«Ich werde ihn nach Bayern abschieben! Seine Art der Gerechtigkeit ist mir zu handwerklich! Brutalitat hat selten eine Erlosung gebracht — unsere Zukunft liegt im Geist! Einen Bendler kann es ofter geben. - Blut flie?t so leicht — aber das Genie, das uns ein neues Ideal gibt, das hei?t es suchen!«

Otto Heinrich nickte.

«Ich bin so glucklich, da? der Vater gerettet ist! So glucklich, Seditz! Ich habe dir viel zu danken.«

«Du beschamst mich, Heinrich. La? uns davon schweigen — Freunde sind immer fureinander da!«Er blickte sich um. Die drei Begleiter sa?en bereits in dem holzernen Verschlag, die Pferde waren unruhig und klirrten im Geschirr.»Es wird Zeit, Heinrich. Noch einmal deine Hand — so —, und nun leb wohl und bei?e dich durch! Man hat dich in Dresden nicht vergessen.«

«Gru? mir alle, Seditz«, sagte Otto Heinrich mit stockender, be-legter Stimme.»Vater, Mutter, die Geschwister — und Maltitz, Caspar Friedrich, Bruneck, Puttkammer, du wei?t schon — alle! Und gru?e mir Dresden, das Schlo?, die Oper, die Frauenkirche und die Bruhlsche Terrasse. Den Zwinger und den gro?en Garten. Und die Elbe, Seditz, die Elbe.«

Der Wagen ruckte an, knarrend und knirschend mahlten sich die Rader in den verharschten Schnee.

Noch einmal druckte er dem Freund durch das Fenster die Hand, lief ein Stuck nebenher und blieb dann mitten auf dem Markt stehen und winkte.

Als der Wagen um die nachste Ecke bog, ging er gesenkten Hauptes zur Apotheke zuruck. Die Blicke der tuschelnden Frauen am Brunnen folgten ihm.

Langsam offnete er die Tur und trat ein.

Im Flur stand zornrot und bebend Knackfu?.

Und ohne ein Wort ging Kummer an ihm vorbei in das Laboratorium.

Die Antwort Otto Heinrichs, er verweigere die Aussage in Sachen seines Vaters, war ein Dorn in der Seele Knackfu?'. Nicht wissend, da? die Aufnahme des Protokolls nur eine Komodie des Herrn von Seditz war, der seiner Nachricht an Kummer einen fur den Apotheker gewichtigen Rahmen geben wollte, trat er von diesem Tage an immer auf dieser Verweigerung herum und nannte seinen Provisor ehrlos, einen Schandbuben und einen Menschen, der Meineide schwort, wie man Butterbrote i?t.

Otto Heinrich dagegen antwortete mit der dringlichen Forderung, die Suche nach einem neuen Provisor zu beschleunigen, da es ihm unmoglich sei, neben einem zankischen und tyrannischen Kracher — er sagte wirklich Kracher und brachte Knackfu? damit an den Rand eines Schlaganfalls — zu leben und erst recht zu arbeiten.

So zankten sich die beiden zum Gaudium der anderen Apothekergesellen durch die Tage, vergallten sich die Abende durch bose

Worte und schlossen ihre Herzen gegen alles ab, was von au?en her an sie herandrang.

Von Trudel hatte Otto Heinrich seit der gewaltsamen Trennung nichts mehr gehort. Wohl ging er ab und zu des Abends in die Laube und traumte von dem kurzen Gluck, lauschte wohl auch auf das zarte Spinettspiel der Burgermeistertochter Marie und dachte an das Gesprach, das er vor Monaten dabei mit Willi Bendler gefuhrt hatte — aber den gro?ten Teil seiner Freizeit und der Abende sa? er hinter der Tranlampe oben in seiner Kammer, hatte den Tisch nahe an den Ofen geruckt und schrieb die halbe Nacht hindurch an einem kleinen Buch voll Gedichten. Er hatte es gleich nach seiner Ruckkehr aus Dresden im Januar begonnen und nannte es >Vermischte Kleinigkeiten<, eine kleine Sammlung lyrischer und philosophischer Gedichte, ab und zu auch eine scharfe Satire — aber die Mehrzahl der Verse atmeten den Eishauch seines einsamen Herzens und die ungestillte Sehnsucht nach Licht, Luft und Freiheit seiner gequalten und getretenen Seele.

Wenn er dann erschopft den Gansekiel in den Halter steckte, sich reckte und die brennenden Augen rieb, war es meist der Weg durch den nachtlichen Garten, der seinen muden Korper erfrischte. Die Kalte des Schnees, mit dem er oft sein hei?es Gesicht rieb, die Stille, die alles umgab, und nur das leise Knirschen seiner Schritte belebten ihn neu und senkten ihm Ruhe in die aufgewuhlten Gedanken.

So war es auch in dieser Nacht vom 7. zum 8. Februar 1835.

Otto Heinrich, der die Enge seiner Kammer verlassen hatte und den Kopf mit den noch ungeborenen, verwirrten Versen kuhlen wollte, schritt langsam zu der dunklen Laube und lehnte sich von au?en an die morsche Tur.

Ein klarer Himmel zog sich uber die Berge. Unubersehbar glitzerten die Sterne, die Milchstra?e spannte sich in weitem Bogen uber bewaldete Kuppen. Klirrender Frost krachte in den Holzern der Baume.

«Eine schone Nacht«, murmelte Kummer und schaute in den Himmel.»Eine Marchennacht, wenn sie zwei Liebende erleben.«

Er stockte, als schmerze ihn der Gedanke. Er fuhr sich mit der rechten Hand uber die Augen, klinkte die Tur der Laube auf und trat ein.

Kaum hatte er den ersten Schritt in die Dunkelheit des Raumes gesetzt, blieb er stehen und lauschte.

Das unerklarliche, prickelnde Gefuhl, nicht allein zu sein, kletterte in ihm empor bis zur Kehle.

Er hielt den Atem an und lauschte.

Ein fremder, leiser Atem stand in der Dunkelheit.

«Ist dort jemand?«fragte er mit zugeschnurter Stimme.

«Otto Heinrich?«antwortete ihm ein Flustern von der Stelle, wo sich die schmale Holzbank hinter den Tisch zog.

Das Flustern war dunkel. Ein Madchen war es nicht… der sekundenschnelle Gedanke, es konnte Trudel sein, verflog.

Otto Heinrich tastete sich bis zum Tisch vor und versuchte aus der Dunkelheit einen Schatten herauszuschalen.

«Wer bist du?«fragte er ein wenig sicherer.»Maltitz?«

«Nein. - Willi Bendler!«

«Bendler!«

Otto Heinrich rief es laut und sturzte nach vorn dem Freund in die Arme.

«Pssst!«Bendler druckte Kummer an seine Riesenbrust und hielt ihn dann von sich ab.»Nicht so laut, mein Freund. Ich bin vogelfrei — juchhe —, ein jeder kann mich abknallen und bekommt fur diesen Mord auch noch Dukaten!«

Er schwieg und setzte sich auf die Bank. Otto Heinrich lehnte sich vor ihm an den Tisch.

«Wie gefallt es dir in der Freiheit, Bendler?«fragte er langsam.

«Wie ein Hirsch in der Brunst! Nur sollten die Jager das Jagdverbot erhalten. Du wirst durch Seditz schon gehort haben, was ich treibe!«

«Du hast meinen Vater gerettet.«

«Ungewollt.«

«Wenn auch — ich stehe tief in deiner Schuld! Du hast mit der Spionin ein gutes Werk getan.«

Der Riese neigte den schweren Kopf. Er fuhr sich uber das Kinn, und das Kratzen verriet, da? er seit Tagen unrasiert war.

«Ob gut oder nicht gut — man kennt meine Spur! In Preu?en war es hei?, nach Bayern will ich nicht — dort sind die Baume so hoch —, und in Sachsen trifft mich das neue Friedensgesetz des Konigs! Was tun? sprach Zeus! Ich wandere des Nachts und schlafe am Tage unter dem Stroh in den Scheunen und fange mir in Schlingen das Wild, um etwas zwischen den Zahnen zu haben. Ein Leben, bester Freund, das Schiller gekannt haben mu?te, als er seine >Rauber< schrieb. Ein freies Leben fuhren wir, ein Leben voller Wonne. dieser Idealist! Aber was rede ich — seit Stunden sitze ich hier wie ein Huhn auf der Stange und warte auf dich. Ich wu?te, da? du kommst, denn ich beobachtete dich seit zwei Tagen. Gehst des Nachts in den Garten und starrst in die Sterne! — Gro?er Weltschmerz, mein Freund?«

Otto Heinrich schuttelte den Kopf.

«Hui!«Bendler pfiff durch die Zahne und reckte sich.»Hat man dir endlich doch den Ast, auf dem du sitzt, abgesagt? Ist aus dem Traumer endlich der Logiker geworden?«

«Man kann schlecht sagen, was man fuhlt. «Kummer steckte die blo?en Hande in die Manteltaschen. Er fror.»Ich wei? nur eins: ich lebe ohne Sinn!«

«Bravo! Die Tone liebe ich! Auch wenn es falsche Tone sind, denn selbst der Unsinn hat noch einen gewissen Sinn. Das Leben aber ist nicht sinnlos — die Menschen, die mit dem Leben nichts anzufangen wissen, machen es zum Unsinn! In Wahrheit aber, das glaube mir, leben wir nach Gesetzen, die weder Kaiser noch Papst regieren konnen. Unser tiefstes und strengstes Gesetz ist die Natur. Das merkst du erst, wenn du wie ich mit dem

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