abschneiden, als ihm seinen Titel nehmen.»Nein! Nein!«?ustert er und hebt die Pfoten ins Mondlicht.

»Zieh dich anstandig an«, kommandiere ich und denke plotzlich an all das, was Isabelle mir zugerufen hat, und fuhle einen Stich im Magen, und das heulende Elend sturzt wie Hagel auf mich los.

Knopf hat gehorcht.»Nur nicht das!«krachzt er noch einmal, den Kopf weit zuruckgelegt zu den mondbeschienenen Schaferwolken hinauf.»Nicht das, Herr!«

Ich sehe ihn dastehen wie das Mittelstuck der Laokoongruppe, ringend mit den unsichtbaren Schlangen der Ehrlosigkeit und der Degradierung. Er steht so ahnlich da wie ich vor einer Stunde, fallt mir ein, wahrend mein Magen wieder zu sieden beginnt. Unerwartetes Mitleid erfa?t mich; fur Knopf und fur mich. Ich werde menschlicher.»Also gut«, ?ustere ich.»Du verdienst es nicht, aber ich will dir noch eine Chance geben. Du wirst nur zum Gefreiten degradiert, und auch das auf Probe. Wenn du bis Ende September pi?t wie ein zivilisierter Mensch, wirst du zum Untero?zier zuruckbefordert; bis Ende Oktober zum Sergeanten; Ende November zum Vizefeldwebel; zu Weihnachten dann wieder zum etatsma?igen Kompaniefeldwebel a. D., verstanden?«

»Jawohl, Herr – Herr -«Knopf sucht nach der richtigen Anrede. Ich furchte, da? er zwischen Majestat und Gott schwankt, und unterbreche ihn rechtzeitig.»Das ist mein letztes Wort, Gefreiter Knopf! Und glaube nicht, du Schwein, da? du nach Weihnachten wieder anfangen kannst! Dann ist es kalt, und du kannst deine Spuren nicht verwischen. Sie frieren fest. Stell dich nur noch einmal an den Obelisken, und du wirst einen elektrischen Schlag und eine Prostata-Entzundung bekommen, da? du krumme Beine vor Schmerz kriegst. Und nun fort mit dir, du Misthaufen mit Tressen!«

Knopf verschwindet mit ungewohnlicher Schnelle im Dunkel seiner Hausturhohle. Ich hore leises Gelachter aus dem Buro. Lisa und Georg haben die Vorstellung beobachtet.»Misthaufen mit Tressen«, kichert Lisa heiser. Ein Stuhl fallt um, es rumpelt, und die Tur zu Georgs Meditationszimmer schlie?t sich. Ich habe einmal von Riesenfeld eine Flasche hollandischen Genever geschenkt bekommen mit der Widmung: Fur sehr schwierige Stunden. Ich hole sie jetzt heraus. Auf der viereckigen Flasche prangt das Etikett: Friesscher Genever van P. Bokma, Leeuwarden. Ich offne sie und schenke mir ein gro?es Glas ein. Der Genever ist stark und wurzig und beschimpft mich nicht.

XVIII

Der Sargtischler Wilke sieht die Frau verwundert an.

»Warum nehmen Sie nicht zwei kleine?«fragt er.»Es kostet nicht so viel mehr.«Die Frau schuttelt den Kopf.

»Sie sollen zusammenliegen.«

»Aber Sie konnen sie doch in einer Grabstelle beerdigen«, sage ich.»Dann sind sie zusammen.«

»Nein, nicht richtig.«

Wilke kratzt sich den Kopf.»Was meinen Sie dazu?«fragt er mich.

Die Frau hat zwei Kinder verloren. Beide sind am gleichen Tag gestorben. Sie will fur sie nun nicht nur einen gemeinsamen Grabstein haben – sie will auch fur beide nur einen Sarg haben, eine Art Doppelsarg. Deshalb habe ich Wilke ins Buro geholt.

»Fur uns ist die Sache einfach«, sage ich.»Ein Grabstein mit zwei Inschriften kommt alle Tage vor. Es gibt sogar Familiengrabsteine mit sechs, acht Inschriften.«

Die Frau nickt.»So soll es sein! Sie sollen zusammenliegen. Sie waren immer zusammen.«

Wilke holt einen Zimmermannsbleistift aus seiner Westentasche.»Es wurde merkwurdig aussehen. Der Sarg wurde zu breit werden. Fast quadratisch; die Kinder sind ja noch sehr klein. Wie alt?«

»Viereinhalb.«

Wilke zeichnet.»Wie eine quadratische Kiste«, erklart er dann.»Wollen Sie nicht doch -«

»Nein«, unterbricht die Frau.»Sie sollen zusammenbleiben. Es sind Zwillinge.«

»Man kann auch fur Zwillinge sehr hubsche kleine Einzelsarge machen, wei? lackiert. Die Form ist gefalliger. Ein so kurzer Doppelsarg wirkt plump -«

»Das ist mir egal«, sagt die Frau storrisch.»Sie haben eine Doppelwiege gehabt und einen Doppelkinderwagen, und jetzt sollen sie auch einen Doppelsarg haben. Sie sollen beieinander bleiben.«

Wilke zeichnet wieder. Es kommt nichts anderes heraus als eine quadratische Kiste, selbst mit Ranken aus Efeu am Deckel. Bei Erwachsenen hatte er noch mehr Spielraum; aber Kinder sind zu kurz.»Ich wei? nicht einmal, ob es erlaubt ist«, versucht er als letztes.

»Warum soll es nicht erlaubt sein?«

»Es ist ungewohnlich.«

»Es ist auch ungewohnlich, da? zwei Kinder am selben Tage sterben«, sagt die Frau.

»Das ist wahr, besonders, wenn es Zwillinge sind.«Wilke ist plotzlich interessiert.»Haben sie auch dieselbe Krankheit gehabt?«

»Ja«, erwidert die Frau hart.»Dieselbe Krankheit. Geboren nach dem Kriege, als es nichts zu essen gab. Zwillinge – ich hatte nicht einmal Milch fur einen -«

Wilke beugt sich vor.»Dieselbe Krankheit!«In seinen Augen ?ackert wissenschaftliche Neugier.»Man sagt ja, da? bei Zwillingen so etwas ofter vorkommt. Astrologisch -«

»Wie ist es mit dem Sarg?«frage ich. Die Frau sieht nicht so aus, als ob sie ein langeres Gesprach uber dieses Wilke faszinierende Thema fuhren mochte.

»Ich kann es versuchen«, sagt Wilke.»Aber ich wei? nicht, ob es erlaubt ist. Wissen Sie es?«fragt er mich.

»Man kann beim Friedhofsamt anfragen.«

»Wie ist es mit den Priestern? Wie sind die Kinder getauft worden?«

Die Frau zogert.»Einer ist katholisch und einer evangelisch«, sagt sie dann.»Wir hatten das so abgemacht. Mein Mann ist katholisch; ich bin evangelisch. Da haben wir abgemacht, da? die Zwillinge geteilt wurden.«

»Also haben Sie einen katholisch und den anderen evangelisch taufen lassen?«fragt Wilke.

»Ja.«

»Am selben Tag?«

»Am selben Tag.«

Wilkes Interesse an den Merkwurdigkeiten des Daseins ist aufs neue entfacht.»In zwei verschiedenen Kirchen naturlich?«

»Naturlich«, sage ich sehr ungeduldig.»Wo sonst? Und nun -«

»Aber wie konnten Sie sie auseinanderhalten?«unterbricht Wilke mich.»Ich meine, all die Zeit? Waren es ahnliche Zwillinge?«

»Ja«, sagt die Frau.»Wie ein Ei dem andern.«

»Das eben meine ich! Wie kann man das auseinanderhalten, besonders, wenn sie so klein sind? Konnten Sie das? Gerade in den ersten Tagen, wenn alles durcheinandergeht?«

Die Frau schweigt.

»Das ist doch jetzt egal«, erklare ich und mache Wilke ein Zeichen, aufzuhoren.

Doch Wilke hat die unsentimentale Neugier des Wissenschaftlers.»Das ist gar nicht egal«, erwidert er.»Sie mussen ja beerdigt werden! Der eine katholisch, der andere evangelisch. Wissen Sie, welcher katholisch ist?«

Die Frau schweigt. Wilke erhitzt sich an seinem Thema.

»Glauben Sie, da? Sie die Beerdigung zur gleichen Zeit machen durfen? Wenn Sie einen Doppelsarg haben, mussen Sie das ja. Dann mu?ten ja auch zwei Pfarrer am Grabe sein, ein katholischer und ein evangelischer! Das machen die sicher nicht! Die sind eifersuchtiger auf den lieben Gott als wir auf unsere Frauen.«

»Wilke, das geht Sie doch alles nichts an«, sage ich und gebe ihm unter dem Tisch einen Fu?tritt.

»Und die Zwillinge«, ruft Wilke, ohne mich zu beachten.

»Der katholische wurde dann ja gleichzeitig evangelisch beerdigt werden und der evangelische katholisch! Stellen Sie sich das Durcheinander vor! Nein, Sie werden mit dem Doppelsarg nicht durchkommen! Zwei Einzelsarge, das wird es sein mussen! Dann hat jede Religion ihren. Die Geistlichen konnen einander dann den Rucken drehen und sie so einsegnen.«

Wilke stellt sich offenbar vor, da? eine Religion Gift fur die andere sei.»Haben Sie schon mit den Priestern

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