Geschlechtskrankheiten?«
»Es ist heute Sonnabend. Alle Damen sind heute nachmittag untersucht worden. Keine Gefahr, Otto.«
»Ihr wi?t alles, was?«
»Wir wissen das, was zum Leben notig ist«, erwidert Hungermann.»Das ist gewohnlich etwas ganz anderes, als man in Schulen und Erziehungsinstituten lehrt. Deshalb bist du so ein Unikum, Otto.«
»Ich bin zu fromm erzogen worden«, seufzt Bambuss.»Ich bin mit der Angst vor der Holle und der Syphilis gro? geworden. Wie kann man da bodenstandige Lyrik entwickeln?«
»Du konntest heiraten.«
»Das ist mein dritter Komplex. Angst vor der Ehe. Meine Mutter hat meinen Vater kaputtgemacht. Durch nichts als Weinen. Ist das nicht merkwurdig?«
»Nein«, sagen Hungermann und ich unisono und schutteln uns darauf die Hand. Es bedeutet sieben weitere Jahre Leben. Schlecht oder gut, Leben ist Leben – das merkt man erst, wenn man gezwungen wird, es zu riskieren.
Bevor wir in das traulich wirkende Haus mit seinen Pappeln, der roten Laterne und den bluhenden Geranien am Fenster eintreten, starken wir uns durch ein paar Schlucke Schnaps. Wir haben eine Flasche mitgebracht und lassen sie reihum gehen. Sogar Eduard, der mit seinem Opel vorgefahren ist und auf uns gewartet hat, trinkt mit; es ist selten, da? er etwas umsonst bekommt, und so genie?t er es. Der gleiche Schluck, den wir jetzt zu etwa zehntausend Mark Selbstkosten das Glas trinken, wird in einer Sekunde im Puff vierzigtausend kosten – deshalb haben wir die Flasche bei uns. Bis zur Turschwelle leben wir sparsam – danach sind wir in den Handen der Madame.
Otto ist anfangs stark enttauscht. Er hat statt der Gaststube eine orientalische Szenerie erwartet, mit Leopardenfellen, Moschee-Ampeln und schwerem Parfum; statt dessen sind die Damen zwar leicht bekleidet, nahern sich aber mehr dem Dienstmadchentyp. Er fragt mich leise, ob es keine Negerinnen oder Kreolinnen gabe. Ich zeige auf ein durres, schwarzhaariges Ding.»Die dort hat Kreolenblut. Sie kommt frisch aus dem Zuchthaus. Hat ihren Mann ermordet.«
Otto bezweifelt es. Er wird erst munter, als das Eiserne Pferd eintritt. Es ist eine imposante Erscheinung, mit hohen Schnurstiefeln, schwarzer Wasche, einer Art Lowenbandigeruniform, einer grauen Astrachan-Fellkappe und einem Mund voller Goldzahne. Generationen junger Lyriker und Redakteure haben auf ihr das Examen des Lebens gemacht, und sie ist auch fur Otto durch Vorstandsbeschlu? bestimmt worden. Sie oder Fritzi. Wir haben darauf bestanden, da? sie in gro?er Aufmachung kame – und sie hat uns nicht im Stich gelassen. Sie stutzt, als wir sie mit Otto bekanntmachen. Sie hat wohl geglaubt, etwas Frischeres, Jungeres vorgeworfen zu bekommen. Bambuss sieht papieren aus, bla?, dunn, mit Pickeln, einem durftigen Schnurrbartchen, und er ist bereits sechsundzwanzig Jahre alt. Au?erdem schwitzt er im Augenblick wie ein Rettich im Salz. Das Eiserne Pferd rei?t seinen goldenen Rachen zu einem gutmutigen Grinsen auf und pufft den erschauernden Bambuss in die Seite.»Komm, schmei? einen Kognak«, sagt es friedlich.
»Was kostet ein Kognak?«fragt Otto das Serviermadchen.
»Sechzigtausend.«
»Was?«fragt Hungermann alarmiert.»Vierzigtausend, keinen Pfennig mehr!«
»Pfennig«, sagt die Puffmutter.»Das Wort habe ich lange nicht mehr gehort.«
»Vierzigtausend war gestern, Schatz«, erklart das Eiserne Pferd.
»Vierzigtausend war heute morgen. Ich war heute morgen hier im Auftrage des Komitees.«
»Von was fur einem Komitee?«
»Vom Komitee fur die Erneuerung der Lyrik durch direkte Erfahrung.«
»Schatz«, sagt das Eiserne Pferd.»Das war vor dem Dollarkurs.«
»Es war nach dem Elf-Uhr-Dollarkurs.«
»Es war vor dem Nachmittagskurs«, erklart die Puffmutter.»Seid nicht solche Geizhalse!«
»Sechzigtausend ist bereits nach dem Dollarkurs fur ubermorgen berechnet«, sage ich.
»Nach dem fur morgen. Jede Stunde bist du etwas naher dran. Beruhige dich! Der Dollarkurs ist wie der Tod. Du kannst ihm nicht entgehen. Hei?t du nicht Ludwig?«
»Rolf«, erwidere ich fest.»Ludwig ist nicht aus dem Kriege zuruckgekommen.«
Hungermann wird plotzlich von einer bosen Ahnung ergriffen.»Und die Taxe?«fragt er.»Wie ist die? Zwei Millionen war abgemacht. Mit Ausziehen und einem halbstundigen Gesprach nachher. Das Gesprach ist wichtig fur unseren Kandidaten.«
»Drei«, erwidert das Eiserne Pferd phlegmatisch.»Und das ist billig.«
»Kameraden, wir sind verraten!«schmettert Hungermann.
»Wei?t du, was hohe Stiefel bis fast zum Hintern heute kosten?«fragt das Eiserne Pferd.
»Zwei Millionen und keinen Centime mehr. Wenn selbst hier Abmachungen nicht mehr gelten, was soll dann aus der Welt werden?«
»Abmachungen! Was sind Abmachungen, wenn der Kurs schwankt wie besoffen?«
Matthias Grund, der als Dichter des Buches vom Tode naturgema? bis jetzt geschwiegen hat, erhebt sich.»Dies ist das erste Puff, das nationalsozialistisch verseucht ist«, erklart er wutend.»Vertrage sind Fetzen Papier, was?«
»Vertrage und Geld«, erwidert das Eiserne Pferd unerschutterlich.»Aber hohe Stiefel sind hohe Stiefel, und schwarze Reizwasche ist schwarze Reizwasche. Namlich blodsinnig teuer. Warum nehmt ihr keine mittlere Klasse fur euren Kon?rmanden? So wie bei Beerdigungen – da gibt’s auch mit und ohne Federbusch. Zweite Klasse genugt fur den da!«
Dagegen ist nichts zu sagen. Die Diskussion hat einen toten Punkt erreicht. Plotzlich entdeckt Hungermann, da? Bambuss heimlich nicht nur seinen eigenen, sondern auch den Kognak des Eisernen Pferdes ausgetrunken hat.
»Wir sind verloren«, sagt er.»Wir mussen bezahlen, was diese Wallstreethyanen hier von uns verlangen. Das hattest du uns nicht antun sollen, Otto! Jetzt mussen wir deine Einfuhrung ins Leben einfacher gestalten. Ohne Federbusch und nur mit einem gu?eisernen Pferd.«
Zum Gluck kommt Willy in diesem Moment herein. Er ist an Ottos Verwandlung zum Manne aus reiner Neugierde interessiert und zahlt, ohne mit der Wimper zu zucken, die Differenz. Dann bestellt er Schnaps fur alle und erklart, da? er heute funfundzwanzig Millionen an seinen Aktien verdient habe. Einen Teil davon will er versaufen.»Fort mit dir nun, Knabe«, sagt er zu Otto.
»Und komm als Mann wieder!«Otto verschwindet.
Ich setze mich zu Fritzi. Die alten Dinge sind langst vergessen; sie betrachtet uns nicht mehr als halbe Kinder, seit ihr Sohn im Kriege gefallen ist. Er war Untero?zier und erhielt seinen Schu? drei Tage vor dem Waffenstillstand. Wir unterhalten uns uber die Zeiten vor dem Kriege. Sie erzahlt mir, da? ihr Sohn in Leipzig Musik studiert habe. Er wollte Oboeblaser werden. Neben uns dost die gewaltige Puffmutter, eine Dogge auf den Knien. Plotzlich ertont von oben ein Schrei. Getose folgt, und dann erscheint Otto in Unterhosen, verfolgt von dem wutenden Eisernen Pferd, das mit einer blechernen Waschschale auf ihn einschlagt. Otto hat einen schonen Stil im Laufen, er rast durch die Tur nach drau?en, und wir halten zu dritt das Eiserne Pferd an.»Diese verdammte halbe Portion!«keucht es.»Sticht mit einem Messer auf mich los!«
»Es war kein Messer«, sage ich ahnungsvoll.
»Was?«Das Eiserne Pferd dreht sich um und deutet auf einen roten Fleck uber der schwarzen Wasche.
»Es blutet ja nicht. Es war nur eine Nagelfeile.«
»Eine Nagelfeile?«Das Pferd starrt mich an.»Das habe ich noch nicht gekannt! Und dieser Jammerprinz sticht mich, statt ich ihn! Habe ich meine hohen Stiefel umsonst? Habe ich meine Peitschensammlung fur nichts? Ich will anstandig sein und ihm als Zugabe eine leichte Probe von Sadismus geben, ziehe ihm nur so spielerisch einen kleinen Schlag uber seine mageren Keulen, und die heimtuckische Brillenschlange geht mit einer Taschenfeile auf mich los! Ein Sadist! Brauche ich Sadisten? Ich, der Traum der Masochisten? So eine Beleidigung!«
Wir beruhigen sie mit einem Doppelkummel. Dann halten wir Ausschau nach Bambuss. Er steht hinter einem Fliederbusch und befuhlt seinen Kopf.
»Komm, Otto, die Gefahr ist voruber«, ruft Hungermann.
Bambuss weigert sich. Er verlangt, da? wir ihm seine Kleider rauswerfen.»Das gibt es nicht«, erklart Hungermann.»Drei Millionen sind drei Millionen! Wir haben fur dich bezahlt.«
»Verlangt das Geld zuruck! Ich lasse mich nicht verhauen.«