»Geld verlangt ein Kavalier nie von einer Dame zuruck. Und wir werden aus dir einen Kavalier machen, selbst wenn wir dir den Schadel einschlagen mussen. Der Peitschenhieb war eine Freundlichkeit. Das Eiserne Pferd ist eine Sadistin.«

»Was?«

»Eine strenge Masseuse. Wir haben nur vergessen, es dir zu sagen. Aber du solltest froh sein, so etwas zu erleben. Es ist selten in Kleinstadten!«

»Ich bin nicht froh. Werft mir meine Sachen ruber.«

Es gelingt uns, ihn wieder hereinzubekommen, nachdem er sich hinter dem Fliederbusch angezogen hatte. Wir geben ihm etwas zu trinken, aber er ist nicht zu bewegen, den Tisch zu verlassen. Er behauptet, die Stimmung sei weg. Hungermann macht schlie?lich einen Vertrag mit dem Eisernen Pferd und der Madame. Bambuss soll das Recht haben, innerhalb einer Woche wiederzukommen, ohne da? eine Nachzahlung verlangt wird.

Wir trinken weiter. Nach einiger Zeit merke ich, da? Otto trotz allem Feuer gefangen zu haben scheint. Er schielt jetzt ab und zu nach dem Eisernen Pferd hinuber und kummert sich um keine der anderen Damen. Willy la?t weiteren Kummel anfahren. Nach einer Weile vermissen wir Eduard. Er taucht eine halbe Stunde spater schwitzend wieder auf und beteuert, spazierengegangen zu sein. Der Kummel tut allmahlich seine Wirkung.

Otto Bambuss zieht plotzlich Papier und Bleistift heraus und macht heimlich Notizen. Ich sehe ihm uber die Schulter.»Die Tigerin«, lautet die Uberschrift.»Willst du nicht noch etwas warten mit den freien Rhythmen und Hymnen?«frage ich.

Er schuttelt den Kopf.»Der frische erste Eindruck ist das Wichtigste.«

»Aber du hast doch nur eins mit der Peitsche uber den Hintern gekriegt und dann ein paar mit der Waschschussel uber den Schadel! Was ist da Tigerisches dran?«

»Das uberla? nur mir!«Bambuss gie?t einen Kummel durch seinen zerfransten Schnurrbart.»Jetzt kommt die Macht der Phantasie! Ich bluhe bereits von Versen wie ein Rosenbusch. Was hei?t Rosenbusch? Wie eine Orchidee im Dschungel!«

»Du glaubst, du hattest schon Erfahrung genug?«

Otto schie?t einen Blick voll Lust und Grausen zum Eisernen Pferd hinuber.»Das wei? ich nicht. Fur ein kleines kartoniertes Bandchen aber sicher schon.«

»Sprich dich aus! Es sind drei Millionen fur dich angelegt. Wenn du sie nicht brauchst, versaufen wir sie lieber.«

»Versaufen wir sie lieber.«

Bambuss schuttet wieder einen Kummel in sich hinein. Es ist das erstemal, da? wir ihn so sehen. Er hat Alkohol vorher wie die Pest gemieden, vor allem Schnaps. Seine Lyrik gedieh bei Kaffee und Johannisbeerwein.

»Was sagst du zu Otto?«frage ich Hungermann.»Es waren die Schlage auf den Kopf mit der Blechschussel.«

»Es war gar nichts«, erwidert Otto johlend. Er hat einen weiteren Doppelkummel hinter sich und kneift das Eisere Pferd, das gerade vorubergeht, in den Hintern. Das Pferd bleibt wie vom Blitz getroffen stehen. Dann dreht es sich langsam um und besichtigt Otto wie ein seltenes Insekt. Wir strecken unsere Arme vor, um den Schlag abzuschwachen, den wir erwarten. Fur Damen mit hohen Stiefeln ist ein Kniff dieser Art eine obszone Beleidigung. Otto steht torkelnd auf, lachelt abwesend aus seinen kurzsichtigen Augen, geht um das Ro? herum und knallt ihr unversehens noch einen saftigen Schlag auf die schwarze Reizwasche.

Es wird still. Jeder erwartet Mord. Aber Otto setzt sich unbekummert wieder hin, legt den Kopf auf die Arme und schlaft augenblicklich ein.»Tote nie einen Schlafenden«, beschwort Hungermann das Ro?.»Das elfte Gebot Gottes!«

Das Eiserne Pferd offnet seinen machtigen Mund zu einem lautlosen Grinsen. Alle seine Goldplomben schimmern. Dann streicht es uber Ottos dunnes, weiches Haar.

»Menschenkinder«, sagt es,»noch einmal so jung und so damlich sein konnen!«

Wir brechen auf. Hungermann und Bambuss werden von Eduard zur Stadt zuruckgefahren. Die Pappeln rauschen. Die Doggen bellen. Das Eiserne Pferd steht im ersten Stock am Fenster und winkt mit der Kosakenmutze. Hinter dem Puff steht bleich der Mond. Matthias Grund, der Dichter des Buches vom Tode, arbeitet sich plotzlich vor uns aus einem Graben hervor. Er hatte geglaubt, er konne ihn uberqueren wie Christus den See Genezareth. Es war ein Irrtum. Willy geht neben mir her.»Was fur ein Leben!«sagt er traumerisch.»Und zu denken, da? man tatsachlich sein Geld im Schlafe verdient! Morgen ist der Dollar wieder weiter rauf, und die Aktien klettern wie muntere Affen hinterher!«

»Verdirb uns den Abend nicht. Wo ist dein Auto? Kriegt es auch Junge wie deine Aktien?«

»Renee hat es. Macht sich gut vor der Roten Muhle. Zwischen den Vorstellungen fahrt sie Kollegen darin spazieren. Platzen vor Neid.«

»Heiratet ihr?«

»Wir sind verlobt«, erklart Willy.»Wenn du wei?t, was das hei?t.«

»Ich kann es mir denken.«

»Komisch!«sagt Willy.»Sie erinnert mich jetzt oft auch stark an unsern Oberleutnant Helle, diesen verdammten Menschenschinder, der uns das Leben so schwer gemacht hat, bevor wir zum Heldentod zugelassen wurden. Genauso, im Dunkeln. Ein schauriger Hochgenu?, Helle am Genick zu haben und ihn zu schanden. Habe nie gewu?t, da? mir das Spa? machen wurde, das kannst du mir glauben!«

»Ich glaube es dir.«

Wir gehen durch die dunklen, bluhenden Garten. Geruch von unbekannten Blumen weht heruber.»Wie su? das Mondlicht auf den Hugeln schlaft«, sagt jemand und hebt sich wie ein Gespenst vom Boden auf.

Es ist Hungermann. Er ist na? wie Matthias Grund.»Was ist los?«frage ich.»Bei uns hat es nicht geregnet.«

»Eduard hat uns ausgesetzt. Wir sangen ihm zu laut. Der respektable Hotelwirt! Als ich Otto dann etwas erfrischen wollte, sind wir beide in den Bach gefallen.«

»Ihr auch? Wo ist Otto? Sucht er nach Matthias Grund?«

»Er ?scht.«-»Was?«

»Verdammt!«sagt Hungermann.»Hoffentlich ist er nicht umgefallen. Er kann nicht schwimmen.«

»Unsinn. Der Bach ist doch nur einen Meter tief.«

»Otto konnte auch in einer Pfutze ertrinken. Er liebt seine Heimat.«

Wir ?nden Bambuss, wie er sich an einer Brucke uber den Bach festhalt und den Fischen predigt.

»Ist dir schlecht, Franziskus?«fragt Hungermann.

»Jawohl«, erwidert Bambuss und kichert, als ware das irrsinnig komisch. Dann klappert er mit den Zahnen.

»Kalt«, stammelt er.»Ich bin kein Freiluftmensch.«

Willy zieht eine Flasche Kummel aus der Tasche.»Wer rettet euch mal wieder? Onkel Willy, der Umsichtige. Rettet euch vor Lungenentzundung und kuhlem Tod.«

»Schade, da? wir Eduard nicht dabei haben«, sagt Hungermann.»Sie konnten ihn dann auch retten und mit Herrn Valentin Busch ein Kompaniegeschaft aufmachen. Die Retter Eduards. Das wurde ihn toten.«

»Lassen Sie die faulen Witze«, sagt Valentin, der hinter ihm steht.»Kapital sollte Ihnen heilig sein, oder sind Sie Kommunist? Ich teile mit niemandem. Eduard gehort mir.«

Wir trinken alle. Der Kummel funkelt wie ein gelber Diamant im Mondlicht.»Wolltest du noch irgendwohin?«frage ich Willy.

»Zu Bodo Ledderhoses Gesangverein. Kommt mit. Ihr konnt euch da trocknen.«

»Gro?artig«, sagt Hungermann.

Es kommt keinem in den Sinn, da? es einfacher ware, nach Hause zu gehen. Nicht einmal dem Dichter des Todes. Flussigkeit scheint heute abend eine machtige Anziehungskraft zu haben.

Wir gehen weiter, den Bach entlang. Der Mond schimmert im Wasser. Man kann ihn trinken – wer hat das noch irgendwann einmal gesagt?

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