gegen Gemuseabfall, alte Pelze gegen umgearbeitete Militarjacken und den Nachla? Verstorbener gegen Lebensmittel. Georg hatte vor vier Wochen sogar eine Chance, einen fast neuen Smoking beim Verkauf einer abgebrochenen Marmorsaule mit Fundament einzuhandeln. Er hat nur schweren Herzens darauf verzichtet, da er aberglaubisch ist und glaubt, in den Sachen der Toten bleibe lange Zeit noch etwas von den Toten zuruck. Die Witwe erklarte ihm, sie habe den Smoking chemisch reinigen lassen; er sei damit also eigentlich vollkommen neu, und man hatte annehmen konnen, da? die Chlordampfe den Verstorbenen aus jeder Falte vertrieben hatten. Georg schwankte sehr, denn der Smoking pa?te ihm; er verzichtete dann aber trotzdem.
Ich drucke die Klinke des Ladens nieder. Die Tur ist verschlossen. Naturlich, denke ich und starre hungrig durch das Fenster auf die Auslagen. Mude gehe ich schlie?lich nach Hause. Auf dem Hof stehen sechs kleine Sandsteinplatten. Sie sind noch jungfraulich, kein Name ist auf sie eingehauen. Kurt Bach hat sie angefertigt. Es ist zwar eine Schandung seines Talentes, da es gewohnliche Steinmetzarbeit ist, aber wir haben im Augenblick keine Auftrage fur sterbende Lowen und Kriegerdenkmaler – deshalb arbeitet Kurt auf Vorrat sehr kleine, billige Platten, die wir immer brauchen, zumal jetzt bis im Herbst, wo es, wie im Fruhjahr, wieder ein gro?es Sterben geben wird. Grippe, Hunger, schlechte Kost und mangelnde Widerstandskraft werden dafur sorgen.
Gedampft summen die Nahmaschinen hinter der Haustur der Familie Knopf. Durch das Glasfenster der Tur dringt das Licht vom Wohnzimmer, in dem die Trauerkleider genaht werden. Das Fenster des alten Knopf ist dunkel. Wahrscheinlich ist er schon tot. Wir sollten ihm den schwarzen Obelisken aufs Grab setzen, denke ich, diesen ?nsteren Stein?nger, der aus der Erde in den Himmel zeigt. Fur Knopf war er eine zweite Heimat, und verkaufen haben ja bereits zwei Generationen von Krolls den dunklen Anklager nicht konnen.
Ich gehe ins Buro.»Komm herein!«ruft Georg, der mich gehort hat, aus seinem Zimmer.
Ich offne die Tur und staune. Georg sitzt im Lehnstuhl, wie ublich, die Zeitschriften mit Bildern vor sich. Der wochentliche Lesezirkel der eleganten Welt, dem er angehort, hat ihm gerade neues Futter gebracht. Das aber ist nicht alles – er sitzt da im Smoking, mit einem gestarkten Hemd und sogar einer wei?en Weste, ein Bild wie aus der Zeitschrift: Der Junggeselle.»Also doch!«sage ich.»Du hast die Mahnung deiner Instinkte der Vergnugungssucht geopfert. Der Smoking der Witwe!«
»Keineswegs!«Georg rakelt sich selbstgefallig.»Was du hier siehst, ist ein Beispiel dafur, wie sehr uns Frauen im Einfall uberlegen sind. Es ist ein anderer Smoking. Die Witwe hat den ihren bei einem Schneider dafur eingetauscht und auf diese Weise gezahlt, ohne mein Zartgefuhl zu verletzen – Du siehst es hier – der Smoking der Witwe war auf Satin gefuttert, dieser hier hat reine Seide. Er pa?t mir auch unter den Armeln besser. Der Preis ist, durch die In?ation, in Goldmark derselbe; das Stuck eleganter. So macht sich Zartgefuhl ausnahmsweise einmal sogar bezahlt.«
Ich betrachte ihn. Der Smoking ist gut, aber auch nicht ganz neu. Ich vermeide es, Georgs Zartgefuhl zu verwirren und zu behaupten, da? auch dieses Stuck wahrscheinlich von einem Toten stamme. Was stammt schlie?lich nicht von Toten? Unsere Sprache, unsere Gewohnheiten, unser Wissen, unsere Verzweiflung – was nicht? Georg allerdings hat im Kriege, besonders im letzten Jahr, so viele Uniformen von Toten getragen, manchmal noch mit fahlen Blut?ecken und den gestopften Einschu?lochern, da? es nicht nur neurotisches Zartgefuhl bei ihm ist, wenn er das jetzt nicht mehr will – es ist Rebellion und der Wunsch nach Frieden. Und Frieden symbolisiert sich fur ihn darin, nicht mehr Anzuge von Toten tragen zu mussen.
»Was machen die Filmschauspielerinnen Henny Porten, Erna Morena und die unverge?liche Lia de Putti?«frage ich.
»Sie haben dieselben Sorgen wie wir!«erklart Georg.
»Sich so schnell wie moglich in Sachwerte zu ?uchten, Autos, Pelze, Tiaras, Hunde, Hauser, Aktien und Filmproduzenten – nur fallt es ihnen leichter als uns.«
Er schaut liebevoll auf das Bild einer Hollywood-Party. In unbeschreiblicher Eleganz sieht man dort das Bild eines Balles. Die Herren sind, wie Georg, im Smoking oder im Frack.»Wann bekommst du einen Frack?«frage ich.
»Nachdem ich mit meinem Smoking auf dem ersten Ball gewesen bin. Ich werde dazu nach Berlin ausrei?en! Drei Tage! Irgendwann, wenn die In?ation zu Ende ist und Geld wieder Geld ist und kein Wasser. Inzwischen bereite ich mich vor, wie du siehst.«
»Dir fehlen die Lackschuhe«, sage ich, zu meinem Erstaunen irritiert uber den selbstzufriedenen Mann von Welt.
Georg holt das goldene Zwanzigmarkstuck aus der Westentasche, wirft es hoch, fangt es auf und steckt es wortlos wieder ein. Ich betrachte ihn mit fressendem Neid. Da sitzt er, ohne viel Sorgen, eine Zigarre steckt in seiner Brusttasche, sie wird nicht bitter wie Galle schmecken wie mir Wernickes Brasil, druben haust Lisa und ist vernarrt in ihn, einfach, weil er der Sohn einer Familie ist, die bereits ein Geschaft hatte, wahrend ihr Vater noch ein Gelegenheitsarbeiter war. Sie hat ihn als Kind angestaunt, wenn er einen wei?en Umlegekragen trug und auf den Locken, die er damals noch besa?, eine Matrosenmutze, wahrend sie ein Kleid aus dem alten Rock ihrer Mutter schleppte – und bei diesem Staunen ist es geblieben. Georg braucht nichts weiter zu seiner Glorie zu tun. Lisa wei? nicht einmal, glaube ich, da? er kahl ist – fur sie ist er immer noch der burgerliche Prinz im Matrosenanzug.
»Du hast es gut«, sage ich.
»Ich verdiene es auch«, erwidert Georg und klappt die Hefte des Lesezirkels Modernitas zu. Dann holt er ein Kistchen Sprotten von der Fensterbank und zeigt auf ein halbes Brot und ein Stuck Butter.»Wie ware es mit einem schlichten Nachtessen mit Blick auf das abendliche Leben einer mittleren Stadt?«
Es sind dieselben Sprotten, bei denen mir auf der Gro?en Stra?e vor dem Laden das Wasser im Munde zusammengelaufen ist. Jetzt kann ich sie plotzlich nicht mehr sehen.
»Du erstaunst mich«, sage ich.»Warum i?t du zu Abend? Warum dinierst du nicht in deiner Kluft im ehemaligen Hotel Hohenzollern, im jetzigen Reichshof? Kaviar und Seetiere?«
»Ich liebe Kontraste«, erwidert Georg.»Wie sollte ich sonst leben, als Grabsteinhandler in einer Kleinstadt mit der Sehnsucht nach der gro?en Welt?«
Er steht in voller Pracht am Fenster. Uber die Stra?e kommt plotzlich ein heiserer Bewunderungsruf. Georg stellt sich
Georg nickt.»Es ist ein Geheimnis! Aber dir will ich es verraten. Tue nie etwas kompliziert, was auch einfach geht. Es ist eine der gro?ten Lebensweisheiten, die es gibt. Sehr schwer anzuwenden. Besonders fur Intellektuelle und Romantiker.«
»Sonst noch was?«
»Nein. Aber produziere dich nie als geistiger Herkules, wenn eine neue Hose dasselbe erreicht. Du irritierst so deinen Partner nicht, er braucht sich nicht anzustrengen, dir zu folgen, du bleibst ruhig und gelassen, und das, was du willst, fallt dir, bildlich gesprochen, in den Scho?.«
»Mach dir keinen Fett?eck auf die Seidenaufschlage«, sage ich.»Sprotten tropfen leicht.«
»Du hast recht.«Georg zieht den Rock aus.»Man soll sein Gluck nie forcieren. Ein weiteres beachtenswertes Motto.«
Er greift wieder nach den Sprotten.»Warum schreibst du nicht Motto-Serien fur Kalender?rmen?«frage ich erbittert den leichtfertigen Bauchredner der Lebensweisheit.»Es ist schade, solche Platituden nur so in das Universum hineinzureden.«
»Ich schenke sie dir. Fur mich ist das ein Stimulans, keine Platitude. Wer von Natur schwermutig ist und noch einen solchen Beruf hat, mu? alles tun, um sich zu erheitern, und soll dabei nicht wahlerisch sein. Abermals ein Motto.«