Vorgesetzten zu fragen? Steh stramm, wenn ich mit dir rede!«
Knopf starrt sein Haus an, von dem die Stimme kommt. Alle Fenster darin sind dunkel und geschlossen. Auch die Tur ist zu. Das Rohr auf der Mauer sieht er nicht.»Steh stramm, du p?ichtvergessener Lump von einem Feldwebel!«sage ich.»Habe ich dir dafur Litzen am Kragen und einen langen Sabel verliehen, damit du Steine beschmutzest, die fur den Gottesacker bestimmt sind?«Und scharfer, zischend, im Kommandoton:»Knochen zusammen, wurdeloser Grabstein-Nasser!«
Das Kommando wirkt. Knopf steht stramm, die Hande an der Hosennaht. Der Mond spiegelt sich in seinen weit aufgerissenen Augen.»Knopf«, sage ich mit Gespensterstimme.»Du wirst zum Soldaten zweiter Klasse degradiert, wenn ich dich noch einmal erwische! Du Schand?eck auf der Ehre des deutschen Soldaten und des Vereins aktiver Feldwebel a. D.«
Knopf horcht, den Kopf etwas seitlich hochgereckt, wie ein mondsuchtiger Hund.»Der Kaiser?«?ustert er.
»Knopfe deine Hose zu und verschwinde!«?ustere ich hohl zuruck.»Und merke dir: Riskiere deine Sauerei noch einmal, und du wirst degradiert und kastriert! Kastriert auch! Und nun fort, du liederlicher Zivilist, marsch- marsch!«
Knopf stolpert benommen auf seine Haustur los. Gleich darauf bricht das Liebespaar wie zwei aufgescheuchte Rehe aus dem Garten und saust auf die Stra?e hinaus. Das hatte ich naturlich nicht gewollt.
XIV
Der Dichterklub ist bei Eduard versammelt. Der Aus?ug zum Bordell ist beschlossen. Otto Bambuss erhofft davon eine Durchblutung seiner Lyrik; Hans Hungermann will sich Anregungen holen fur seinen»Casanova«und einen Zyklus in freien Rhythmen:»Damon Weib«, und selbst Matthias Grund, der Dichter des Buches vom Tode, glaubt fur das letzte Delirium eines Paranoikers ein paar ?otte Details erhaschen zu konnen.»Warum kommst du nicht mit, Eduard?«frage ich.
»Kein Bedurfnis«, erklart er uberlegen.»Habe alles, was ich brauche.«
»So? Hast du?«Ich wei?, was er vorspiegeln will, und ich wei? auch, da? er lugt.
»Er schlaft mit allen Zimmermadchen seines Hotels«, erklart Hans Hungermann.»Wenn sie sich weigern, entla?t er sie. Er ist ein wahrhafter Volksfreund.«
»Zimmermadchen! Das wurdest
»Mit Gasten auch nicht?«
»Gaste.«Eduard richtet die Augen zum Himmel.»Da kann man sich naturlich oft nicht helfen. Die Herzogin von Bell-Armin zum Beispiel -«
»Was zum Beispiel?«frage ich, als er schweigt.
Eduard ziert sich.»Ein Kavalier ist diskret.«
Hungermann bekommt einen Hustenanfall.»Schone Diskretion! Wie alt war sie? Achtzig?«
Eduard lachelt verachtlich – aber im nachsten Moment fallt das Lacheln von ihm ab wie eine Maske, deren Knoten gerissen ist; Valentin Busch ist eingetreten. Er ist zwar kein literarischer Mann, aber er hat trotzdem beschlossen, mitzumachen. Er will dabeisein, wenn Otto Bambuss seine Jungfernschaft verliert.»Wie geht es, Eduard?«fragt er.»Schon, da? du noch am Leben bist, was? Das mit der Herzogin hattest du sonst nicht genie?en konnen.«
»Woher wei?t du, da? es wahr ist?«frage ich vollig uberrascht.
»Habe es nur drau?en im Gang gehort. Ihr redet ziemlich laut. Habt wohl schon allerlei getrunken. Immerhin, ich gonne Eduard die Herzogin von Herzen. Freue mich, da? ich es war, der ihn dafur retten konnte.«
»Es war lange vor dem Kriege«, erklart Eduard eilig. Er wittert einen neuen Anschlag auf seinen Weinkeller.
»Gut, gut«, erwidert Valentin nachgiebig.»Nach dem Kriege wirst du auch schon deinen Mann gestanden und Schones erlebt haben.«
»In diesen Zeiten?«
»Gerade in diesen Zeiten! Wenn der Mensch verzweifelt ist, ist er leichter dem Abenteuer zuganglich. Und gerade Herzoginnen, Prinzessinnen und Gra?nnen sind in diesen Jahren sehr verzweifelt. In?ation, Republik, keine kaiserliche Armee mehr, das kann ein Aristokratenherz schon brechen! Wie ist es mit einer guten Flasche, Eduard?«
»Ich habe jetzt keine Zeit«, erwidert Eduard geistesgegenwartig.»Tut mir leid, Valentin, aber heute geht es nicht. Wir machen mit dem Klub einen Aus?ug.«
»Gehst du denn mit?«frage ich.
»Naturlich! Als Schatzmeister! Mu? ich doch! Dachte vorhin nicht daran! P?icht ist P?icht.«
Ich lache. Valentin zwinkert mir zu und sagt nicht, da? auch er mitkommt. Eduard lachelt, weil er glaubt, eine Flasche gespart zu haben. Alles ist damit in schonster Harmonie.
Wir brechen auf. Es ist ein herrlicher Abend. Wir gehen zur Bahnstra?e 12. Die Stadt hat zwei Puffs, aber das an der Bahnstra?e ist das elegantere. Es liegt au?erhalb der Stadt und ist ein kleines Haus, das von Pappeln umgeben ist. Ich kenne es gut; ich habe dort einen Teil meiner Jugend verbracht, ohne zu wissen, was dort los war. An den schulfreien Nachmittagen p?egten wir in den Bachen und Teichen vor der Stadt Molche und Fische zu fangen und auf den Wiesen Schmetterlinge und Kafer. An einem besonders hei?en Tage gerieten wir auf der Suche nach einem Gasthaus, um Limonade zu trinken, in die Bahnstra?e 12. Die gro?e Gaststube im Parterre sah aus wie andere Gaststuben auch. Sie war kuhl, und als wir nach Selterswasser fragten, bekamen wir es vorgesetzt. Nach einer Weile kamen ein paar Frauen in Morgenrocken und blumigen Kleidern dazu. Sie fragten uns, was wir machten und in welcher Schulklasse wir waren. Wir bezahlten unsere Selters und kamen am nachsten hei?en Tage wieder, diesmal mit unseren Buchern, die wir mitgebracht hatten, um im Freien am Bach unsere Aufgaben zu lernen. Die freundlichen Frauen waren wieder da und interessierten sich mutterlich fur uns. Wir fanden es kuhl und behaglich, und da nachmittags niemand au?er uns kam, blieben wir sitzen und begannen unsere Schularbeiten zu machen. Die Frauen sahen uns uber die Schultern und halfen uns, als waren sie unsere Lehrer. Sie achteten darauf, da? wir unsere schriftlichen Arbeiten machten, sie kontrollierten unsere Zensuren, sie horten uns ab, was wir auswendig lernen mu?ten, und gaben uns Schokolade, wenn wir gut waren, oder gelegentlich auch eine mittlere Ohrfeige, wenn wir faul waren. Wir dachten uns nichts dabei; wir waren noch in dem glucklichen Alter, wo Frauen einem nichts bedeuten. Nach kurzer Zeit nahmen die nach Veilchen und Rosen duftenden Damen Mutter- und Erzieherstellen bei uns ein; sie waren voll bei der Sache, und wenn wir nur in der Tur erschienen, kam es schon vor, da? ein paar Gottinnen in Seide und Lackschuhen uns aufgeregt fragten:»Was war mit der Klassenarbeit in Geographie? Gut oder schlecht?«Meine Mutter lag damals schon sehr viel im Krankenhaus, und so geschah es, da? ich einen Teil meiner Erziehung im Puff von Werdenbruck erhielt, und ich kann nur sagen, da? sie strenger war, als wenn ich sie zu Hause gehabt hatte. Wir kamen fur zwei Sommer, dann begannen wir zu wandern und hatten weniger Zeit, und meine Familie zog in einen anderen Teil der Stadt. Ich bin dann noch einmal im Kriege in der Bahnstra?e gewesen. Das war am Tage, bevor wir ins Feld mu?ten. Wir waren knapp achtzehn Jahre alt, einige noch unter achtzehn, und die meisten von uns hatten noch nie mit einer Frau etwas gehabt. Wir wollten aber nicht erschossen werden, ohne etwas davon zu kennen, und deshalb gingen wir zu funft in die Bahnstra?e, die wir ja noch von fruher kannten. Es war gro?er Betrieb, und wir bekamen unseren Schnaps und unser Bier. Nachdem wir uns genugend Mut angetrunken hatten, wollten wir unser Heil versuchen. Willy, der frechste von uns, war der erste. Er hielt Fritzi, die verfuhrerischste von allen anwesenden Damen, an.»Schatz, wie ware es denn?«
»Klar«, erwiderte Fritzi durch den Larm und Rauch, ohne ihn richtig anzusehen.»Hast du Geld?«
»Mehr als genug.«Willi zeigte seine Lohnung und das Geld vor, das ihm seine Mutter gegeben hatte, damit er dafur eine Messe fur eine gluckliche Rettung aus dem Kriege lesen lassen sollte.
»Na, also! Hoch das Vaterland!«sagte Fritzi ziemlich geistesabwesend und sah in die Richtung des Bierausschanks.»Komm nach oben!«
Willy stand auf und legte seine Mutze ab. Fritzi stutzte und starrte auf sein brandrotes Haar. Es war von