Winde laufst.«

Bendler schwieg. Auch Otto Heinrich gab keine Antwort. Plotzlich, nach einigen Minuten Schweigen, fragte er:»Wo ist deine Freischar, Bendler?«

«In alle Richtungen zerblasen!«Der Riese hieb mit der Faust auf den Tisch.»Nach dem Affarchen mit der Vera aus Moskau hat man die Hunde auf uns gehetzt! Da sagte ich zu meinen Kerlen: Jungs, ab in die Walder und hinein nach Bohmen! Sie werden jetzt wohl noch dort sein und auf mich warten. Aber ich wollte noch einmal mit dir sprechen, Heinrich, und sehen, ob du zu uns gehorst!«

«Zu euch? Wie meinst du das?«

«So, wie es klingt! Komm mit und sei frei wie die Lerche unter der Sonne.«

Otto Heinrich zogerte einen Augenblick, ehe er antwortete.

«Es geht nicht, Bendler«, sagte er.»Ich bin nicht feig — nein, denke das nicht von mir —, aber ich scheue das Blut! Ich mag nicht die Freiheit lieben mit der Pistole in der Faust, ich kann nicht morden, um zu leben.«

«Morden?«Die Frage Bendlers war lang und gedehnt.

«Ja, morden! Denn was ist euer Tun anderes als Mord? Niemand hat das Recht, des anderen Leben zu nehmen, weil er das Leben von einer anderen Warte sieht! Niemand, au?er Gott, ist absoluter Herr uber Sein oder Nichtsein — auch wenn es um mein Volk geht! Ihr aber ma?t euch an, Richter zu sein uber die Ungerechten in euren Augen! Eure Freiheit ist Blut der Unterdruckung. Nein, Bend-ler — das kann ich nicht, ich suche die Seele in den Menschen, die gro?e, aufbauende Seele, nicht die Stelle, wo ein Stich oder Schu? todlich ist!«

Eine lange Zeit war Schweigen in dem dunklen Raum. Dann sagte der Riese langsam:

«Ist das deine wirkliche Meinung, Heinrich?«

«Ja, Bendler!«

«Mein Gott!«Bendler sprang auf und packte Kummer an den Mantelaufschlagen,»du Traumer, siehst du denn nicht, was um dich her vorgeht? Die Fursten verhuren das Geld des Volkes, sie bauen Schlosser und Residenzen, wahrend den Armen die Hutten uber den Kopfen verfaulen! Auf der Stra?e ziehen die Schlangen der Heimatlo-sen, die kraftigsten Manner fangt man vom Felde, zerrt sie aus dem Stall, rei?t sie aus der Stube, wirft sie aus dem Bett und pre?t sie in Uniformen, verleiht sie untereinander als Soldner, verkauft sie an fremde Staaten… jahrzehntelang. Sklavenhandel mit Wei?en, Deutschen, mit unseren Brudern! Mensch, Kummer, predige diesen Seelenhandlern Moral mit deinen Gedichten — sie stecken dich in eine Uniform, und einen Monat spater bewunderst du in Marokko die Palmen! Die Seele im Menschen, der Geist der Erneuerung — da? ich nicht lache! Hier, die Faust ist eine Macht! Setze sie einem unter die Nase, ramme sie in einen feisten Spie?ermagen, und du wirst der ordnende Herr sein, der Herakles im Augias-Stall! Die Welt gehorcht nur dem Starkeren, nicht dem, der sie su? besingt! Einen Dante belachelte man und machte ihn unsterblich — aber ein Ma-chiavelli brauchte nur zu winken, und die Nacken krachten zu Boden und schrien Vivat und dreimal Hurra! Das Leben respektiert nur die Muskeln, nicht den Geist!«

Otto Heinrich schuttelte den Kopf und befreite seinen Mantel sacht aus den Handen Bendlers.

«Man kann die Welt auch anders sehen. Ein Aristoteles hat mehr geleistet als ein Alexander! Die Faust regiert den Augenblick, aber der Geist baut die Entwicklung!«

«Es wird dir keiner dafur danken.«

«Auch Sokrates trank seinen Schierlingsbecher — aber sein Geist des menschlichen Ideals wird ewig sein!«

«Phantast!«Willi Bendler stapfte durch die enge Laube und lehnte sich dann an die feuchte Holzwand.»Du willst den realen Weg nicht sehen! Du steckst, auch wenn du's leugnest, zu fest im behabigen Burgertum!«

«Nein, Bendler. «Kummer wandte sich zu ihm um.»Aber ich halte Distanz von allem, was gegen Gesetz und Sitte ist! Ich achte den Menschen, auch wenn ich ihn als Kreatur hasse. Das ist nicht Widerspruch, sondern eine eurem Geiste unmogliche Konsequenz. Der versto?ene Liebhaber wird die Immergeliebte hassen — und trotzdem weiterlieben —, ich, der Verachtete, achte die Menschen, die mich versto?en. Denn — und das ist die letzte Wand, die uns trennt — ich glaube an die Unsterblichkeit der Seele, an den weiten Raum des ordnenden Geistes!«

Langes Schweigen folgte nach diesen Worten. Bendler hatte den Kopf auf die Brust gesenkt, lehnte an die kalte Holzwand und sann. Otto Heinrich schlug den Mantel enger um den frierenden Korper und starrte durch das kleine Fenster in die Sterne.

«La? uns nicht mehr davon sprechen«, sagte Bendler endlich langsam.»In wenigen Tagen bin ich in Bohmen. Wir gehen dann unsere Wege. Vielleicht treffen wir uns irgendwo einmal, dann soll die kurze Stunde der Erinnerung gehoren und mit der Nacht verblassen. Ein jeder Mensch mu? ja sein eigenes Leben leben, am Ende, bester Freund, stirbt jeder doch fur sich allein! — Nur einen Wunsch noch habe ich: Verberge mich diese Nacht und den Tag uber bei dir. Wenn es wieder dunkelt, werde ich in den Waldern untertauchen — fur immer!«

Otto Heinrich nickte. Er streckte dem Freund die Hand hin und fuhlte einen dankbaren Druck.

«Komm, Bendler«, sagte er.»Du sollst das Wiedersehen nicht bereuen!«

Als Bendler in die kleine Kammer trat, blieb er einen Augenblick stehen und sah sich um.

«Nichts hat sich verandert«, sagte er leise.»Der Tisch, die Lampe, der Ofen, die alte Waschschussel und die steinharten Betten. «Er ging zu seiner fruheren Bettstelle.»Heinrich, Heinrich, mir graut vor dir!«rief er lachend.»In dieser Umgebung kannst du atmen?! Ich wurde hier ersticken, wenn ich es langer als einen Tag aushalten sollte!«

Otto Heinrich kniete vor dem Ofen und versuchte die glimmende Glut anzublasen. Er legte einige Scheite trockenes Holz darauf und blies so lange, bis sich eine kleine Flamme emporringelte. Dann schlo? er schnell die Ofentur vor dem bei?enden Qualm.

«Du willst dich sicherlich waschen und rasieren«, sagte er zu Bend-ler, den er erst jetzt im Schein der Lampe richtig betrachten konnte.»Du siehst aus wie ein Vagabund.«

«Bin ich auch.«

«.und Ruhe brauchst du auch! Wasser, mein Rasiermesser, Seife und alles, was du brauchst, kannst du nehmen!«

Bendler nickte und begann sich zu entkleiden.

Nachdem er sich gewaschen und rasiert hatte, griff er nach einem Flacon und traufelte sich ein Parfum auf die Handflache, mit dem er sein geschabtes Kinn einrieb.

«Pariser Dufte.«, er lachte.»Der Segen der Kultur. habe ich lange und gern entbehrt!«

«Aber du nimmst es doch!«

Bendler zuckte die Achseln.

«Der Mensch ist von Natur aus schwach fur alle Reize.«

Er lachte wieder schallend, ri? die Decken seines Bettes zuruck und warf sich mit dem ganzen Korper hinein, wie es bei ihm Gewohnheit war. Laut krachte das Gestell in allen Fugen.

«Gute Nacht«, sagte er noch und drehte sich auf die Seite.»Und vergi? nicht, mich morgen einzuschlie?en. Es ware fur Knackfu? ein Herzschlag, wenn er mich hier fande!«Er gahnte laut.»Diese Mudigkeit — zwei Tage und Nachte auf den Sohlen, das geht in die Knochen, und endlich ein Bett. Heinrich, du bist eine treue Seele.«

Er schwieg und atmete tief. Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen.

Otto Heinrich loschte die Lampe und lag noch lange wach.

Er unterdruckte in seiner Brust das Gefuhl, mitschuldig an der Flucht eines Morders zu werden.

Doch dieser Morder rettete durch seinen Mord den Vater.

Aber Mord bleibt Mord! Auch der Mord als edle Tat!

Otto Heinrich fror und zog die Decke bis zum Hals.

Warum denken… wie seltsam ist das Spiel des Schicksals. Ein Freund ist in Gefahr, darf man da zogern.?

Im Dunkel der folgenden Nacht tauchte Willi Bendler unter.

Noch einmal umarmten sich die Freunde, dann hastete der Riese in langen Satzen dem Walde zu. Uber Lauterstein und Marienberg wollte er an die Grenze und von dort nach Brux an der Bie-la. Sein Freikorps, das sich bei Klostergrab sammelte, wurde dann bei Burg Purschenstein wieder uber die sachsische Grenze treten und versuchen, die Freiberger Mulde hinauf nach Mei?en zu ziehen. Von dort aus sollten die Dinge ihren weiteren Lauf nehmen.

Voller Gedanken ging Otto Heinrich in das Haus zuruck und stie? auf dem unteren Flur gegen den Apotheker Knackfu?.

Er trug uber dem Nachthemd einen verschnurten Schlafrock und hielt eine lange Unschlittkerze in einem

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