»Ist es das, wo -?«, flusterte Professor McGonagall.

»Ja«, sagte Dumbledore.»Diese Narbe wird ihm immer bleiben.«

»Konnen Sie nicht etwas dagegen tun, Dumbledore?«

»Selbst wenn ich es konnte, ich wurde es nicht. Narben konnen recht nutzlich sein. Ich selbst habe eine oberhalb des linken Knies, und die ist ein tadelloser Plan der Londoner U-Bahn. Nun denn – gib ihn mir, Hagrid -, wir bringen es besser hinter uns.«

Dumbledore nahm Harry in die Arme und wandte sich dem Haus der Dursleys zu.

»Konnte ich… konnte ich ihm adieu sagen, Sir?«, fragte Hagrid.

Er beugte seinen gro?en, struppigen Kopf uber Harry und gab ihm einen gewi? sehr kratzigen, barthaarigen Ku?. Dann, plotzlich, stie? Hagrid ein Heulen wie ein verletzter Hund aus.

»Schhhh!«. zischte Professor McGonagall,»Sie wecken noch die Muggel auf!«

»V-v-verzeihung«, schluchzte Hagrid, zog ein gro?es, gepunktetes Taschentuch hervor und vergrub das Gesicht darin.»Aber ich k-k-kann es einfach nicht fassen – Lily und James tot – und der arme kleine Harry mu? jetzt bei den Muggels leben -«

»Ja, ja, das ist alles sehr traurig, aber rei? dich zusammen, Hagrid, oder man wird uns entdecken«, flusterte Professor McGonagall und klopfte Hagrid behutsam auf den Arm, wahrend Dumbledore uber die niedrige Gartenmauer stieg und zum Vordereingang trat. Sanft legte er Harry vor die Eingangstur, zog einen Brief aus dem Umhang, steckte ihn zwischen Harrys Leintucher und kehrte dann zu den beiden andern zuruck. Eine ganze Minute lang standen die drei da und sahen auf das kleine Bundel; Hagrids Schultern zuckten, Professor McGonagall blinzelte heftig, und das funkelnde Licht, das sonst immer aus Dumbledores Augen schien, war wohl erloschen.

»Nun«, sagte Dumbledore schlie?lich,»das war's… Wir haben hier nichts mehr zu suchen. Wir sollten lieber verschwinden und zu den Feiern gehen.«

»Jaow«, sagte Hagrid mit sehr dumpfer Stimme,»ich bring Sirius seine Kiste zuruck. Nacht, Professor McGonagall – Professor Dumbledore, Sir.«

Hagrid wischte sich mit dem Jackenarmel die tropfnassen Augen, schwang sich auf das Motorrad und erweckte die Maschine mit einem Fu?kick zum Leben; donnernd erhob sie sich in die Lufte und verschwand in der Nacht.

»Wir werden uns bald wieder sehen, vermute ich, Professor McGonagall«, sagte Dumbledore und nickte ihr zu. Zur Antwort schneuzte sich Professor McGonagall die Nase.

Dumbledore drehte sich um und entfernte sich die Stra?e entlang. An der Ecke blieb er stehen und holte den Ausmacher hervor. Er knipste einmal und zwolf Lichtballe huschten zuruck in ihre Stra?enlaternen. Mit einem Mal leuchtete der Ligusterweg in Orange, und er konnte eine kleine Tigerkatze sehen, die am anderen Ende der Stra?e um die Ecke strich. Auf der Turschwelle von Nummer 4 konnte er gerade noch das Bundel aus Leintuchern erkennen.

»Viel Gluck, Harry«, murmelte er. Er drehte sich auf dem Absatz um und mit einem Wehen seines Umhangs war er verschwunden.

Eine Brise krauselte die sorgfaltig geschnittenen Hecken des Ligusterwegs, der still und ordentlich dalag unter dem tintenfarbenen Himmel, und nie ware man auf den Gedanken gekommen, da? hier etwas Unerhortes geschehen konnte. In seinen Leintuchern drehte sich Harry Potter auf die Seite, ohne aufzuwachen. Seine kleinen Finger klammerten sich an den Brief neben ihm, und er schlief weiter, nicht wissend, da? er etwas Besonderes war, nicht wissend, da? er beruhmt war, nicht wissend, da? in ein paar Stunden, wenn Mrs. Dursley die Haustur offnen wurde, um die Milchflaschen hinauszustellen, ein Schrei ihn wecken wurde, und auch nicht wissend, da? ihn sein Vetter Dudley in den nachsten Wochen peinigen und piesacken wurde… Er konnte nicht wissen, da? in eben diesem Moment uberall im Land Versammlungen stattfanden, Glaser erhoben wurden und gedampfte Stimmen sagten:»Auf Harry Potter – den Jungen, der lebt«

Ein Fenster Verschwindet

Fast zehn Jahre waren vergangen, seit die Dursleys eines Morgens die Haustur geoffnet und auf der Schwelle ihren Neffen gefunden hatten, doch der Ligusterweg hatte sich kaum verandert. Wenn die Sonne aufging, tauchte sie dieselben fein sauberlich gepflegten Vorgarten in ihr Licht und lie? dasselbe Messingschild mit der Nummer 4 uber der Tur erglimmen. Schlie?lich krochen ihre Strahlen ins Wohnzimmer. Dort sah es fast genauso aus wie in jener Nacht, als Mr. Dursley im Fernsehen den unheilvollen Bericht uber die Eulen gesehen hatte. Nur die Fotos auf dem Kaminsims fuhrten einem vor Augen, wie viel Zeit verstrichen war. Zehn Jahre zuvor hatten dort eine Menge Bilder gestanden, auf denen etwas, das an einen gro?en rosa Strandball erinnerte, zu sehen war und Bommelhute in verschiedenen Farben trug – doch Dudley Dursley war nun kein Baby mehr und jetzt zeigten die Fotos einen gro?en, blonden Jungen, mal auf seinem ersten Fahrrad, mal auf dem Rummelplatz Karussell fahrend, mal beim Computerspiel mit dem Vater und schlie?lich, wie ihn die Mutter knuddelte und ku?te. Nichts in dem Zimmer lie? ahnen, da? in diesem Haus auch noch ein anderer Junge lebte.

Doch Harry Potter war immer noch da, er schlief gerade, aber nicht mehr lange. Seine Tante Petunia war schon wach und ihre schrille Stimme durchbrach die morgendliche Stille.

»Aufstehen, aber dalli!«

Mit einem Schlag war Harry hellwach. Noch einmal trommelte seine Tante gegen die Tur.

»Aufstehen!«, kreischte sie. Harry horte, wie sie in die Kuche ging und dort die Pfanne auf den Herd stellte. Er drehte sich auf den Rucken und versuchte sich an den Traum zu erinnern, den er gerade noch getraumt hatte. Es war ein guter Traum. Ein fliegendes Motorrad war darin vorgekommen. Er hatte das merkwurdige Gefuhl, den Traum schon einmal getraumt zu haben.

Drau?en vor der Tur stand jetzt schon wieder seine Tante.

»Bist du schon auf den Beinen?«, fragte sie.

»Fast«, sagte Harry.

»Beeil dich. Ich mochte, da? du auf den Schinken aufpa?t. Und la? ihn ja nicht anbrennen, an Duddys Geburtstag mu? alles tipptopp sein.«

Harry stohnte.

»Was hast du gesagt?«, keifte seine Tante durch die Tur.

»Nichts, nichts… «

Dudleys Geburtstag – wie konnte er den nur vergessen haben? Langsam kletterte Harry aus dem Bett und begann nach Socken zu suchen. Unter seinem Bett fand er ein Paar, zupfte eine Spinne davon weg und zog sie an. Harry war an Spinnen gewohnt, weil es im Schrank unter der Treppe von Spinnen wimmelte. Und in diesem Schrank schlief Harry. Als er angezogen war, ging er den Flur entlang und betrat die Kuche. Der ganze Tisch war uber und uber bedeckt mit Geburtstagsgeschenken. Offenbar hatte Dudley den neuen Computer bekommen, den er sich gewunscht hatte, und, der Rede gar nicht wert, auch noch den zweiten Fernseher und das Rennrad. Warum Dudley eigentlich ein Rennrad haben wollte, war Harry ein Ratsel, denn Dudley war sehr dick und verabscheute Sport – au?er naturlich, wenn es darum ging, andern eine reinzuhauen. Dudleys Lieblingsopfer war Harry, doch den bekam er nicht so oft zu fassen. Man sah es Harry zwar nicht an, aber er konnte sehr schnell rennen.

Vielleicht hatte es damit zu tun, da? er in einem dunklen Schrank lebte, jedenfalls war Harry fur sein Alter immer recht klein und durr gewesen. Er sah sogar noch kleiner und durrer aus, als er in Wirklichkeit war, denn alles, was er zum Anziehen hatte, waren die abgelegten Klamotten Dudleys, und der war etwa viermal so dick wie Harry. Harry hatte ein schmales Gesicht, knubbelige Knie, schwarzes Haar und hellgrune Augen. Er trug eine Brille mit runden Glasern, die, weil Dudley ihn auf die Nase geschlagen hatte, mit viel Klebeband zusammengehalten wurden. Das Einzige, das Harry an seinem Aussehen mochte, war eine sehr feine Narbe auf seiner Stirn, die an einen Blitz erinnerte. So weit er zuruckdenken konnte, war sie da gewesen, und seine allererste Frage an Tante Petunia war gewesen, wie er zu dieser Narbe gekommen war.

»Durch den Autounfall, bei dem deine Eltern starben«, hatte sie gesagt.»Und jetzt hor auf zu fragen.«

Hor auf zu fragen – das war die erste Regel, wenn man bei den Dursleys ein ruhiges Leben fristen wollte.

Onkel Vernon kam in die Kuche, als Harry gerade den Schinken umdrehte.

»Kamm dir die Haare!«, bellte er als Morgengru?.

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