»Das auch. Sonst ware ich ja kein Kavalier. Sie sollten stolz sein, bei einer solchen Dame – haben Sie denn kein Herz in der Brust? Was kann ich machen, wenn meine Natur sich in mir aufbaumt? Wozu sind Sie beleidigt? Sie sind doch nicht mit ihr verheiratet!«
Ich sehe, wie Karl Brill zuckt, als hatte man ihn angeschossen. Er lebt in wilder Ehe mit Frau Beckmann, die eigentlich seine Haushalterin ist. Warum er sie nicht heiratet, wei? niemand – hochstens aus derselben Hartnackigkeit seines Charakters heraus, mit der er auch im Winter ein Loch ins Eis haut, um schwimmen zu konnen. Trotzdem ist dies seine schwache Stelle.
»Ich«, stottert der Dicke,»wurde ein solches Juwel auf Handen tragen und sie in Samt und Seide hullen – Seide, rote Seide -«, er schluchzt fast und malt uppige Formen in die Luft. Die Flasche neben ihm ist leer. Es ist ein tragischer Fall von Liebe auf den ersten Blick. Ich spiele weiter. Die Vorstellung, da? der Dicke Frau Beckmann auf Handen tragen konnte, ist zuviel fur mich.
»Raus!«erklart Karl Brill.»Es ist genug. Ich hasse es, Gaste rauszuschmei?en, aber -«
Ein furchtbarer Schrei ertont aus dem Hintergrund. Wir springen auf. Ein kleiner Mann tanzt dort herum. Karl sturzt auf ihn zu, greift nach einer Schere und stellt eine Maschine ab. Der kleine Mann wird ohnmachtig.
»Verdammt! Wer kann auch wissen, da? er im Suff an der Schnellbesohlmaschine herumspielt!«?ucht Karl.
Wir besichtigen die Hand. Ein paar Faden hangen heraus. Es hat ihn zwischen Zeige?nger und Daumen im weichen Fleisch erwischt – ein Gluck. Karl gie?t Schnaps auf die Wunde, und der kleine Mann kommt zu sich.
»Amputiert?«fragt er voll Grauen, als er seine Hand in Karls Pfoten sieht.
»Unsinn, der Arm ist noch dran.«
Der Mann seufzt erleichtert, als Karl ihm den Arm vor seinen Augen schuttelt.»Blutvergiftung, was?«fragt er.
»Nein. Aber die Maschine wird rostig von deinem Blut. Wir werden deine Flosse mit Alkohol waschen, Jod draufschmieren und sie verbinden.«
»Jod? Tut das nicht weh?«
»Es bei?t eine Sekunde. So, als ob deine Hand einen sehr scharfen Schnaps trinkt.«
Der kleine Mann rei?t seine Hand weg.»Den Schnaps trinke ich lieber selbst.«
Er holt ein nicht zu sauberes Taschentuch hervor, wickelt es um die Pfote und greift nach der Flasche. Karl grinst. Dann sieht er umher und wird unruhig.»Wo ist der Dicke?«
Keiner wei? es.»Vielleicht hat er sich dunne gemacht«, sagt jemand und bekommt einen Schluckauf vor Lachen uber seinen Witz.
Die Tur offnet sich. Der Dicke erscheint; waagerecht vornubergebeugt stolpert er herein, hinter ihm, im lachsfarbenen Kimono, Frau Beckmann. Sie hat ihm die Arme nach hinten hochgedreht und sto?t ihn in die Werkstatt. Mit einem kraftigen Schubs la?t sie los. Der Dicke fallt vornuber in die Abteilung fur Damenschuhe. Frau Beckmann macht eine Bewegung, als staube sie sich die Hande ab, und geht hinaus. Karl Brill tut einen riesigen Satz. Er zerrt den Dicken hoch.»Meine Arme!«wimmert der verschmahte Liebhaber.»Sie hat sie mir ausgedreht! Und mein Bauch! Oh, mein Bauch! Was fur ein Schlag!«
Er braucht uns nichts zu erklaren. Frau Beckmann ist ein ebenburtiger Gegner fur Karl Brill, den Winterschwimmer und erstklassigen Turner, und hat ihm bereits zweimal einen Arm gebrochen, ganz zu schweigen von dem, was sie mit einer Vase oder einem Schureisen anrichten kann. Es ist noch kein halbes Jahr her, da? zwei Einbrecher von ihr nachts in der Werkstatt uberrascht wurden. Beide lagen hinterher wochenlang im Krankenhaus, und einer hat sich nie von einem Hieb mit einem eisernen Fu?modell uber den Schadel erholt, bei dem er gleichzeitig ein Ohr verlor. Er redet wirr seitdem.
Karl schleppt den Dicken ans Licht. Er ist wei? vor Wut, aber er kann nichts mehr tun – der Dicke ist fertig. Es ist, als wolle er einen schwer Typhuskranken verprugeln. Der Dicke mu? einen furchterlichen Schlag in die Organe erhalten haben, mit denen er sundigen wollte. Er ist unfahig zu gehen. Karl kann ihn nicht einmal rauswerfen. Wir legen ihn in den Hintergrund auf das Abfalleder.
»Das Schone bei Karl ist, da? es immer so gemutlich ist«, sagt jemand, der versucht, das Klavier mit Bier zu tranken.
Ich gehe durch die Gro?e Stra?e nach Hause. Mein Kopf schwimmt; ich habe zuviel getrunken, aber das wollte ich auch. Der Nebel treibt uber die vereinzelten Lichter, die noch in den Schaufenstern brennen, und webt goldene Schleier um die Laternen. Im Fenster eines Schlachterladens bluht ein Alpenrosenstock neben einem geschlachteten Ferkel, dem eine Zitrone in die blasse Schnauze geklemmt worden ist. Wurste liegen traulich im Kreise herum. Es ist ein Stimmungsbild, das Schonheit und Zweck harmonisch vereint. Ich stehe eine Zeitlang davor und wandere dann weiter.
Auf dem dunklen Hof pralle ich im Nebel gegen einen Schatten. Es ist der alte Knopf, der wieder einmal vor dem schwarzen Obelisken steht. Ich bin mit voller Wucht gegen ihn gerannt, und er taumelt und schlingt beide Arme um den Obelisken, als wolle er ihn erklettern.»Es tut mir leid, da? ich Sie gesto?en habe«, sage ich.»Aber weshalb stehen Sie auch hier? Konnen Sie Ihre Geschafte denn wirklich nicht in Ihrer Wohnung erledigen? Oder, wenn Sie schon ein Freiluftakrobat sind, warum nicht an einer Stra?enecke?«
Knopf la?t den Obelisken los.»Verdammt, jetzt ist es in die Hose gegangen«, murmelt er.
»Das schadet Ihnen nichts. Nun erledigen Sie den Rest meinetwegen schon hier.«
»Zu spat.«
Knopf stolpert zu seiner Tur hinuber. Ich gehe die Treppen hinauf und beschlie?e, Isabelle von dem Geld, das ich bei Karl Brill gewonnen habe, morgen einen Strau? Blumen zu schicken. Zwar bringt mir so etwas gewohnlich nur Ungluck, aber ich wei? nun einmal nichts anderes. Eine Zeitlang stehe ich noch am Fenster und sehe hinaus in die Nacht und beginne dann etwas beschamt und sehr leise, Worte und Satze zu ?ustern, die ich gerne einmal jemandem sagen mochte, aber fur die ich niemanden habe, au?er vielleicht Isabelle – doch die wei? ja nicht einmal, wer ich uberhaupt bin. Doch wer wei? das schon von irgend jemand?
XIII
Der Reisende Oskar Fuchs, genannt Tranen-Oskar, sitzt im Buro.»Was gibt es, Herr Fuchs?«frage ich.»Wie steht es mit der Grippe in den Dorfern?«
»Ziemlich harmlos. Die Bauern sind gut im Futter. In der Stadt ist es anders. Ich habe zwei Falle, wo Hollmann und Klotz vor dem Abschlu? stehen. Ein roter Granit, einseitig poliert, Hugelstein, zwei bossierte Sockel, ein Meter funfzig hoch, zwei Millionen zweihunderttausend Mark – ein kleiner, einszehn hoch, eine Million dreihunderttausend Eier. Gute Preise. Wenn Sie hunderttausend weniger verlangen, haben Sie sie. Meine Provision ist zwanzig Prozent.«
»Funfzehn«, erwidere ich automatisch.
»Zwanzig«, erklart Tranen-Oskar.»Funfzehn kriege ich bei Hollmann und Klotz auch. Wozu da der Verrat?«
Er lugt. Hollmann und Klotz, deren Reisender er ist, zahlen ihm zehn Prozent und Spesen. Die Spesen bekommt er ohnehin; er macht also bei uns ein Geschaft von zehn Prozent extra.
»Barzahlung?«
»Das mussen Sie selbst sehen. Die Leute sind gut situiert.«
»Herr Fuchs«, sage ich.»Warum kommen Sie nicht ganz zu uns? Wir zahlen besser als Hollmann und Klotz und konnen einen erstklassigen Reisenden brauchen.«
Fuchs zwinkert.»Es macht mir so mehr Spa?. Ich bin ein gefuhlsma?iger Mensch. Wenn ich mich uber den alten Hollmann argere, schiebe ich Ihnen einen Abschlu? zu, als Rache. Wenn ich ganz fur Sie arbeitete, wurde ich mich uber Sie argern.«
»Da ist was dran«, sage ich.
»Das meine ich. Ich wurde dann Sie an Hollmann und Klotz verraten. Reisen in Grabsteinen ist langweilig; man mu? es etwas beleben.«
»Langweilig? Fur Sie? Wo Sie doch jedesmal eine artistische Vorstellung geben?«
Fuchs lachelt wie Gaston Munch im Stadttheater, nachdem er den Karl-Heinz in»Alt-Heidelberg«gespielt