Etwa einmal die Woche spahte Onkel Vernon uber seine Zeitung und rief, Harry musse endlich einmal zum Friseur. Harry mu?te ofter beim Friseur gewesen sein als alle Jungen seiner Klasse zusammen, doch es half nichts. Sein Haar wucherte einfach vor sich hin – wie ein wilder Garten.
Harry briet gerade Eier, als Dudley mit seiner Mutter in die Kuche kam. Dudley sah Onkel Vernon auffallig ahnlich. Er hatte ein breites, rosa Gesicht, nicht viel Hals, kleine, wa?rige blaue Augen und dichtes blondes Haar das glatt auf seinem runden, fetten Kopf lag. Tante Petunia sagte oft, da? Dudley aussehe wie ein kleiner Engel – Harry sagte oft, Dudley sehe aus wie ein Schwein mit Perucke.
Harry stellte die Teller mit Eiern und Schinken auf den Tisch, was schwierig war, denn viel Platz gab es nicht. Dudley zahlte unterdessen seine Geschenke. Er zog eine Schnute.
»Sechsunddrei?ig«, sagte er und blickte auf zu Mutter und Vater.»Das sind zwei weniger als letztes Jahr.«
»Liebling, du hast Tante Maggies Geschenk nicht mitgezahlt, schau, es ist hier unter dem gro?en von Mummy und Daddy.«
»Na gut, dann eben siebenunddrei?ig«, sagte Dudley und lief rot an – Harry, der einen gewaltigen Wutanfall nach Art von Dudley kommen sah, schlang seinen Schinken so schnell wie moglich hinunter, fur den Fall, da? Dudley den Tisch umkippte.
Auch Tante Petunia witterte offenbar Gefahr, denn rasch sagte sie:»Und heute, wenn wir ausgehen, kaufen wir dir noch zwei Geschenke. Was sagst du nun, Spatzchen?«
Dudley dachte einen Augenblick nach und es sah wie Schwerstarbeit aus. Schlie?lich sagte er langsam:»Dann habe ich achtund… achtund… «
»Neununddrei?ig, mein Su?er«, sagte Tante Petunia.
»Oh.«Dudley lie? sich auf einen Stuhl plumpsen und grabschte nach einem Packchen.»Von mir aus.«
Onkel Vernon gluckste.
»Der kleine Lummel will was sehen fur sein Geld, genau wie sein Vater. Braver Junge, Dudley!«Er fuhr mit der Hand durch Dudleys Haar.
In diesem Moment klingelte das Telefon, und Tante Petunia ging an den Apparat, wahrend Harry und Onkel Vernon Dudley dabei zusahen, wie er das Rennrad, eine Videokamera, ein ferngesteuertes Modellflugzeug, sechzehn neue Computerspiele und einen Videorecorder auspackte. Gerade ri? er das Papier von einer goldenen Armbanduhr, als Tante Petunia mit zornigem und besorgtem Blick vom Telefon zuruckkam.
»Schlechte Nachrichten, Vernon«, sagte sie.»Mrs. Figg hat sich ein Bein gebrochen. Sie kann ihn nicht nehmen.«Unwirsch nickte sie mit dem Kopf in Harrys Richtung.
Dudley klappte vor Schreck der Mund auf, doch Harrys Herz begann zu hupfen. Jedes Jahr an Dudleys Geburtstag machten seine Eltern mit ihm und einem Freund einen Ausflug, sie besuchten Abenteuerparks, gingen Hamburger essen oder ins Kino. Jedes Jahr blieb Harry bei Mrs. Figg, einer verruckten alten Dame zwei Stra?en weiter. Harry ha?te es, dorthin zu gehen. Das ganze Haus roch nach Kohl, und Mrs. Figg bestand darauf da? er sich die Fotos aller Katzen ansah, die sie je besessen hatte.
»Und nun?«, sagte Tante Petunia und sah Harry so zornig an, als hatte er personlich diese Unannehmlichkeit ausgeheckt. Harry wu?te, es sollte ihm eigentlich Leid tun, da? sich Mrs. Figg ein Bein gebrochen hatte, doch fiel ihm das nicht leicht bei dem Gedanken, sich Tibbles, Snowy, Putty und Tuffy erst wieder in einem Jahr angucken zu mussen.
»Wir konnten Marge anrufen«, schlug Onkel Vernon vor.
»Sei nicht albern, Vernon, sie ha?t den Jungen.«
Die Dursleys sprachen oft uber Harry, als ob er gar nicht da ware – oder vielmehr, als ob er etwas ganz Widerwartiges ware, das sie nicht verstehen konnten, eine Schnecke vielleicht.
»Was ist mit Wie-hei?t-sie-noch-mal, deine Freundin – Yvonne?«
»Macht Ferien auf Mallorca«, sagte Tante Petunia barsch.
»Ihr konntet mich einfach hier lassen«, schlug Harry hoffnungsvoll vor (dann konnte er zur Abwechslung mal fernsehen, was er wollte, und sich vielleicht sogar einmal aber Dudleys Computer hermachen).
Tante Petunia schaute, als hatte sie soeben in eine Zitrone gebissen.
»Und wenn wir zuruckkommen, liegt das Haus in Trummern?«. raunzte sie.
»Ich werde das Haus schon nicht in die Luft jagen«, sagte Harry, aber sie horten ihm nicht zu.
»Ich denke, wir konnten ihn in den Zoo mitnehmen«, sagte Tante Petunia langsam,»… und ihn im Wagen lassen… «
»Der Wagen ist neu, kommt nicht in Frage, da? er alleine drinbleibt… «
Dudley begann laut zu weinen. Er weinte zwar nicht wirklich, seit Jahren hatte er nicht mehr wirklich geweint, aber er wu?te, wenn er eine Schnute zog und jammerte, wurde ihm seine Mutter alles geben, was er wollte.
»Mein kleiner Duddybums, weine nicht, Mummy verdirbt dir den Geburtstag nicht!«
»Ich… will… nicht… da? er… m-m-mitkommt!«, schrie Dudley zwischen den markerschutterndem falschen Schluchzern.»Er macht immer alles k-k-aputt!«Durch die Arme seiner Mutter hindurch warf er Harry ein gehassiges Grinsen zu.
In diesem Augenblick lautete es an der Tur -»Ach du liebes bi?chen, da sind sie«, rief Tante Petunia hellauf entsetzt – und schon marschierte Dudleys bester Freund, Piers Polkiss, in Begleitung seiner Mutter herein. Piers war ein magerer Junge mit einem Gesicht wie ein Ratte. Meist war es Piers, der den anderen Kindern die Arme auf dem Rucken festhielt, wahrend Dudley auf sie einschlug. Sofort horte Dudley auf mit seinem falschen Weinen.
Eine halbe Stunde spater sa? Harry, der sein Gluck noch nicht fassen konnte, zusammen mit Piers und Dudley hinten im Wagen, auf dem Weg zum ersten Zoobesuch seines Lebens. Onkel und Tante war einfach nichts Besseres eingefallen, doch bevor sie aufgebrochen waren, hatte Onkel Vernon Harry beiseite genommen.
»Ich warne dich«, hatte er gesagt und war mit seinem gro?en purpurroten Gesicht dem Harrys ganz nahe gekommen,»ich warne dich jetzt, Junge – irgendwelche krummen Dinger, auch nur eine Kleinigkeit – und du bleibst von heute bis Weihnachten im Schrank.«
»Ich mach uberhaupt nichts«, sagte Harry,»ehrlich… «
Doch Onkel Vernon glaubte ihm nicht. Nie glaubte ihm jemand.
Das Problem war, da? oft merkwurdige Dinge um Harry herum geschahen, und es hatte einfach keinen Zweck, den Dursleys zu sagen, da? er nichts dafur konnte.
Einmal, als Harry wieder einmal vom Friseur kam und so aussah, als sei er gar nicht dort gewesen, hatte sich Tante Petunia voll Uberdru? eine Kuchenschere gegriffen und sein Haar so kurz geschnitten, da? er am Ende fast eine Glatze hatte. Nur uber der Stirn hatte sie noch etwas ubrig gelassen, um»diese schreckliche Narbe zu verdecken«. Dudley hatte sich dumm und damlich gelacht bei diesem Anblick, und Harry machte in dieser Nacht keine Auge zu beim Gedanken, wie es ihm am nachsten Tag in der Schule ergehen wurde, wo sie ihn ohnehin schon wegen seiner ausgebeulten Sachen und seiner zusammengeklebten Brille hanselten. Am nachsten Morgen jedoch wachte er auf und fand sein Haar genauso lang vor, wie es gewesen war, bevor Tante Petunia es ihm abgesabelt hatte. Dafur hatte er eine Woche Schrank bekommen, obwohl er versucht hatte zu erklaren, da? er sich nicht erklaren konnte, wie das Haar so rasch wieder gewachsen war.
Ein andermal hatte Tante Petunia versucht, ihn in einen ekligen alten Pulli von Dudley zu zwangen (braun mit orangeroten Bommeln). Je verzweifelter sie sich muhte, ihn uber Harrys Kopf zu ziehen, desto enger schien er zu werden, bis er am Ende vielleicht noch einer Babypuppe gepa?t hatte, aber sicher nicht Harry Tante Petunia gab sich schlie?lich mit der Erklarung zufrieden, er musse wohl beim Waschen eingelaufen sein, und zu Harrys gro?er Erleichterung bestrafte sie ihn nicht.
Andererseits war er in schreckliche Schwierigkeiten geraten, weil man ihn eines Tages auf dem Dach der Schulkuche gefunden hatte. Dudleys Bande hatte ihn wie ublich gejagt, als er auf einmal, und zwar ebenso verdutzt wie alle andern, auf dem Kamin sa?. Die Dursleys bekamen daraufhin in einem sehr wutenden Brief von Harrys Schulleiterin zu lesen, Harry sei das Schulhaus emporgeklettert. Doch alles, was er hatte tun wollen, war (wie er Onkel Vernon durch die verschlossene Tur seines Schranks zurief), hinter die gro?en Abfalleimer drau?en vor der Kuchentur zu springen. Vielleicht, uberlegte Harry, hatte ihn der Wind mitten im Sprung erfa?t und hochgetragen.
Doch heute sollte nichts schief gehen. Um den Tag blo? nicht in der Schule, seinem Schrank oder in Mrs. Figgs nach Kohl riechendem Wohnzimmer verbringen zu mussen, nahm er sogar die Gesellschaft von Dudley und Piers in Kauf