keinen Preis gegen den Klaffer neben sich klein beizugeben.

Wir dagegen hockten scheinbar gleichgultig auf unseren Sitzen. Der Buick existierte fur uns gar nicht. Koster blickte ruhig auf die Stra?e, ich schaute gelangweilt in die Luft; und Lenz, obschon er ein Bundel Spannung war, zog eine Zeitung hervor und tat, als ob es nichts Wichtigeres fur ihn gabe, als gerade jetzt zu lesen.

Ein paar Minuten spater blinzelte Koster uns zu. Karl verlor unmerklich an Tempo, und der Buick ruckte langsam vor. Seine breiten, blinkenden Kotflugel druckten sich an uns vorbei. Der Auspuff donnerte uns blauen Qualm in die Gesichter. Allmahlich gewann er ungefahr zwanzig Meter – da erschien auch schon das Gesicht des Besitzers im Fenster und grinste offenen Triumph. Er glaubte gewonnen zu haben.

Aber der Mann tat noch ein ubriges. Er konnte sich eine Revanche nicht verkneifen. Er winkte uns zu, doch nachzukommen. Er winkte sogar besonders nachlassig und siegessicher. »Otto!« sagte Lenz mahnend.

Aber er brauchte nichts zu sagen. Karl machte im selben Moment schon einen Sprung. Der Kompressor pfiff los. Und plotzlich verschwand die winkende Hand im Fenster – denn Karl folgte der Aufforderung; er kam. Er kam sogar unaufhaltsam, er holte alles wieder auf – und nun, zum ersten Male, nahmen wir Notiz von dem fremden Wagen. Unschuldig fragend schauten wir hinauf zu dem Mann am Steuer; wir wollten gerne wissen, weshalb er uns gewinkt hatte. Doch der sah krampfhaft nach der anderen Seite, und Karl zog jetzt erst mit vollem Gas davon, starrend vor Schmutz, mit wehenden Kotflugeln, ein siegreicher Dreckfink.

»Gut gemacht, Otto«, sagte Lenz zu Koster. »Dem Mann wird sein Abendbrot nicht schmecken.«

Diese Jagden waren der Grund, weshalb wir Karls Karosserie nicht anderten. Er brauchte nur auf der Stra?e zu erscheinen – sofort versuchte jemand, ihn abzuhangen. Auf andere Wagen wirkte er wie eine flugellahme Krahe auf ein Rudel hungriger Katzen. Er reizte die friedlichsten Familienkutschen zum Uberholen, und selbst die behabigsten Vollbarte wurden unwiderstehlich vom Rennehrgeiz gepackt, wenn sie sein klappriges Fahrgestell vor sich auf und nieder tanzen sahen. Wer konnte auch ahnen, da? in dieser lacherlichen Gestalt das gro?e Herz eines Rennmotors schlug!

Lenz behauptete, Karl wirke erzieherisch. Er lehre die Leute Ehrfurcht vor dem Schopferischen, das immer in einer unscheinbaren Hulle stecke. Das sagte Lenz, der von sich ebenfalls behauptete, er ware der letzte Romantiker.

Wir hielten vor einem kleinen Gasthaus und kletterten aus dem Wagen. Der Abend war schon und still. Die Furchen der aufgebrochenen Acker schimmerten violett. Die Kanten leuchteten golden und braun. Wie gro?e Flamingos schwammen die Wolken am apfelgrunen Himmel und behuteten zwischen sich die schmale Sichel des zunehmenden Mondes. Ein Haselnu?strauch hielt Dammerung und Ahnung in seinen Armen, ruhrend kahl und schon voll Knospenhoffnung. Aus dem kleinen Gasthaus drang der Duft gebratener Leber. Auch Zwiebeln waren dabei. Uns schwoll das Herz.

Lenz sturzte ins Haus, dem Geruch nach. Verklart kam er zuruck. »Ihr mu?tet die Bratkartoffeln sehen! Rasch, sonst ist das Beste 'runter!«

In diesem Augenblick summte noch ein Wagen heran. Wie angenagelt blieben wir stehen. Es war der Buick. Er hielt mit scharfem Ruck neben Karl. »Hoppla!« sagte Lenz. Wir hatten schon ofter Schlagereien wegen ahnlicher Sachen gehabt.

Der Mann stieg aus. Er war gro? und schwer und trug einen weiten, braunen Raglan aus Kamelhaar. Mi?vergnugt schielte er nach Karl, streifte dann ein Paar dicke gelbe Handschuhe ab und kam heran.

»Is denn das fur 'n Modell, Ihr Wagen da?« fragte er Koster, der ihm am nachsten stand, mit einem Gesicht wie eine Essiggurke.

Wir sahen ihn alle drei eine Weile schweigend an. Sicherlich hielt er uns fur Monteure im Sonntagsanzug auf einer Schwarzfahrt. »Haben Sie etwas gesagt?« fragte Otto dann schlie?lich zweifelnd, um ihn zu belehren, da? er hoflicher sein konnte.

Der Mann wurde rot. »Ich habe nach dem Wagen da gefragt«, erklarte er brummig im selben Ton wie vorher.

Lenz richtete sich auf. Seine gro?e Nase zuckte. Er hielt au?erordentlich auf Hoflichkeit bei anderen. Aber bevor er den Mund auftun konnte, offnete sich plotzlich, wie durch eine Geisterhand, die zweite Tur des Buick – ein schmaler Fu? glitt heraus, ein schmales Knie folgte -, dann stieg ein Madchen aus und schritt langsam auf uns zu.

Uberrascht blickten wir uns an. Wir hatten vorher nicht gesehen, da? noch jemand im Wagen war. Lenz veranderte sofort seine Haltung. Er lachelte uber sein ganzes sommersprossiges Gesicht. Wir lachelten auf einmal alle, wei? der Kuckuck, warum.

Der Dicke schaute uns verblufft an. Er wurde unsicher und wu?te scheinbar nicht mehr, was er aus der Sache machen sollte. »Binding«, sagte er schlie?lich, mit einer halben Verbeugung, als konne er sich an seinem Namen festhalten.

Das Madchen war jetzt ganz herangekommen. Wir wurden noch freundlicher. »Zeig doch mal den Wagen, Otto«, sagte Lenz mit einem raschen Blick zu Koster hin.

»Warum nicht«, erwiderte Otto und gab den Blick belustigt zuruck.

»Ich wurde ihn wirklich gern mal sehen«, sagte Binding bereits versohnlicher. »Mu? verdammt schnell sein. Hat mich ja nur so weggepustet.«

Beide gingen zum Parkplatz hinuber, und Koster klappte Karls Motorhaube hoch.

Das Madchen ging nicht mit. Es blieb schlank und schweigend neben Lenz und mir in der Dammerung stehen. Ich erwartete, da? Gottfried die Gelegenheit ausnutzen und losgehen wurde wie eine Bombe. Er war fur solche Situationen. Doch er schien die Sprache verloren zu haben. Sonst konnte er balzen wie ein Birkhahn – aber jetzt stand er da wie ein Karmelitermonch auf Urlaub und ruhrte sich nicht.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich schlie?lich. »Wir haben nicht gesehen, da? Sie im Wagen waren. Sonst hatten wir den Unfug vorhin sicher nicht gemacht.«

Das Madchen sah mich an. »Aber warum denn nicht?« erwiderte es ruhig, mit einer uberraschend dunklen Stimme. »So schlimm war das doch gar nicht.«

»Schlimm nicht, aber auch nicht ganz anstandig. Der Wagen da lauft ungefahr zweihundert Kilometer.«

Sie beugte sich etwas vor und steckte die Hande in die Taschen ihres Mantels. »Zweihundert Kilometer?«

»Genau hundertneunundachtzig Komma zwei, amtlich abgestoppt«, erklarte Lenz, wie aus der Pistole geschossen, stolz.

Sie lachte. »Und wir dachten, ungefahr so sechzig, siebzig.«

»Sehen Sie«, sagte ich,»das konnten Sie doch nicht wissen.«

»Nein«, erwiderte sie,»das konnten wir wirklich nicht wissen. Wir glaubten, der Buick ware doppelt so schnell wie Ihr Wagen.«

»Ja«- ich stie? mit dem Fu? einen abgebrochenen Zweig beiseite -,»aber wir hatten einen zu gro?en Vorteil. Und Herr Binding druben hat sich wohl auch ziemlich uber uns geargert.«

Sie lachte. »Einen Augenblick sicher. Aber man mu? auch verlieren konnen; wie sollte man sonst leben.«

»Gewi?…«

Es entstand eine Pause. Ich blickte zu Lenz hinuber. Doch der letzte Romantiker grinste nur, zuckte mit der Nase und lie? mich im Stich. Die Birken raschelten. Ein Huhn gackerte hinter dem Hause.

»Wunderbares Wetter«, sagte ich endlich, um das Schweigen zu unterbrechen.

»Ja, herrlich«, erwiderte das Madchen.

»Und so milde«, fugte Lenz hinzu.

»Sogar ungewohnlich milde«, erganzte ich.

Es entstand eine neue Pause. Das Madchen mu?te uns fur ziemliche Schafskopfe halten; aber mir fiel beim besten Willen nichts mehr ein. Lenz schnupperte in die Gegend. »Geschmorte Apfel«, sagte er gefuhlvoll,»es scheint auch geschmorte Apfel zur Leber zu geben. Eine Delikatesse.«

»Ohne Zweifel«, gab ich zu und verfluchte uns beide.

Koster und Binding kamen zuruck. Binding war in den paar Minuten ein ganz anderer Mann geworden. Er schien einer dieser Autonarren zu sein, die ganz selig sind, wenn sie irgendwo einen Fachmann finden, mit dem sie reden konnen.

»Wollen wir zusammen essen?« fragte er.

»Selbstverstandlich«, erwiderte Lenz.

Wir gingen hinein. Unter der Tur blinzelte Gottfried mir zu und nickte zu dem Madchen hinuber. »Du, die hebt das tanzende alte Weib von heute morgen zehnfach wieder auf…«

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