Ich zuckte die Achseln. »Mag sein – aber warum hast du mich dann alleine herumstottern lassen?«

Er lachte. »Mu?t es doch auch mal lernen, Baby!«

»Habe gar keine Lust mehr, was zu lernen«, sagte ich.

Wir folgten den andern. Sie sa?en schon am Tisch. Die Wirtin kam gerade mit der Leber und den Bratkartoffeln. Sie brachte au?erdem eine gro?e Flasche Kornschnaps als Einleitung mit.

Binding erwies sich als wahrer Sturzbach von einem Redner. Es war erstaunlich, was er alles uber Automobile zu sagen hatte. Als er horte, da? Otto auch Rennen gefahren hatte, kannte seine Zuneigung uberhaupt keine Grenzen mehr.

Ich sah ihn mir genauer an. Er war ein schwerer, gro?er Mann mit dicken Augenbrauen uber einem roten Gesicht; etwas prahlerisch, etwas larmend, und wahrscheinlich gutmutig, wie Leute, die im Leben Erfolg haben. Ich konnte mir vorstellen, da? er sich abends vor dem Schlafengehen ernst, wurdig und achtungsvoll in einem Spiegel betrachtete.

Das Madchen sa? zwischen Lenz und mir. Es hatte den Mantel ausgezogen und trug darunter ein graues englisches Kostum. Um den Hals hatte es ein wei?es Tuch geknupft, das aussah wie eine Reitkrawatte. Ihr Haar war braun und seidig und hatte im Lampenlicht einen bernsteinfarbenen Schimmer. Die Schultern waren sehr gerade, aber etwas vorgebeugt, die Hande schmal, uberlang und eher etwas knochig als weich. Das Gesicht war schmal und bla?, aber die gro?en Augen gaben ihm eine fast leidenschaftliche Kraft. Sie sah sehr gut aus, fand ich – aber ich dachte mir nichts weiter dabei.

Lenz dagegen war jetzt Feuer und Flamme. Er war vollig verwandelt gegen vorhin. Sein gelber Schopf glanzte wie die Haube eines Wiedehopfs. Er lie? ein Feuerwerk von Einfallen los und beherrschte mit Bindung zusammen den Tisch. Ich sa? nur so dabei und konnte mich wenig bemerkbar machen; hochstens einmal eine Schussel reichen oder Zigaretten anbieten. Und mit Binding ansto?en. Das tat ich ziemlich oft.

Lenz schlug sich plotzlich vor die Stirn:»Der Rum! Robby, hol mal unsern Geburtstagsrum!«

»Geburtstag? Hat denn jemand Geburtstag?« fragte das Madchen.

»Ich«, sagte ich. »Ich werde schon den ganzen Tag damit verfolgt.«

»Verfolgt? Dann wollen Sie also nicht, da? man Ihnen gratuliert?«

»Doch«, sagte ich,»gratulieren ist was anderes.«

»Also alles Gute!«

Ich hielt einen Augenblick ihre Hand in meiner und spurte ihren warmen, trockenen Druck. Dann ging ich hinaus, um den Rum zu holen.

Die Nacht stand gro? und schweigend um das kleine Haus. Die ledernen Sitze unseres Wagens waren feucht. Ich blieb stehen und sah nach dem Horizont, wo der rotliche Schein der Stadt am Himmel stand. Ich ware gern noch drau?en geblieben; aber ich horte Lenz schon rufen.

Binding vertrug den Rum nicht. Nach dem zweiten Glas merkte man es schon. Er schwankte in den Garten hinaus. Ich stand auf und ging mit Lenz an die Theke. Er verlangte eine Flasche Gin. »Gro?artiges Madchen, was?« sagte er.

»Wei? ich nicht, Gottfried«, erwiderte ich. »Habe nicht so drauf geachtet.«

Er betrachtete mich eine Weile mit seinen irisierenden blauen Augen und schuttelte dann den gluhenden Kopf. »Wozu lebst du eigentlich, sag mal, Baby?«

»Das wollte ich auch schon lange mal wissen.«

Er lachte. »Das konnte dir so passen! So leicht wird's einem doch nicht gemacht. Aber jetzt werde ich zunachst mal herauspolken, wie das Madchen zu dem dicken Autokatalog drau?en steht.«

Er folgte Binding in den Garten. Nach einiger Zeit kamen beide an die Theke zuruck. Die Auskunft mu?te gut gewesen sein, denn Gottfried, der scheinbar die Bahn jetzt frei sah, schlo? sich in heller Begeisterung daruber sturmisch an Binding an. Die beiden holten sich die Ginflasche und duzten sich eine Stunde spater. Lenz hatte, wenn er in guter Laune war, immer so etwas Hinrei?endes, da? man ihm schwer widerstehen konnte. Er konnte sich selbst dann auch nicht widerstehen. Jetzt uberflutete er Binding einfach, und bald sangen beide in der Laube drau?en Soldatenlieder. Das Madchen hatte der letzte Romantiker daruber vollstandig vergessen.

Wir drei blieben allein in der Wirtsstube. Es war plotzlich sehr still. Die Schwarzwalderuhr tickte. Die Wirtin raumte ab und blickte mutterlich auf uns herunter. Am Ofen dehnte sich ein brauner Jagdhund. Manchmal bellte er im Schlaf, leise, hoch und klagend. Drau?en strich der Wind am Fenster vorbei. Er wurde uberweht von den Fetzen der Soldatenlieder, und mir war, als ob der kleine Raum sich hobe und mit uns durch die Nacht und durch die Jahre schwebe, vorbei an vielen Erinnerungen.

Es war eine merkwurdige Stimmung. Die Zeit schien aufgehoben zu sein – sie war nicht mehr ein Strom, der aus dem Dunkel kam und ins Dunkel ging -, sie war ein See, in dem sich lautlos das Leben spiegelte. Ich hielt mein Glas in der Hand. Der Rum schimmerte. Ich dachte an den Zettel, den ich morgens in der Werkstatt geschrieben hatte. Ich war etwas traurig gewesen. Ich war es jetzt nicht mehr. Es war alles gleich – solange man lebte. Ich sah Koster an. Ich horte, wie er mit dem Madchen sprach; aber ich achtete nicht auf die Worte. Ich spurte den weichen Glanz der ersten Trunkenheit, der das Blut warmer machte und den ich liebte, weil er uber das Ungewisse den Schein des Abenteuers breitete. Drau?en sangen Lenz und Binding das Lied vom Argonnerwald. Neben mir sprach das unbekannte Madchen – es sprach leise und langsam mit dieser dunklen, erregenden, etwas rauhen Stimme. Ich trank mein Glas aus.

Die beiden andern kamen wieder herein. Sie waren nuchterner geworden in der frischen Luft. Wir brachen auf. Ich half dem Madchen in den Mantel. Es stand dicht vor mir, geschmeidig sich in den Schultern dehnend, den Kopf schrag nach hinten gelegt, den Mund leicht geoffnet, mit einem Lacheln zur Zimmerdecke, das niemand galt. Ich lie? einen Moment den Mantel sinken. Wo hatte ich nur die ganze Zeit meine Augen gehabt? Hatte ich denn geschlafen? Ich verstand plotzlich die Begeisterung von Lenz.

Sie drehte sich fragend halb um. Ich hob rasch den Mantel wieder hoch und schaute zu Binding hinuber, der kirschrot und immer noch etwas glasig neben dem Tisch stand.

»Glauben Sie, da? er fahren kann?« fragte ich.

»Ich denke schon…«

Ich sah sie immer noch an. »Wenn er nicht sicher genug ist, kann einer von uns mitfahren.«

Sie zog ihre Puderdose hervor und klappte sie auf. »Es wird schon gehen«, sagte sie. »Er fahrt viel besser, wenn er getrunken hat.«

»Besser und wahrscheinlich unvorsichtiger«, erwiderte ich.

Sie blickte mich uber den Rand ihres kleinen Spiegels an.

»Hoffentlich geht es gut«, sagte ich. Es war etwas ubertrieben, denn Binding stand ganz leidlich auf den Beinen. Aber ich wollte irgend etwas tun, damit sie nicht so wegging. »Darf ich morgen einmal bei Ihnen anrufen und horen, wie es geworden ist?« fragte ich.

Sie antwortete nicht gleich. »Wir haben mit unserer Trinkerei doch so eine gewisse Verantwortung dafur«, sagte ich weiter. »Besonders ich mit meinem Geburtstagsrum.«

Sie lachte. »Nun gut, wenn Sie wollen. Westen 2796.«

Ich schrieb mir die Nummer drau?en gleich auf. Wir sahen zu, wie Binding abfuhr, und tranken noch ein letztes Glas. Dann lie?en wir Karl losheulen. Er fegte durch den leichten Marznebel, wir atmeten rasch, die Stadt kam uns entgegen, feurig und schwankend im Dunst, und aus den Schwaden hob sich wie ein erleuchtetes, buntes Schiff Freddys Bar. Wir gingen mit Karl vor Anker. Golden flo? der Kognak, der Gin glanzte wie Aquamarin, und der Rum war das Leben selbst. Eisern sa?en wir auf den Barstuhlen, die Musik platscherte, das Dasein war hell und stark; es flo? machtig durch unsere Brust, die Trostlosigkeit der oden moblierten Zimmer, die uns erwartete, die Verzweiflung der Existenz war vergessen, die Bartheke war die Kommandobrucke des Lebens, und wir fuhren brausend in die Zukunft hinein.

II

Der nachste Tag war ein Sonntag. Ich schlief lange und erwachte erst, als die Sonne auf mein Bett schien. Ich sprang rasch auf und ri? die Fenster auf. Drau?en war es frisch und klar. Ich stellte den Spirituskocher auf die Bank und suchte die Dose mit Kaffee. Meine Wirtin, Frau Zalewski, hatte mir erlaubt, im Zimmer meinen eigenen Kaffee zu kochen. Ihrer war zu dunn. Besonders wenn man abends getrunken hatte.

Вы читаете Drei Kameraden
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×