Lenz und ich, aber die Werkstatt gehorte eigentlich Koster allein. Er war fruher unser Schulkamerad und unser Kompaniefuhrer gewesen; dann Flugzeugfuhrer, spater eine Zeitlang Student, dann Rennfahrer – und schlie?lich hatte er die Bude hier gekauft. Erst war Lenz, der sich einige Jahre in Sudamerika herumgetrieben hatte, dazugekommen – dann ich.

Ich nahm eine Zigarette aus der Tasche. Eigentlich konnte ich ganz zufrieden sein. Es ging mir nicht schlecht, ich hatte Arbeit, ich war kraftig, ich wurde nicht leicht mude, ich war heil, wie man das so nennt – aber es war doch besser, nicht allzuviel daruber nachzudenken. Besonders nicht, wenn man allein war. Und abends auch nicht. Da kam ab und zu noch einmal etwas von fruher und starrte einen aus toten Augen an. Aber dafur hatte man den Schnaps.

Drau?en quietschte das Tor. Ich zerri? den Zettel mit den Daten meines Lebens und warf ihn in den Papierkorb. Die Tur flog auf. Gottfried Lenz stand im Rahmen, lang, mager, mit strohblonder Mahne und einer Nase, die fur einen ganz anderen Mann gepa?t hatte. »Robby«, brullte er,»alter Speckjager, steh auf und nimm die Knochen zusammen! Deine Vorgesetzten wollen mit dir reden!«

»Herrgott!« Ich stand auf. »Ich habe gehofft, ihr hattet nicht dran gedacht! Macht's gnadig, Kinder!«

»Das konnte dir so passen!« Gottfried legte ein Paket auf den Tisch, in dem es machtig klirrte. Koster kam hinter ihm drein. Lenz baute sich vor mir auf. »Robby, was ist dir heute morgen zuerst begegnet?«

Ich dachte nach. »Ein tanzendes altes Weib.«

»Heiliger Moses! Ein schlechtes Vorzeichen! Pa?t aber zu deinem Horoskop. Habe es gestern gestellt. Du bist ein Kind des Schutzen, unzuverlassig, schwankend, ein Rohr im Winde, mit verdachtigen Saturntrigonen und einem ladierten Jupiter in diesem Jahr. Da Otto und ich Vater-und Mutterstelle an dir vertreten, uberreiche ich dir deshalb als erstes etwas zum Schutz. Nimm dieses Amulett! Eine Nachkommin der Inkas hat es mir dereinst uberlassen. Sie hatte blaues Blut, Plattfu?e, Lause und die Gabe, in die Zukunft zu schauen. ›Wei?hautiger Fremdling‹, sagte sie zu mir, ›Konige haben es getragen, die Kraft der Sonne, des Mondes und der Erde ist darin, von den kleineren Planeten ganz zu schweigen – gib mir einen Silberdollar fur Schnaps dafur und du kannst es haben.‹ Damit die Gluckskette weitergeht, uberreiche ich es dir. Es wird dich behuten und deinen unfreundlichen Jupiter in die Flucht schlagen.«

Er hangte mir eine kleine schwarze Figur an einer dunnen Kette um den Hals. »So! Das ist gegen die hohere Misere – gegen die tagliche hier: sechs Flaschen Rum von Otto! Doppelt so alt wie du!«

Er offnete das Paket und stellte die Flaschen einzeln in die Morgensonne. Sie schimmerten wie Bernstein. »Sieht wunderbar aus«, sagte ich. »Wo hast du die blo? her, Otto?«

Koster lachte. »War eine verwickelte Sache. Zu lang zum Erzahlen. Aber sag mal, wie fuhlst du dich denn? Wie drei?ig?«

Ich winkte ab. »Wie sechzehn und funfzig gleichzeitig. Nicht besonders.«

»Das nennst du nicht besonders?« erwiderte Lenz. »Das ist doch das hochste, was es gibt. Du hast damit souveran die Zeit besiegt und lebst doppelt.«

Koster sah mich an. »La? ihn, Gottfried«, sagte er dann.

»Geburtstage drucken machtig aufs Selbstgefuhl. Besonders fruhmorgens. Er wird sich schon wieder erholen.«

Lenz kniff die Augen zusammen. »Je weniger Selbstgefuhl ein Mensch hat, um so mehr ist er wert, Robby. Trostet dich das ein bi?chen?«

»Nein«, sagte ich,»ganz und gar nicht. Wenn der Mensch erst was wert ist, ist er nur noch sein eigenes Denkmal. Das finde ich anstrengend und langweilig.«

»Er philosophiert, Otto«, sagte Lenz,»er ist schon gerettet. Er hat den stillen Moment uberstanden! Den stillen Geburtstagsmoment, wo man sich selbst in die Pupille blickt und entdeckt, was man fur ein armseliges Kuken ist. Jetzt konnen wir getrost an unser Tagwerk gehen und dem alten Cadillac die Eingeweide olen -«

Wir arbeiteten, bis es dammerig wurde. Dann wuschen wir uns und zogen uns um. Lenz sah begehrlich zu der Flaschenreihe hinuber. »Wollen wir einer den Hals brechen?«

»Das mu? Robby entscheiden«, sagte Koster. »Es ist nicht fein, Gottfried, dem Beschenkten so plump mit dem Zaunpfahl zu winken.«

»Noch weniger fein ist es, die Schenker verdursten zu lassen«, erwiderte Lenz und machte eine Flasche auf.

Der Geruch verbreitete sich sofort durch die ganze Werkstatt.

»Heiliger Moses«, sagte Gottfried.

Wir schnupperten alle. »Phantastisch, Otto. Man mu? schon in die hohe Poesie gehen, um da wurdige Vergleiche zu finden.«

»Zu schade fur die dunkle Bude hier!« entschied Lenz. »Wi?t ihr was? Wir fahren 'raus, essen irgendwo zu Abend und nehmen die Flasche mit. In Gottes freier Natur wollen wir sie aussaufen!«

»Glanzend.«

Wir schoben den Cadillac beiseite, an dem wir nachmittags gearbeitet hatten. Hinter ihm stand ein sonderbares Ding auf Radern. Es war der Rennwagen Otto Kosters, der Stolz der Werkstatt.

Koster hatte den Wagen, eine hochbordige, alte Kiste, seinerzeit auf einer Auktion fur ein Butterbrot gekauft. Fachleute, die ihn damals sahen, bezeichneten ihn ohne Zogern als interessantes Stuck fur ein Verkehrsmuseum. Der Konfektionar Bollwies, Besitzer einer Damenmantelfabrik und Rennamateur, riet Otto, eine Nahmaschine daraus zu machen. Aber Koster kummerte sich nicht darum. Er zerlegte den Wagen wie eine Taschenuhr und arbeitete Monate hindurch bis in die Nachte daran herum. Eines Abends erschien er dann mit ihm vor der Bar, in der wir gewohnlich sa?en. Bollwies fiel vor Lachen fast um, als er ihn wieder erblickte, so komisch sah er immer noch aus. Um einen Witz zu machen, bot er Otto eine Wette an. Er wollte zweihundert Mark gegen zwanzig setzen, wenn Koster ein Rennen gegen seinen neuen Sportwagen annahme – Strecke zehn Kilometer, ein Kilometer Vorgabe fur Ottos Wagen. Koster nahm die Wette an. Alles lachte und versprach sich einen Riesenspa?. Aber Otto tat noch mehr; er lehnte die Vorgabe ab und erhohte die Wette mit unbewegter Miene auf tausend Mark gegen tausend Mark. Bollwies fragte ihn entgeistert, ob er ihn in eine Irrenanstalt bringen solle. Koster lie? als Antwort nur seinen Motor an. Beide brachen daraufhin sofort auf, um die Sache auszutragen. Bollwies kam nach einer halben Stunde so verstort zuruck, als hatte er die Seeschlange gesehen. Schweigend schrieb er den Scheck aus und einen zweiten dazu. Er wollte die Maschine jetzt auf der Stelle kaufen. Aber Koster lachte ihn aus. Er hatte sie fur kein Geld der Erde mehr hergegeben. Doch so tadellos der Wagen nun innen auch war – von au?en sah er immer noch wust aus. Wir hatten fur den taglichen Gebrauch eine besonders altmodische Karosserie, die gerade pa?te, darauf gesetzt; der Lack war blind, die Kotflugel hatten Risse, und das Verdeck war reichlich zehn Jahre alt. Wir hatten das alles besser machen konnen – aber wir hatten einen Grund, es nicht zu tun. Der Wagen hie? Karl. Karl, das Chausseegespenst.

Karl schnob die Chaussee entlang.

»Otto«, sagte ich,»da kommt ein Opfer.«

Hinter uns hupte ungeduldig ein schwerer Buick. Er holte rasch auf. Bald lagen die Kuhler nebeneinander. Der Mann am Steuer sah lassig heruber. Sein Blick streifte von oben herab den ruppigen Karl. Dann wendete er sich ab und hatte uns schon vergessen.

Ein paar Sekunden spater mu?te er feststellen, da? Karl sich immer noch auf gleicher Hohe mit ihm befand. Er ruckte sich etwas zurecht, blickte uns amusiert an und gab Gas. Aber Karl wankte nicht. Wie ein Terrier neben einer Dogge hielt er sich weiter klein und flink neben der strahlenden Lokomotive aus Nickel und Lack.

Der Mann fa?te das Steuerrad fester. Er war vollkommen ahnungslos und verzog spottisch die Lippen. Man sah, da? er uns jetzt zeigen wollte, was sein Schlitten leistete. Er trat so kraftig auf den Gashebel, da? der Auspuff zwitscherte wie ein Feld voll Lerchen im Sommer. Doch es nutzte nichts; er kam nicht vorbei. Wie verhext klebte Karl ha?lich und unscheinbar an seiner Seite. Der Mann starrte erstaunt zu uns herunter. Er begriff nicht, da? bei einem Tempo von uber hundert Kilometern der altmodische Kasten unter ihm nicht abzuschutteln war. Verwundert blickte er auf seinen Tachometer, als konne der nicht stimmen. Dann gab er Vollgas.

Die Wagen rasten jetzt genau nebeneinander uber die lange, gerade Chaussee. Nach ein paar hundert Metern kam ein Lastwagen aus der entgegengesetzten Richtung angetost. Der Buick mu?te hinter uns zuruck, um auszuweichen. Kaum war er wieder neben Karl, da fegte ein Beerdigungsauto mit wehenden Kranzschleifen heran, und er mu?te abermals zuruck. Dann wurde die Sicht frei.

Der Mann am Steuer hatte inzwischen all seinen Hochmut verloren; argerlich, die Lippen zusammengepre?t, sa? er vorgebeugt da – das Rennfieber hatte ihn gepackt, und plotzlich hing die Ehre seines Lebens davon ab, um

Вы читаете Drei Kameraden
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×