Ich sehe, da? ich ihm nicht beikommen kann, und verschwinde deshalb, als die Sprottenkiste leer ist, in meiner Bude. Aber auch da kann ich mich nicht austoben – nicht einmal auf dem Klavier, des sterbenden oder toten Feldwebels wegen -, und Trauermarsche, das einzig Mogliche, habe ich ohnedem genug im Kopf.

XXII

Im Schlafzimmer des alten Knopf taucht plotzlich ein Gespenst auf. Es dauert eine Weile, ehe ich im spiegelnden Mittagslicht den Feldwebel erkenne. Er lebt also noch und hat sich aus dem Bett ans Fenster geschleppt. Grau stiert der Kopf uber dem grauen Nachthemd in die Welt.

»Sieh an«, sage ich zu Georg.»Er will nicht in den Sielen sterben. Das alte Schlachtro? will einen letzten Blick in die Richtung der Werdenbrucker Schnapsfabriken tun.«

Wir betrachten ihn. Der Schnurrbart hangt als trauriges Gestrupp vom Munde. Die Augen sind bleifarben. Er glotzt noch eine Zeitlang, dann kehrt er sich ab.

»Das war sein letzter Blick«, sage ich.»Ruhrend, da? selbst eine so abgehartete Seele von einem Menschenschinder noch einmal die Welt anschauen will, bevor sie sie fur immer verla?t. Ein Stoff fur Hungermann, den sozialen Dichter.«

»Er tut einen zweiten Blick«, erwidert Georg.

Ich verlasse den Vervielfaltigungsapparat Presto, an dem ich Katalogblatter fur unsere Vertreter hektographiere, und komme zum Fenster zuruck. Der Feldwebel steht wieder da. Er hebt hinter den spiegelnden Fensterscheiben etwas hoch und trinkt.»Seine Medizin!«sage ich.»Wie doch selbst die wusteste Ruine am Leben hangt! Ein zweiter Stoff fur Hungermann.«

»Das ist keine Medizin«, erwidert Georg, der scharfere Augen hat als ich.»Medizin kommt nicht in Schnaps?aschen.«

»Was?«

Wir offnen unser Fenster. Die Spiegelung verschwindet, und ich sehe, da? Georg recht hat: Der alte Knopf sauft aus einer unverkennbaren Schnapspulle.»Ein guter Einfall seiner Frau«, sage ich,»ihm Wasser in eine Schnaps?asche zu fullen, damit er es so leichter trinkt. Denn Schnaps hat er nicht mehr in der Bude; alles ist ja durchsucht worden.«

Georg schuttelt den Kopf.»Wenn das Wasser ware, hatte er die Flasche langst durchs Fenster geschmissen. Solange ich den Alten kenne, hat er Wasser nur zum Waschen benutzt – und das auch nicht gern. Das da ist Schnaps, den er trotz der Haussuchung noch irgendwo versteckt gehabt hat, und du, Ludwig, hast das erhabene Schauspiel vor dir, einen Menschen mutig seinem Schicksal gegenubertreten zu sehen. Der alte Feldwebel will auf dem Felde der Ehre fallen, die Hand an der Gurgel des Feindes.«

»Sollen wir nicht seine Frau rufen?«

»Glaubst du, sie konne ihm die Flasche wegnehmen?«

»Nein.«

»Der Arzt hat ihm hochstens ein paar Tage geben. Was ist da der Unterschied?«

»Der des Christen und der des Fatalisten. Herr Knopf!«rufe ich.»Herr Feldwebel!«

Ich wei? nicht, ob er mich gehort hat, aber er macht eine Bewegung, die wie ein Gru? mit der Flasche aussieht. Dann setzt er aufs neue an.»Herr Knopf!«rufe ich.»Frau Knopf!«

»Zu spat!«sagt Georg.

Knopf hat abgesetzt. Er macht noch eine zweite kreisende Bewegung mit der Flasche. Wir erwarten, da? er zusammenbricht. Der Arzt hat erklart, jeder Tropfen Alkohol sei todlich fur ihn. Nach einer Weile verschwindet er im Hintergrund des Zimmers wie eine Leiche, die langsam im Wasser versinkt.»Ein schoner Tod«, sagt Georg.

»Wir sollten es der Familie sagen.«

»La? sie in Ruhe. Der Alte war eine Pest. Sie sind froh, da? es soweit ist.«

»Das wei? ich nicht. Anhanglichkeit geht sonderbare Wege. Sie konnten ihm den Magen auspumpen lassen.«

»Er wird dagegen so kampfen, da? ihn der Schlag trifft oder da? ihm die Leber platzt. Aber telefoniere dem Arzt, wenn es dein Gewissen beruhigt. Hirschmann.«

Ich erreiche den Arzt.»Der alte Knopf hat gerade eine kleine Flasche Korn ausgetrunken«, sage ich.»Wir haben es vom Fenster aus gesehen.«

»In einem Zug?«

»In zwei Zugen, glaube ich. Was hat das damit zu tun?«

»Nichts. Es war nur Neugierde. Er ruhe in Frieden.«

»Kann man nichts tun?«

»Nichts«, sagt Hirschmann.»Er wurde so und so eingehen. Mich wundert, da? er uberhaupt bis heute durchgehalten hat. Setzen Sie ihm einen Grabstein in Form einer Flasche.«

»Sie sind ein herzloser Mensch«, sage ich.

»Nicht herzlos, zynisch. Sie sollten den Unterschied kennen! Sie sind ja aus der Branche! Zynismus ist Herz mit negativem Vorzeichen, wenn Sie das trostet. Trinken Sie einen Gedachtnisschluck auf die heimgefahrene Schnapsdrossel.«

Ich lege das Telefon auf.»Ich glaube, Georg«, sage ich,»es wird wirklich hochste Zeit, da? ich unsern Beruf verlasse. Er verroht zu sehr.«

»Er verroht nicht. Er stumpft ab.«

»Noch schlimmer. Er ist nichts fur ein Mitglied der Werdenbrucker Dichterakademie. Wo bleibt das tiefe Erstaunen, das Grauen, die Ehrfurcht vor dem Tode, wenn man sie kassenma?ig oder in Denkmalern auswertet?«

»Es bleibt genug davon«, sagt Georg.»Aber ich verstehe dich. La? uns jetzt zu Eduard gehen und dem alten Zwolfender ein stilles Glas weihen.«

Wir kommen nachmittags zuruck. Eine Stunde spater tont Larm und Geschrei aus der Knopfschen Wohnung.

»Friede seiner Asche«, sagt Georg.»Komm, wir mussen rubergehen und die ublichen Trostworte sagen.«

»Hoffentlich haben sie alle ihre Trauerkleidung fertig. Das wird der einzige Trost sein, den sie im Augenblick brauchen.«

Die Tur ist unverschlossen. Wir offnen sie, ohne zu klingeln, und bleiben stehen. Ein unerwartetes Bild empfangt uns. Der alte Knopf steht im Zimmer, seinen Spazierstock in der Hand, angezogen, um auszugehen. Hinter den drei Nahmaschinen drangen sich seine Frau und seine drei Tochter. Knopf schlagt mit dem Stock auf sie ein. Mit einer Hand halt er sich am Hals der vorderen Nahmaschine fest, um einen guten Stand zu haben, mit der anderen prugelt er. Die Schlage sind nicht besonders stark, aber Knopf tut, was er kann. Rundum liegen die Trauerkleider am Boden.

Es ist einfach, die Lage zu ubersehen. Anstatt ihn zu toten, hat der Kornschnaps den Feldwebel so belebt, da? er sich angezogen hat, um wahrscheinlich auf die ubliche Runde durch die Kneipen zu gehen. Da niemand ihm gesagt hat, da? er todkrank sei, und seine Frau aus Angst vor ihm auch keinen Geistlichen geholt hat, der ihn auf die ewige Seligkeit hatte vorbereiten konnen, ist Knopf gar nicht auf den Gedanken gekommen, zu sterben. Er hat schon viele Anfalle uberstanden, und dies ist fur ihn einer von vielen. Da? er jetzt wutend ist, ist zu begreifen – kein Mensch jubelt, wenn er sieht, da? seine Familie ihn schon so vollig abgeschrieben hat, da? sie teures Geld fur Trauerkleider ausgibt.

»Ver?uchte Bande!«krachzt er.»Habt euch wohl schon gefreut, was? Ich will euch lehren!«

Er verfehlt seine Frau und zischt vor Wut. Sie halt den Stock fest.»Aber Vater, wir mu?ten uns doch vorsehen, der Arzt -«

»Der Arzt ist ein Idiot! La? den Stock los, du Satan! La? den Stock los, sage ich, du Bestie!«

Die kleine, runde Frau la?t den Stock tatsachlich los. Der zischende Enterich vor ihr schwingt ihn und trifft eine seiner Tochter. Die drei Frauen konnten den schwachen Alten muhelos entwaffnen; aber er hat sie unter der Fuchtel wie eben ein Feldwebel seine Rekruten. Die Tochter halten jetzt den Stock fest und versuchen tranenvolle

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