»Schhhh!«, zischte Mr. Dursley laut.

Die Katze regte sich nicht. Sie blickte ihn nur aus ernsten Augen an. War so etwas denn normal fur Katzen, fragte sich Mn Dursley. Er versuchte sich zusammenzurei?en und offnete die Haustur. Immer noch war er entschlossen, nichts von alledem seiner Frau zu sagen.

Mrs. Dursley hatte einen netten, gewohnlichen Tag hinter sich. Beim Abendessen erzahlte sie ihm alles uber Frau Nachbarins Probleme mit deren Tochter und da? Dudley ein neues Wort gelernt hatte (»pfui«). Mr. Dursley versuchte sich ganz wie immer zu geben. Er brachte Dudley zu Bett und ging dann ins Wohnzimmer, wo er sich das Neueste in den Abendnachrichten ansah.

»Und hier noch eine Meldung. Wie die Vogelkundler im ganzen Land berichten, haben sich unsere Eulen heute sehr ungewohnlich verhalten. Obwohl Eulen normalerweise nachts jagen und tagsuber kaum gesichtet werden, wurden diese Vogel seit Sonnenaufgang hunderte Male beobachtet, wie sie kreuz und quer uber das Land hinwegflogen. Die Fachleute konnen sich nicht erklaren, warum die Eulen plotzlich ihre Gewohnheiten geandert haben.«Der Nachrichtensprecher erlaubte sich ein Grinsen.»Sehr mysterios. Und nun zu Jim McGuffin mit dem Wetter. Sind heute Abend noch weitere Eulenschauer zu erwarten, Jim?«

»Nun, Ted«, meinte der Wetteransager,»das kann ich nicht sagen, aber es sind nicht nur die Eulen, die sich heute seltsam verhalten haben. Zuschauer aus so entfernten Gegenden wie Kent, Yorkshire und Dundee haben mich heute angerufen und berichtet, da? anstelle des Regens, den ich gestern versprochen hatte, ganze Schauer von Sternschnuppen niedergegangen sind! Vielleicht haben die Leute zu fruh Silvester gefeiert – das ist noch eine Weile hin, meine Damen und Herren! Aber ich kann Ihnen fur heute eine regnerische Nacht versprechen.«

Mr. Dursley sa? starr wie ein Eiszapfen in seinem Sessel. Sternschnuppen uber ganz Gro?britannien? Eulen, die bei Tage flogen? Allerorten geheimnisvolle Leute in sonderbarer Kleidung? Und ein Tuscheln, ein Tuscheln uber die Potters…

Mrs. Dursley kam mit zwei Tassen Tee ins Wohnzimmer. Es hatte keinen Zweck. Er mu?te ihr etwas sagen. Nervos rausperte er sich.»Ahm – Petunia, Liebes – du hast in letzter Zeit nichts von deiner Schwester gehort, oder?«

Wie er befurchtet hatte, blickte ihn Mrs. Dursley entsetzt und wutend an. Schlie?lich taten sie fur gewohnlich so, als hatte sie keine Schwester.

»Nein«, sagte sie scharf.»Warum?«

»Komisches Zeug in den Nachrichten«, murmelte Mr. Dursley.»Eulen… Sternschnuppen… und heute waren eine Menge komisch aussehender Leute in der Stadt… «

»Und?«, fuhr ihn Mrs. Dursley an.

»Nun, ich dachte nur… vielleicht… hat es etwas zu tun mit… du wei?t… ihrem Klungel.«

Mrs. Dursley nippte mit geschutzten Lippen an ihrem Tee. Konnte er es wagen, ihr zu sagen, da? er den Namen»Potter«gehort hatte? Nein, das konnte er nicht. Statt dessen bemerkte er so beilaufig, wie er nur konnte:»Ihr Sohn – er ware ungefahr in Dudleys Alter, oder?«

»Ich nehme an«, sagte Mrs. Dursley steif

»Wie war noch mal sein Name? Howard, nicht wahr?«

»Harry. Ein ha?licher, gewohnlicher Name, wenn du mich fragst.«

»O ja, sagte Mr. Dursley, und das Herz rutschte ihm in die Hose.»Ja, da bin ich ganz deiner Meinung.«

Bis es Zeit zum Schlafen war und sie nach oben gingen, verlor er kein Wort mehr daruber. Wahrend Mrs. Dursley im Bad war, schlich sich Mr. Dursley zum Schlafzimmerfenster und spahte hinunter in den Vorgarten. Die Katze war immer noch da. Sie starrte auf den Ligusterweg, als ob sie auf etwas wartete.

Bildete er sich das alles nur ein? Konnte all dies etwas mit den Potters zu tun haben? Wenn es so war… und wenn herauskame, da? sie verwandt waren mit einem Paar von – nein, das wurde er einfach nicht ertragen konnen.

Die Dursleys gingen zu Bett. Mrs. Dursley schlief rasch ein, doch Mr. Dursley lag wach und walzte alles noch einmal im Kopf hin und her. Bevor er einschlief, kam ihm ein letzter, trostender Gedanke. Selbst wenn die Potters wirklich mit dieser Geschichte zu tun hatten, gab es keinen Grund, warum sie bei ihm und Mrs. Dursley auftauchen sollten. Die Potters wu?ten sehr wohl, was Petunia von ihnen und ihresgleichen hielt… Er konnte sich nicht denken, wie er und Petunia in irgendetwas hineingeraten sollten, was dort drau?en vor sich ging – er gahnte und drehte sich auf die Seite -. damit wurden er und seine Frau jedenfalls nichts zu tun haben…

Wie sehr er sich tauschte.

Mr. Dursley mochte in einen unruhigen Schlaf hinubergeglitten sein, doch die Katze drau?en auf der Mauer zeigte keine Spur von Mudigkeit. Sie sa? noch immer da wie eine Statue, die Augen ohne zu blinzeln auf die weiter entfernte Ecke des Ligusterwegs gerichtet. Kein Harchen regte sich, als eine Stra?e weiter eine Autotur zugeknallt wurde oder als zwei Eulen uber ihren Kopf hinwegschwirrten. In der Tat war es fast Mitternacht, als die Katze sich zum ersten Mal ruhrte.

An der Ecke, die sie beobachtet hatte, erschien ein Mann, so jah und lautlos, als ware er geradewegs aus dem Boden gewachsen. Der Schwanz der Katze zuckte und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.

Einen Mann wie diesen hatte man im Ligusterweg noch nie gesehen. Er war gro?, dunn und sehr alt, jedenfalls der silbernen Farbe seines Haares und Bartes nach zu schlie?en, die beide so lang waren, da? sie in seinem Gurtel steckten. Er trug eine lange Robe, einen purpurroten Umhang, der den Boden streifte, und Schnallenstiefel mit hohen Hacken. Seine blauen Augen leuchteten funkelnd hinter den halbmondformigen Brillenglasern hervor, und seine Nase war sehr lang und krumm, als ob sie mindestens zweimal gebrochen ware. Der Name dieses Mannes war Albus Dumbledore.

Albus Dumbledore schien nicht zu bemerken, da? er soeben in einer Stra?e aufgetaucht war, in der alles an ihm, von seinem Namen bis zu seinen Stiefeln, keineswegs willkommen war. Gedankenverloren durchstoberte er die Taschen seines Umhangs. Doch offenbar bemerkte er, da? er beobachtet wurde, denn plotzlich sah er zu der Katze hinuber, die ihn vom andern Ende der Stra?e her immer noch anstarrte. Aus irgendeinem Grunde schien ihn der Anblick der Katze zu belustigen. Er gluckste vergnugt und murmelte:»Ich hatte es wissen mussen.«

In seiner Innentasche hatte er gefunden, wonach er suchte. Es sah aus wie ein silbernes Feuerzeug. Er lie? den Deckel aufschnappen, hielt es hoch in die Luft und lie? es knipsen. Mit einem leisen»Plop«ging eine Stra?enlaterne in der Nahe aus. Er knipste noch mal – und die nachste Laterne flackerte und erlosch. Zwolfmal knipste er mit dem Ausmacher, bis die einzigen Lichter, die in der ganzen Stra?e noch zu sehen waren, zwei kleine Stecknadelkopfe in der Ferne waren, und das waren die Augen der Katze, die ihn beobachtete. Niemand, der jetzt aus dem Fenster geschaut hatte, auch nicht die scharfaugige Mrs. Dursley, hatte nun irgendetwas von dem mitbekommen, was unten auf dem Burgersteig geschah. Dumbledore lie? den Ausmacher in die Umhangtasche gleiten und machte sich auf den Weg die Stra?e entlang zu Nummer 4, wo er sich auf die Mauer neben die Katze setzte. Er sah sie nicht an, doch nach einer Weile sprach er mit ihr.

»Was fur eine Uberraschung, Sie hier zu sehen, Professor McGonagall.«

Mit einem Lacheln wandte er sich zur Seite, doch die Tigerkatze war verschwunden. Statt ihrer lachelte er einer ziemlich ernst dreinblickenden Frau mit Brille zu, deren Glaser quadratisch waren wie das Muster um die Augen der Katze. Auch sie trug einen Umhang, einen smaragdgrunen. Ihr schwarzes Haar war zu einem festen Knoten zusammengebunden. Sie sah recht verwirrt aus.

»Woher wu?ten Sie, da? ich es war?«, fragte sie.

»Mein lieber Professor, ich habe noch nie eine Katze so steif dasitzen sehen.«

»Sie waren auch steif, wenn Sie den ganzen Tag auf einer Backsteinmauer gesessen hatten«, sagte Professor McGonagall.

»Den ganzen Tag? Wo Sie doch hatten feiern konnen?

»Ich mu? auf dem Weg an mindestens einem Dutzend Feste und Partys vorbeigekommen sein.«

Verargert schnaubte Professor McGonagall durch die Nase.

»O ja, alle Welt feiert, sehr schon«, sagte sie ungeduldig.»Man sollte meinen, sie konnten ein bi?chen vorsichtiger sein, aber nein – selbst die Muggel haben bemerkt, da? etwas los ist. Sie haben es in ihren Nachrichten gebracht.«Mit einem Kopfrucken deutete sie auf das dunkle Wohnzimmerfenster der Dursleys.»Ich habe es gehort. Ganze Schwarme von Eulen… Sternschnuppen… Nun, ganz dumm sind sie auch wieder nicht. Sie mu?ten einfach irgendetwas bemerken. Sternschnuppen unten in Kent – ich wette, das war Dadalus Diggel. Der war noch nie besonders vernunftig.«

»Sie konnen ihnen keinen Vorwurf machen«, sagte Dumbledore sanft.»Elf Jahre lang haben wir herzlich wenig zu feiern gehabt.«

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