Heinrich laut.»Das ertrage ich nicht! Das kann kein Mensch ertragen. «Er ging in seiner Kammer hin und her und krampfte die Finger ineinander.»Ich fahre mit der Post am zwanzigsten. Ich fluchte nach Dresden und von dort zu Bendler! Mein Leben ist gestorben. ich kann den Eltern nicht mehr in die Augen sehen.«

Er hieb mit der Faust an die schrage Wand, immer und immer wieder, bis seine Hand rot wurde und anschwoll.

Spater dann lag er wieder gedankenlos und leergebrannt auf seinem Bett, starrte an die Decke und spielte sinnlos mit einigen ausgerupften Faden.

Grauenhaft schnell zerfiel sein Korper.

Entsetzlich sturzend verwirrte sich sein Geist.

Er sprach vor sich hin und ekelte sich vor seiner eigenen Stimme.

Er sah sich im Spiegel und schrie vor Grauen.

Er ersehnte nur eins, er hatte nur eine gro?e, herrliche Liebe: den Tod!

Und so schlich er die Treppe hinunter an Knackfu?' Tur vorbei, wie ein Verbrecher, und schlo? sich in der Nacht im Laboratorium ein.

Hielt Zwiesprache mit den Kolben, Retorten und Reagenzglasern.

Sprach auch mit den Morsern, Tiegeln und Pfannen.

Berauschte sich noch einmal an brodelnden Mischungen und dampfenden Analysen.

Spielte mit Sauren und Basen wie ein Kind mit dem Kreisel.

Als die nahe Kirchenglocke die Mitternacht schlug, sa? er vor dem geoffneten Giftschrank und las mit leuchtenden, irren Augen die Namen unter den warnenden Totenschadeln.

Papaver somniferum, Mohn, Opium.

Atropa belladonna, Tollkirschensaft.

Oxalsaure, Kleesalz, Strychnin, Cyan, Kreosot, Urari, Curare.

Gift. Hunderte Gifte.

Ein Gramm nur, Otto Heinrich Kummer, ein Gramm nur… ist schnell geschluckt.

Cyan. Urari. Curare.

So sa? er, bis die erste Morgenstunde vom Turme schlug. Er bediente die seltenen nachtlichen Kunden. Gab Hustentropfen aus, ein Schlafpulver, eine Brandsalbe, ein Blutstillmittel, ein Magenpflaster.

Gewissenhaft, freundlich, gewandt.

Und traumte von Gift.

Am Morgen schlich er wieder in seine Kammer, warf sich auf sein Bett und schlief.

Er a? in der Kammer, ein Geselle brachte ihm die Speisen.

Er sa? am Fenster, starrte sinnend vor sich hin.

Leer, gebrochen, einsam.

Wenn es dammerte, schlich er sich hinab ins Labor.

Er sprach mit keinem, er sah niemanden, nur den Gesellen mit dem Essen.

Er fuhlte sich in einem weiten Grab.

Und des Nachts sa? er vor den Giften und traumte seinen Tod.

Er schauderte bei dem Gedanken und empfand doch eine fremde Wollust.

Und mit gra?licher Gewi?heit spurte er von Nacht zu Nacht: Sein Herz schwieg.

Vorsichtig, damit sie nicht qualmen und ru?en, loschte Otto Heinrich die Tranlampen und Unschlittkerzen im Laboratorium und im Laden. Nur eine kleine Lampe lie? er an seinem Tisch neben dem Giftschrank brennen.

Es war die Nacht zum Freitag, den 13. Februar 1835.

Ein truber Tag war in einen feuchtkalten Abend ubergegangen, der die Schneedecke in einen breiigen Morast verwandelte, grau, unansehnlich, ha?lich, unter den Schuhen quietschend. Nun, in der Nacht, brach der Mond durch.

Eine widerliche, kalte Feuchtigkeit lag in der Luft. Sie drang durch die Kleider, durch die Ritzen der Fenster und Turen und schien sich wie eine unsichtbare Wand selbst um den Ofen zu legen.

Frostelnd ging Otto Heinrich noch einmal durch alle unteren Raume, dann setzte er sich im Laboratorium unter die Lampe und las in einem dicken, in Leder gebundenen Buch uber das Wesen der Toxikologie.

Eintonig tickte aus einer Ecke eine Uhr.

Vor dem schmalen Fenster, das auf die Stra?e fuhrte, geisterte gleich das Mondlicht und flo? uber die Fensterbank ins Zimmer.

Noch sieben Tage, dachte Otto Heinrich, und die Post fahrt mich nach Dresden und Bohmen. Noch sieben Tage, und du hast aufgehort, ein Mensch zu sein, der unbescholten ein Tropfen des gro?en Menschenmeeres ist.

Er klappte das Buch zu und stutzte den Kopf in die Hande.

Was wurde der Vater sagen, wenn er es erfahrt?

Die Mutter wurde weinen. die gute, gute Mutter.

Kummer starrte vor sich auf den Dielenboden und schlo? die Augen. Er sah Dresden vor sich, das gro?e Haus in der Rampschen Gasse, die Freunde Maltitz und Seditz, den Maler Caspar David Friedrich und den Baron von Puttkammer.

O Mutter, liebe, liebste Mutter… warum ist das Leben nur schon, wenn man ein Kind ist.?

Langsam sank Otto Heinrichs Kopf auf die Platte des Tisches. Unbewu?t schob er die Hande unter, so da? sein Gesicht wie auf ei-nem Kissen lag.

Versunken im Gestern schlief er und traumte von einem fernen Paradies, durch das er schritt, ohne es geahnt zu haben.

Plotzlich schreckte er auf und lauschte.

Klopfte es nicht an der Tur?!

Schlaftrunken ging er durch den Laden und offnete das kleine Klappfenster, das in die Tur eingeschnitten war.

Eine junge Frau im langen Umhang stand zitternd auf der Stra?e.

Otto Heinrich offnete die Tur, mit schnellen Schritten trat die Frau ein.

«Meinem Kind geht es schlecht«, stammelte sie, als musse sie sich fur die nachtliche Storung entschuldigen.»Es hat Magenkrampfe. Der Doktor ist bei ihm. Er gab mir ein Rezept, das ich sofort besorgen mu?.

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