XV
Der spate Sommer hangt schwul uber der Stadt, der Dollar ist um weitere zweihunderttausend Mark gestiegen, der Hunger hat sich gemehrt, die Preise haben sich erhoht, und das Ganze ist sehr einfach: Die Preise steigen schneller als die Lohne – also versinkt der Teil des Volkes, der von Lohnen, Gehaltern, Einkommen, Renten lebt, mehr und mehr in hoffnungsloser Armut, und der andere erstickt in Ungewissem Reichtum. Die Regierung sieht zu. Sie wird durch die In?ation ihre Schulden los; da? sie gleichzeitig das Volk verliert, sieht niemand.
Das Mausoleum fur Frau Niebuhr ist fertig. Es ist scheu?lich, eine Steinbude mit farbigem Glas, Bronzeketten und Kieswegen, obschon keine der Bildhauerarbeiten gemacht worden ist, die ich ihr geschildert habe; aber jetzt will sie es plotzlich nicht abnehmen. Sie steht im Hof, einen bunten Sonnenschirm in der Hand, einen Strohhut mit lackierten Kirschen auf dem Kopf und eine Kette von falschen Perlen um den Hals. Neben ihr steht ein Individuum in einem etwas zu engen karierten Anzug, das Gamaschen uber den Schuhen tragt. Der Blitz hat eingeschlagen, die Trauer ist vorbei, Frau Niebuhr hat sich verlobt. Niebuhr ist ihr mit einem Schlage gleichgultig geworden. Das Individuum hei?t Ralph Lehmann und nennt sich Industrieberater. Fur den eleganten Vornamen und den Beruf ist der Anzug ziemlich stark abgetragen. Die Krawatte ist neu; ebenso die orangefarbenen Strumpfe – wahrscheinlich sind es die ersten Geschenke der glucklichen Braut.
Der Kampf wogt hin und her. Frau Niebuhr behauptet anfangs, das Mausoleum uberhaupt nicht bestellt zu haben.»Haben Sie etwas Schriftliches?«fragt sie triumphierend.
Wir haben nichts Schriftliches. Georg erklart milde, das sei nicht notig in unserem Beruf. Beim Tode sei Treu und Glauben noch gultig. Wir hatten au?erdem ein Dutzend Zeugen. Frau Niebuhr habe unsere Steinmetzen, unseren Bildhauer und uns selbst verruckt genug gemacht mit all ihren Anspruchen. Au?erdem habe sie ja eine Anzahlung geleistet.
»Das ist es ja gerade«, erklart Frau Niebuhr mit schoner Logik.»Die Anzahlung wollen wir zuruckhaben.«
»Sie haben das Mausoleum also bestellt?«
»Ich habe es nicht bestellt. Ich habe es nur anbezahlt.«
»Was sagen Sie zu dieser Erklarung, Herr Lehmann?«frage ich.»In Ihrer Eigenschaft als Industrieberater.«
»Das gibt’s«, erwidert Ralph als Kavalier und will uns den Unterschied erklaren. Georg unterbricht ihn. Er erklart, da? uber die Vorauszahlung auch nichts Schriftliches vorliege.»Was?«Ralph wendet sich an Frau Niebuhr.»Emilie! Du hast keine Quittung?«
»Ich wei? nicht«, stottert Frau Niebuhr.»Wer kann denn wissen, da? die hier auf einmal behaupten, ich hatte nichts bezahlt! Solche Betruger!«
»So eine Damlichkeit!«
Emilie verkleinert sich. Ralph starrt sie wutend an. Er ist plotzlich kein Kavalier mehr. Lieber Gott, denke ich, vorher hatte sie einen Wal?sch – jetzt hat sie einen Hai gefangen.
»Niemand behauptet, Sie hatten nichts bezahlt«, sagt Georg.»Wir haben nur gesagt, es liege ebensowenig etwas Schriftliches daruber vor wie uber die Bestellung.«
Ralph erholt sich.»Na also.«
»Im ubrigen«, erklart Georg,»sind wir bereit, das Denkmal zuruckzunehmen, wenn Sie es nicht haben wollen.«
»Na also«, wiederholt Ralph. Frau Niebuhr nickt eifrig. Ich starre Georg an. Das Mausoleum wird ein zweiter Ladenhuter werden; ein Bruder des Obelisken.
»Und die Anzahlung?«fragt Ralph.
»Die Anzahlung verfallt naturlich«, sage ich.»Das ist immer so.«
»Was?«Ralph zieht die Weste herunter und strafft sich. Ich sehe, da? auch seine Hosen zu kurz und zu eng sind.»Das ware ja gelacht!«sagt er.»So wird bei uns nicht geschossen.«
»Bei uns auch nicht. Gewohnlich haben wir Kunden, die abnehmen, was sie bestellen.«
»Wir haben ja gar nichts bestellt«, mischt sich Emilie mit neuem Mut ein. Die Kirschen auf ihrem Hut wippen.»Au?erdem war der Preis viel zu hoch.«
»Ruhe, Emilie!«schnauzt Ralph. Sie duckt sich, erschreckt und selig uber so viel Mannlichkeit.»Es gibt noch Gerichte«, fugt Ralph drohend hinzu.
»Das hoffen wir.«
»Fuhren Sie Ihre Backerei auch nach Ihrer Ehe weiter?«fragt Georg Emilie.
Die ist so erschrocken, da? sie wortlos ihren Verlobten anblickt.
»Klar«, erwidert Ralph.»Neben unseren Industriegeschaften naturlich. Warum?«
»Die Brotchen und der Kuchen waren immer besonders gut.«
»Danke«, sagt Emilie geziert.»Und wie ist es mit der Anzahlung?«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, erklart Georg und la?t plotzlich seinen Charme spielen.»Liefern Sie uns einen Monat lang jeden Morgen zwolf Brotchen und jeden Nachmittag sechs Stucke Obstkuchen gratis – dann zahlen wir Ihnen am Ende des Monats die Anzahlung zuruck, und Sie brauchen das Mausoleum nicht zu nehmen.«
»Gemacht«, sagt Frau Niebuhr sofort.
»Ruhe, Emilie!«Ralph knufft sie in die Rippen.»Das mochten Sie wohl«, sagt er giftig zu Georg.»In einem Monat zuruckzahlen! Und was ist dann das Geld noch wert?«
»Nehmen Sie das Denkmal«, erwidere ich.»Uns soll es recht sein.«
Der Kampf dauert noch eine Viertelstunde. Dann schlie?en wir einen Vergleich. Wir zahlen die Halfte der Anzahlung sofort zuruck. Den Rest in zwei Wochen. Die Lieferung in Naturalien bleibt bestehen. Ralph kann nichts gegen uns machen. Die In?ation ist fur einmal auf unserer Seite. Zahlen sind Zahlen vor Gericht, immer noch, ganz gleich, was sie bedeuten. Wollte er auf Ruckzahlung klagen, so wurde Emilie ihr Geld vielleicht in einem Jahr zugesprochen bekommen – immer noch dieselbe, dann vollig wertlose Summe. Ich verstehe Georg jetzt – wir kommen gut bei dem Geschaft weg. Die Anzahlung gilt nur noch ein Bruchteil von dem, was sie wert war, als wir sie erhielten.
»Was machen wir aber mit dem Mausoleum?«frage ich ihn, nachdem die Verlobten fort sind.»Wollen wir es als Privatkapelle benutzen?«
»Wir andern das Dach etwas. Kurt Bach kann einen trauernden Lowen draufsetzen oder einen marschierenden Soldaten – zur Not auch einen Engel oder die weinende Germania -, zwei der Fenster nehmen wir raus und ersetzen sie durch Marmorplatten, auf die Namen eingemei?elt werden konnen – und damit ist das Mausoleum -«
Er halt inne.»Ein kleineres Kriegerdenkmal«, erganze ich.»Aber Kurt Bach kann keine frei stehenden Engel modellieren – auch keine Soldaten und keine Germania. Er kann sie hochstens im Relief. Wir mussen bei unserem alten Lowen bleiben. Dafur ist aber das Dach zu schmal. Ein Adler ware besser.«
»Wozu? Der Lowe kann eine Pfote uber das Postament herunterhangen lassen. Dann geht es.«
»Wie ware es mit einem Bronzelowen? Die Metallwarenfabriken liefern Bronzetiere in allen Gro?en.«
»Eine Kanone«, sagt Georg sinnend.»Eine zerschossene Kanone ware mal was Neues.«
»Nur fur ein Dorf, in dem nichts anderes als Artilleristen gefallen sind.«
»Hor zu«, sagt Georg.»La? deine Phantasie spielen. Mach ein paar Zeichnungen, moglichst gro? und am besten farbig. Wir werden dann sehen!«
»Wie ware es, wenn wir den Obelisken in das Arrangement hineinarbeiten konnten? Dann schlugen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.«
Georg lacht.»Wenn du das fertigbringst, bestelle ich fur dich als Bonus eine ganze Kiste Reinhardtshauser 1921. Ein Wein zum Traumen.«
»Es ware besser, wenn du ihn in einzelnen Flaschen auf Vorschu? liefertest. Die Inspiration kommt dann leichter.«
»Gut, fangen wir mit einer an. Gehen wir zu Eduard.«
Eduard bewolkt sich wie ublich, als er uns sieht.»Freuen Sie sich, Herr Knobloch«, sagt Georg und zieht eine Handvoll Geldscheine aus der Tasche.»Bares Geld lacht Sie heute an!«
Eduard entwolkt sich.»Tatsachlich? Na ja, es mu?te ja endlich einmal kommen. Einen Fensterplatz?«