»Nein? Gut, ein Tag ist vielleicht eine zu kurze Zeit. Was wurdest du tun, wenn du wu?test, da? du in einer Woche dahin warest?«

»Immer noch keine Ahnung.«

»Irgend was mu?test du doch tun! Wie ware es, wenn du einen Monat Zeit hattest?«

»Ich wurde wahrscheinlich so weiterleben wie jetzt«, sagt Georg.»Ich hatte sonst den ganzen Monat durch das elende Gefuhl, mein Leben bisher falsch gelebt zu haben.«

»Du hattest einen Monat Zeit, es zu korrigieren.«

Georg schuttelt den Kopf.»Ich hatte einen Monat Zeit, es zu bereuen.«

»Du konntest unser Lager verkaufen an Hollmann und Klotz, nach Berlin fahren und einen Monat mit Schauspielern, Kunstlern und eleganten Huren ein atemberaubendes Leben fuhren.«

»Der Zaster wurde nicht fur acht Tage reichen. Und die Damen wurden nur Barmadchen sein. Au?erdem lese ich lieber daruber. Phantasie enttauscht nie. Aber wie ist es mit dir? Was wurdest du machen, wenn du wu?test, da? du in vier Wochen sterben wurdest?«

»Ich?«sage ich betroffen.

»Ja, du.«

Ich blicke in die Runde. Da ist der Garten, grun und hei?, in allen Farben des Hochsommers, da segeln die Schwalben, da ist das endlose Blau des Himmels, und oben aus seinem Fenster glotzt der alte Knopf, der gerade aus seinem Rausch erwacht ist, in Hosentragern und einem karierten Hemd auf uns herab.»Ich mu? daruber nachdenken«, sage ich.»Sofort kann ich es nicht sagen. Es ist zuviel. Ich habe jetzt nur das Gefuhl, da? ich explodieren wurde, wenn ich es so wu?te, da? es mir als genug erschiene.«

»Denke nicht zu stark nach; sonst mussen wir dich zu Wernicke bringen. Aber nicht zum Orgelspielen.«

»Das ist es«, sage ich.»Wahrhaftig, das ist es! Wenn wir es ganz erkennen konnten, wurden wir verruckt.«

»Noch ein Glas Bier?«fragt Frau Kroll durch das Kuchenfenster.»Es ist auch Himbeerkompott da. Frisches.«

»Gerettet!«sage ich.»Sie haben mich soeben gerettet, gnadige Frau. Ich war wie ein Pfeil auf dem Wege zur Sonne und zu Wernicke. Gott sei Dank, alles ist noch da! Nichts ist verbrannt! Das su?e Leben spielt noch mit Schmetterlingen und Fliegen um uns herum, es ist nicht in Asche zerstaubt, es ist da, es hat noch alle seine Gesetze, auch die, die wir ihm angelegt haben wie einem Vollblut ein Geschirr! Trotzdem, kein Himbeerkompott zu Bier, bitte! Dafur aber ein Stuck ?ie?enden Harzer Kase. Guten Morgen, Herr Knopf! Ein schoner Tag! Was halten Sie vom Leben?«

Knopf starrt mich an. Sein Gesicht ist grau, und unter seinen Augen hangen Sacke. Nach einer Weile winkt er verargert ab und schlie?t sein Fenster.»Wolltest du nicht noch was von ihm?«fragt Georg.

»Ja, aber erst heute abend.«

Wir treten bei Eduard Knobloch ein.»Sieh da«, sage ich und bleibe stehen, als ware ich gegen einen Baum gerannt.»So spielt das Leben scheinbar auch! Ich hatte es ahnen sollen!«

In der Weinabteilung sitzt Gerda an einem Tisch, auf dem ein Bukett Tigerlilien steht. Sie ist allein und hackt gerade auf ein Stuck Rehrucken ein, das fast so gro? ist wie der Tisch.»Was sagst du dazu?«frage ich Georg.»Riecht das nicht nach Verrat?«

»War etwas zu verraten?«fragt Georg zuruck.

»Nein. Aber wie ware es mit Vertrauensbruch?«

»War ein Vertrauen zu brechen?«

»La? das, Sokrates!«erwidere ich.»Siehst du nicht, da? Eduards dicke Pfoten hier im Spiele sind?«

»Das sehe ich. Aber wer hat dich verraten? Eduard oder Gerda?«

»Gerda! Wer sonst? Der Mann hat nie etwas damit zu tun.«

»Die Frau auch nicht.«

»Wer denn?«

»Du. Wer sonst?«

»Gut«, sage ich.»Du hast leicht reden. Du wirst nicht betrogen. Du betrugst selbst.«

Georg nickt selbstgefallig.»Liebe ist eine Sache des Gefuhls«, doziert er.»Keine der Moral. Gefuhl aber kennt keinen Verrat. Es nimmt zu, schwindet oder wechselt – wo ist da Verrat? Es ist kein Kontrakt. Hast du Gerdas Ohren nicht mit deinem Schmerz um Erna vollgeheult?«

»Nur im Anfang. Sie war ja dabei, als der Krach in der Roten Muhle passierte.«

»Dann jammere jetzt nicht. Verzichte oder handle.«

Ein Tisch neben uns wird frei. Wir setzen uns. Der Kellner Freidank raumt ab.»Wo ist Herr Knobloch?«frage ich.

Freidank sieht sich um.»Ich wei? nicht – er war die ganze Zeit an dem Tisch mit der Dame druben.«

»Einfach, was?«sage ich zu Georg.»Soweit waren wir. Ich bin ein naturliches Opfer der In?ation. Schon wieder. Erst Erna, jetzt Gerda. Bin ich ein geborener Hahnrei? Dir passiert so was nicht.«

»Kampfe!«erwidert Georg.»Noch ist nichts verloren. Geh zu Gerda hinuber!«

»Womit soll ich kampfen? Mit Grabsteinen? Eduard gibt ihr Rehrucken und widmet ihr Gedichte. Bei den Gedichten kennt sie den Unterschied in der Qualitat nicht – beim Essen leider. Und ich Esel habe mir das selbst zuzuschreiben! Ich habe sie hierhergebracht und ihren Appetit geweckt. Buchstablich!«

»Dann verzichte«, sagt Georg.»Wozu kampfen? Um Gefuhle kann man sowieso nicht kampfen.«

»Nein? Weshalb ratst du mir dann vor einer Minute, ich solle es tun?«

»Weil heute Dienstag ist. Da kommt Eduard – in seinem Sonntagsgehrock und mit einer Rosenknospe im Knop?och. Du bist erledigt.«

Eduard stutzt, als er uns sieht. Er schielt zu Gerda hinuber und begru?t uns dann mit der Herablassung des Siegers.

»Herr Knobloch«, sagt Georg.»Ist Treue das Mark der Ehre, wie unser geliebter Feldmarschall es verkundet hat, oder nicht?«

»Es kommt darauf an«, erwidert Eduard vorsichtig.»Heute gibt es Konigsberger Klops mit Tunke und Kartoffeln. Ein gutes Essen.«

»Darf der Soldat dem Kameraden in den Rucken fallen?«fragt Georg weiter.»Der Bruder dem Bruder? Der Poet dem Poeten?«

»Poeten greifen sich dauernd an. Sie leben davon.«

»Sie leben vom offenen Kampf; nicht vom Dolchsto? in den Magen«, erklare ich.

Eduard schmunzelt breit.»Der Sieg dem Sieger, mein lieber Ludwig, catch as catch can. Jammere ich, wenn ihr mit E?marken kommt, die keine Nu? mehr wert sind?«

»Ja«, sage ich,»und wie!«

Eduard wird in diesem Augenblick beiseite geschoben.»Kinder, da seid ihr ja«, sagt Gerda herzlich.»La?t uns zusammen essen! Ich habe gehofft, ihr wurdet kommen!«

»Du sitzest in der Weinabteilung«, erwidere ich giftig.»Wir trinken Bier.«

»Ich trinke auch lieber Bier. Ich setze mich zu euch.«

»Erlaubst du, Eduard?«frage ich. »Catch as catch can?«

»Was hat Eduard da zu erlauben?«fragt Gerda.»Er freut sich doch, wenn ich mit seinen Freunden esse. Nicht wahr, Eduard?«

Die Schlange nennt ihn bereits beim Vornamen. Eduard stottert.»Naturlich, nichts dagegen, selbstverstandlich, eine Freude -«

Er bietet ein schones Bild, rot, wutend und verbissen lachelnd.»Eine hubsche Rosenknospe tragst du da«, sage ich.»Bist du auf Freiersfu?en? Oder ist das einfache Freude an der Natur?«

»Eduard hat ein sehr feines Gefuhl fur Schonheit«, erwidert Gerda.

»Das hat er«, bestatige ich.»Hattest du das gewohnliche Mittagessen? Lieblose Konigsberger Klopse in irgendeiner geschmacklosen deutschen Tunke?«

Gerda lacht.»Eduard, zeig, da? du ein Kavalier bist! La? mich deine beiden Freunde zum Essen einladen! Sie behaupten dauernd, du warest entsetzlich geizig. La? uns ihnen das Gegenteil beweisen. Wir haben -«

»Konigsberger Klops«, unterbricht Eduard sie.»Gut, laden wir sie zum Klops ein. Ich werde fur einen extra guten sorgen.«

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