was Sie wollen!«Er zeigt auf die Lederstucke.»Ein Paar Ma?schuhe erster Qualitat als Geschenk – was Sie wollen: Boxcalf schwarz, braun, gelb, Lack, Wildleder – ich werde sie selbst anfertigen -«
»Lack«, sage ich.
Ich komme nach Hause und sehe im Hof eine dunkle Gestalt. Es ist tatsachlich der alte Knopf, der gerade vor mir eingetroffen ist und sich, als ware er nicht schon toterklart, bereit macht, den Obelisken zu schanden.»Herr Feldwebel«, sage ich und nehme ihn am Arm.»Sie haben fur Ihre kindischen Au?erungen jetzt Ihren eigenen Grabstein. Benutzen Sie den!«
Ich fuhre ihn zu dem Hugelstein, den er gekauft hat, und warte vor der Haustur, damit er nicht noch den Obelisken benutzt.
Knopf starrt mich an.»Meinen eigenen Stein? Sind Sie verruckt. Was ist er jetzt wert?«
»Nach dem Dollarkurs von heute abend neun Milliarden?«
»Und daran soll ich pissen?«
Knopfs Augen irren ein paar Sekunden umher – dann wankt er knurrend ins Haus. Was niemand zuwege gebracht hat, hat der schlichte Begriff des Eigentums erreicht! Der Feldwebel benutzt seine eigene Toilette. Da komme noch einer mit Kommunismus! Eigentum gibt Sinn fur Ordnung!
Ich stehe noch eine Weile da und denke daruber nach, da? die Natur von der Amobe her Millionen von Jahren gebraucht hat, um uber Fisch, Frosch, Wirbeltier und Affen den alten Knopf hervorzubringen, ein Geschopf, vollgestopft mit physikalischen und chemischen Wunderwerken, einem Blutkreislauf von hochster Genialitat, einer Herzmaschine, die man nur anbeten kann, einer Leber und zwei Nieren, gegen die die IG Farbenfabriken lacherliche Pfuscherwerkstatten sind – und das alles, dieses uber Millionen von Jahren sorgfaltig vervollkommnete Wunderwerk, etatsma?iger Feldwebel Knopf genannt, nur dazu, um fur eine kurze Zeit auf Erden armselige Bauernjungens zu schinden und sich dann mit einer ma?igen Staatspension dem Trunke zu ergeben! Gott macht sich wirklich manchmal viel Muhe um nichts!
Kopfschuttelnd drehe ich das Licht in meinem Zimmer an und starre in den Spiegel. Da ist ein anderes Wunderwerk der Natur, das auch nicht viel mit sich anzufangen wei?. Ich drehe das Licht ab und ziehe mich im Dunkeln aus.
XXIII
In der Allee kommt mir eine junge Dame entgegen. Es ist Sonntag morgen, und ich habe sie bereits in der Kirche gesehen. Sie tragt ein hellgraues, gut sitzendes Jackenkleid, einen kleinen Filzhut, graue Wildlederschuhe, hei?t Genevieve Terhoven und ist mir sonderbar fremd.
Sie war mit ihrer Mutter in der Kirche. Ich habe sie gesehen, und ich habe Bodendiek gesehen und auch Wernicke, dem der Erfolg nur so von den Mundwinkeln trieft. Ich habe den Garten umkreist und auf nichts mehr gehofft, und nun kommt Isabelle plotzlich allein durch die Allee, die schon fast kahl ist. Ich bleibe stehen. Sie kommt, schmal und leicht und elegant, und mit ihr kommt auf einmal alle Sehnsucht wieder, der Himmel und mein eigenes Blut. Ich kann nicht sprechen. Ich wei? von Wernicke, da? sie gesund ist, da? die Schatten verweht sind, und ich spure es selbst; sie ist auf einmal da, anders als fruher, aber ganz da, nichts von Krankheit steht mehr zwischen uns, voll springt die Liebe aus meinen Handen und Augen, und ein Schwindel steigt wie ein lautloser Wirbelsturm die Adern empor ins Gehirn. Sie sieht mich an.
»Isabelle«, sage ich.
Sie sieht mich wieder an, eine schmale Falte zwischen den Brauen.»Ja?«fragt sie.
Ich fasse es nicht sofort. Ich glaube, ich musse sie erinnern.
»Isabelle«, wiederhole ich.»Erkennst du mich nicht? Ich bin doch Rudolf.
»Rudolf?«wiederholt sie.»Rudolf – wie, bitte?«
Ich starre sie an.»Wir haben oft miteinander gesprochen«, sage ich dann.
Sie nickt.»Ja, ich war lange hier. Ich habe vieles davon vergessen, entschuldigen Sie. Sind Sie auch schon lange hier?«
»Ich? Ich war doch nie hier oben! Ich habe hier doch nur Orgel gespielt. Und dann -«
»Orgel, ja, so«, erwidert Genevieve Terhoven ho?ich.»In der Kapelle. Ja, ich erinnere mich. Entschuldigen Sie, da? es mir im Augenblick entfallen war. Sie haben sehr schon gespielt. Vielen Dank.«
Ich stehe da wie ein Idiot. Ich verstehe nicht, warum ich nicht gehe. Genevieve versteht es offenbar auch nicht.
»Verzeihen Sie«, sagt sie.»Ich habe noch viel zu tun; ich reise bald.«
»Sie reisen bald?«
»Ja«, erwidert sie erstaunt.
»Und Sie erinnern sich an nichts? Nicht an die Namen, die in der Nacht abfallen und an die Blumen, die Stimmen haben?«
Isabelle hebt verstandnislos die Schultern.»Gedichte«, erklart sie dann lachelnd.»Ich habe sie immer geliebt. Aber es gibt so viele! Man kann sich nicht an alle erinnern.«
Ich gebe auf. Es ist so, wie ich es geahnt habe! Sie ist gesund geworden, und ich bin aus ihren Handen geglitten wie aus den Handen einer schlafenden Bauerin eine Zeitung. Sie erinnert sich an nichts mehr. Es ist, als ware sie aus einer Narkose erwacht. Die Zeit hier oben ist aus ihrem Gedachtnis entschwunden. Sie hat alles vergessen. Sie ist Genevieve Terhoven und wei? nicht mehr, wer Isabelle war. Sie lugt nicht, das sehe ich. Ich habe sie verloren, nicht so, wie ich furchtete, weil sie einem anderen Kreise als ich entstammt und in ihn zuruckgeht, sondern schlimmer, grundlicher und unabanderlicher. Sie ist gestorben. Sie lebt und atmet noch und ist schon, aber in dem Augenblick, wo die Fremde der Krankheit weggenommen wurde, ist sie gestorben, ertrunken fur immer. Isabelle, deren Herz ?og und bluhte, ist ertrunken in Genevieve Terhoven, einem wohlerzogenen Madchen besserer Kreise, das sicher einmal wohlhabend heiraten und sogar eine gute Mutter sein wird.
»Ich mu? fort«, sagt sie.»Vielen Dank noch einmal fur das Orgelspiel.«
»Nun?«fragt mich Wernicke.»Was sagen Sie dazu?«
»Wozu?«
»Stellen Sie sich nicht so dumm. Zu Fraulein Terhoven. Sie mussen doch zugeben, da? sie in den drei Wochen, die Sie sie nicht gesehen haben, ein ganz anderer Mensch geworden ist. Voller Erfolg!«
»So was nennen Sie Erfolg?«
»Was denn sonst? Sie kehrt ins Leben zuruck, alles ist in Ordnung, die Zeit vorher ist versunken wie ein boser Traum, sie ist wieder ein Mensch geworden, was wollen Sie mehr? Sie haben sie ja gesehen. Nun?«
»Ja«, sage ich.»Nun?«
Eine Schwester mit einem roten Bauerngesicht bringt eine Flasche Wein und Glaser.»Haben wir auch noch die Freude, Seine Hochwurden, Herrn Vikar Bodendiek zu sehen?«frage ich.»Ich wei? nicht, ob Fraulein Terhoven katholisch getauft ist, nehme es aber an, da sie aus dem Elsa? kommt, da wird Seine Hochwurden doch auch voller Jubel sein, da? Sie ein Scha?ein fur seine Herde zuruckge?scht haben aus dem gro?en Chaos!«
Wernicke feixt.»Seine Hochwurden haben bereits ihrer Befriedigung Ausdruck gegeben. Fraulein Terhoven besucht seit einer Woche taglich die heilige Messe.«
Isabelle! denke ich. Sie wu?te einmal, da? Gott immer noch am Kreuze hing und da? nicht nur die Unglaubigen ihn marterten. Sie kannte und verachtete auch die satten Glaubigen, die aus seinem Leiden eine fette Sinekure machten.»Hat sie auch schon gebeichtet?«frage ich.
»Das wei? ich nicht. Es ist moglich. Mu? eigentlich jemand das, was er getan hat, wahrend er geisteskrank war, beichten? Es ware eine interessante Frage fur mich unaufgeklarten Protestanten.«
»Es kommt darauf an, was man unter Geisteskrankheiten versteht«, sage ich bitter und schaue zu, wie der Seeleninstallateur ein Glas Schlo? Reinhardtshauser heruntergie?t.»Wir haben da zweifellos verschiedene Auffassungen. Im ubrigen: Wie kann man beichten, was man vergessen hat? Denn vergessen hat Fraulein Terhoven ja wohl manches plotzlich.«
Wernicke schenkt sich und mir ein Glas ein.»Trinken wir den, bevor Hochwurden erscheint. Weihrauchduft mag heilig sein, aber er verdirbt die Blume eines solchen Weines.«Er nimmt einen Schluck, rollt die Augen und sagt:»Plotzlich vergessen? War es so plotzlich? Es kundigte sich doch schon langer an.«