hat.

»Man tut, was man kann«, erklart er mit tobender Bescheidenheit.

»Sie sollen sich gro?artig entwickelt haben. Ohne Hilfsmittel. Rein intuitiv. Stimmt das?«

Oskar, der fruher mit rohen Zwiebelscheiben gearbeitet hat, bevor er die Trauerhauser betrat, behauptet jetzt, die Tranen frei wie ein gro?er Schauspieler erzeugen zu konnen. Das ist naturlich ein riesiger Fortschritt. Er braucht so nicht weinend das Haus zu betreten, wie bei der Zwiebeltechnik, wo dann, wenn das Geschaft langer dauert, die Tranen versiegen, weil er ja die Zwiebel nicht anwenden kann, solange die Trauernden dabeisitzen – im Gegenteil, er kann jetzt trockenen Auges hineingehen und wahrend des Gespraches uber den Abgeschiedenen in naturliche Tranen ausbrechen, was selbstverstandlich von ganz anderer Wirkung ist. Es ist ein Unterschied wie zwischen echten und kunstlichen Perlen. Oskar behauptet, so uberzeugend zu sein, da? er sogar oft von den Hinterbliebenen getrostet und gelabt wird.

Georg Kroll kommt aus seiner Bude. Eine Fehlfarben-Havanna dampft unter seiner Nase, und er ist die Zufriedenheit selbst. Geradewegs geht er aufs Ziel los.

»Herr Fuchs«, sagt er.»Ist es wahr, da? Sie auf Befehl weinen konnen, oder ist das eine niedertrachtige Schreckpropaganda unserer Konkurrenz?«

Statt einer Antwort starrt Oskar ihn an.»Nun?«fragt Georg.»Was ist? Fuhlen Sie sich nicht gut?«

»Einen Augenblick! Ich mu? erst in Stimmung kommen.«Oskar schlie?t die Augen. Als er die Lider wieder offnet, wirken sie schon etwas wa?rig. Er starrt Georg weiter an, und nach einer Weile stehen ihm tatsachlich dicke Tranen in den blauen Augen. Noch eine Minute, und sie rollen ihm uber die Wangen. Oskar zieht ein Taschentuch heraus und tupft sie auf.»Wie war das?«fragt er und zieht die Uhr.»Knappe zwei Minuten. Manchmal schaffe ich es in einer, wenn eine Leiche im Hause ist.«

»Gro?artig.«

Georg schenkt von dem Kundenkognak ein.»Sie sollten Schauspieler werden, Herr Fuchs.«

»Daran habe ich auch schon gedacht; aber es gibt zu wenige Rollen, in denen mannliche Tranen verlangt werden. Othello naturlich, aber sonst -«

»Wie machen Sie es? Irgendein Trick?«

»Imagination«, erwidert Fuchs schlicht.»Starke, bildhafte Vorstellungskraft.«

»Was haben Sie sich denn jetzt vorgestellt?«

Oskar trinkt sein Glas aus.»Offen gestanden, Sie, Herr Kroll. Mit zersplitterten Beinen und Armen und einem Schwarm Ratten, der Ihnen langsam das Gesicht abfri?t, wahrend Sie noch leben, wegen der gebrochenen Arme die Nager aber nicht abwehren konnen. Entschuldigen Sie, aber fur eine so rasche Vorstellung brauchte ich ein sehr starkes Bild.«

Georg fahrt sich mit der Hand uber das Gesicht. Es ist noch da.»Stellen Sie sich auch ahnliche Sachen von Hollmann und Klotz vor, wenn Sie fur die arbeiten?«frage ich.

Fuchs schuttelt den Kopf.»Bei denen stelle ich mir vor, da? sie hundert Jahre alt werden und reich und gesund bleiben, bis sie an einem Herzschlag im Schlaf schmerzlos abfahren – dann stromen mir die Tranen nur so vor Wut.«

Georg zahlt ihm die Provisionen fur die letzten beiden Verratereien aus.»Ich habe neuerdings auch einen kunstlichen Schluckauf entwickelt«, sagt Oskar.»Sehr wirksam. Beschleunigt den Abschlu?. Die Leute fuhlen sich schuldig, weil sie glauben, es sei eine Folge der Teilnahme.«

»Herr Fuchs, kommen Sie zu uns!«sage ich impulsiv.»Sie gehoren in ein kunstlerisch geleitetes Unternehmen, nicht zu kahlen Geldschindern.«

Tranen-Oskar lachelt gutig, schuttelt das Haupt und verabschiedet sich.»Ich kann nun mal nicht. Ohne etwas Verrat wurde ich ja nichts sein als ein ?ennender Waschlappen. Der Verrat balanciert mich. Verstehen Sie?«

»Wir verstehen«, sagt Georg.»Von Bedauern zerrissen, aber wir respektieren Personlichkeit uber alles.«

Ich notiere die Adressen fur die Hugelsteine auf ein Blatt und ubergebe sie Heinrich Kroll, der im Hof seine Fahrradreifen aufpumpt. Er sieht die Zettel verachtlich an. Fur ihn als alten Nibelungen ist Oskar ein gemeiner Lump, obschon er von ihm, ebenfalls als alter Nibelunge, nicht ungern pro?tiert.»Fruher hatten wir so etwas nicht notig«, erklart er.»Gut, da? mein Vater das nicht mehr erlebt hat.«

»Ihr Vater ware nach allem, was ich uber diesen Pionier des Grabsteinwesens gehort habe, au?er sich vor Freude gewesen, seinen Konkurrenten einen solchen Streich zu spielen«, erwidere ich.»Er war eine Kampfernatur – nicht wie Sie auf dem Felde der Ehre, sondern in den Schutzengraben rucksichtslosen Geschaftslebens. Kriegen wir ubrigens bald die Restzahlung fur das allseitig polierte Kreuzdenkmal, das Sie im April verkauft haben? Die zweihunderttausend, die noch fehlen? Wissen Sie, was die jetzt wert sind? Nicht einmal einen Sockel.«

Heinrich brummt etwas und steckt den Zettel ein. Ich gehe zuruck, zufrieden, ihn etwas gedampft zu haben. Vor dem Hause steht das Stuck Dachrohre, das beim letzten Regen abgebrochen ist. Die Handwerker sind gerade fertig; sie haben das abgebrochene Stuck erneuert.»Wie ist es mit der alten Rohre?«fragt der Meister.»Die konnen Sie doch nicht mehr brauchen. Sollen wir sie mitnehmen?«

»Klar«, sagt Georg.

Die Rohre steht an den Obelisken gelehnt, Knopfs Freiluft-Pissoir. Sie ist einige Meter lang und am Ende rechtwinklig gebogen. Ich habe plotzlich einen Einfall.»Lassen Sie sie hier stehen«, sage ich.»Wir brauchen sie noch.«

»Wofur?«fragt Georg.

»Fur heute abend. Du wirst es sehen. Es wird eine interessante Vorstellung werden.«

Heinrich Kroll radelt davon. Georg und ich stehen vor der Tur und trinken ein Glas Bier, das Frau Kroll uns durch das Kuchenfenster herausreicht. Es ist sehr hei?. Der Tischler Wilke schleicht vorbei. Er tragt ein paar Flaschen und wird in einem mit Hobelspanen ausgepolsterten Sarg seinen Mittagsschlaf halten. Schmetterlinge spielen um die Kreuzdenkmaler. Die bunte Katze der Familie Knopf ist trachtig.»Wie steht der Dollar?«frage ich.»Hast du telefoniert?«

»Funfzehntausend Mark hoher als heute morgen. Wenn es so weitergeht, konnen wir Riesenfelds Wechsel mit dem Wert eines kleinen Hugelsteins bezahlen.«

»Wunderbar. Schade, da? wir nichts davon behalten haben. Nimmt einem etwas vom notigen Enthusiasmus, was?«

Georg lacht.»Auch vom Ernst des Geschaftes. Abgesehen von Heinrich naturlich. Was machst du heute abend?«

»Ich gehe nach oben; zu Wernicke. Da wei? man wenigstens nichts vom Ernst und von der Lacherlichkeit des Geschaftslebens. Dort oben geht es nur ums Dasein. Immer um das ganze Sein, um die volle Existenz, um das Leben und nichts als das Leben. Darunter gibt es nichts. Wenn man langere Zeit da lebte, wurde einem unser lappisches Geschacher um Kleinigkeiten verruckt vorkommen.«

»Bravo«, erwidert Georg.»Fur diesen Unsinn verdienst du ein zweites Glas eiskaltes Bier.«Er nimmt unsere Glaser und reicht sie ins Kuchenfenster hinein.»Gnadige Frau, bitte noch einmal dasselbe.«

Frau Kroll streckt ihren grauen Kopf heraus.»Wollt ihr einen frischen Rollmops und eine Gurke dazu?«

»Unbedingt! Mit einem Stuck Brot. Das kleine Dejeuner fur jede Art von Weltschmerz«, erwidert Georg und reicht mir mein Glas.»Hast du welchen?«

»Ein anstandiger Mensch in meinem Alter hat immer Weltschmerz«, erwidere ich fest.»Es ist das Recht der Jugend.«

»Ich dachte, man hatte dir die Jugend beim Militar gestohlen?«

»Stimmt. Ich bin immer noch auf der Suche nach ihr, ?nde sie aber nicht. Deshalb habe ich einen doppelten Weltschmerz. So wie ein amputierter Fu? doppelt schmerzt.«

Das Bier ist wunderbar kalt. Die Sonne brennt uns auf die Schadel, und auf einmal ist, trotz allen Weltschmerzes, wieder einer der Augenblicke da, wo man dem Dasein sehr dicht in die grungoldenen Augen starrt. Ich trinke mein Bier andachtig aus. Alle meine Adern scheinen plotzlich ein Sonnenbad genommen zu haben.»Wir vergessen immer wieder, da? wir nur kurze Zeit diesen Planeten bewohnen«, sage ich.»Deshalb haben wir einen vollig irrigen Weltkomplex. Den von Menschen, die ewig leben. Hast du das schon gemerkt?«

»Und wie! Es ist der Kardinalfehler der Menschheit. An sich ganz vernunftige Leute lassen grauenhaften Verwandten auf diese Weise Millionen von Dollars zukommen, anstatt sie selbst zu verbrauchen.«

»Gut! Was wurdest du tun, wenn du wu?test, da? du morgen sterben mu?test?«

»Keine Ahnung.«

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